Deutschland, Testspiel
Freitag, 14. August 2020, 19.15 Uhr
Gladbeck, Vestische Kampfbahn
Der Kreis Gelsenkirchen des Fußball- und Leichtathletikverbandes Westfalen ist schon eine absolute Wucht. Zu ihm gehört schließlich nicht nur die Stadt Gelsenkirchen mit ihrer ganzen Armada an geilen Grounds, sondern auch Gladbeck. Der Otto-Normal-Bürger denkt da sofort an das Geiseldrama von 1988, der Groundhopper hingegen an die Vestische Kampfbahn. Der 1928 eröffnete Prachtbau bietet Platz für knapp 38.000 Zuschauer und belegt damit Platz 19 in der Rangliste der größten Fußballstadien Deutschlands. Entstanden war die Vestische Kampfbahn quasi aus purer Dekadenz heraus, denn in den 1920ern sorgte die Kohleförderung für einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung in Gladbeck. Wirklicher Bedarf für solch ein großes Stadion bestand in Gladbeck aber nie. Dennoch fanden in den Anfangsjahren einige hochkarätige Spiele in der Vestischen Kampfbahn statt. So trugt hier der FC Schalke 04 bereits am 11. März 1928 – zwei Monate vor der offiziellen Eröffnung – sein Heimspiel in der Endrunde um die westdeutsche Meisterschaft gegen den RSV Hagen vor 15.000 Zuschauern aus. Ebenfalls in der Endrunde um die westdeutsche Meisterschaft spielten die Königsblauen 1930 vor 27.000 Zuschauern gegen den VfL Benrath in der Vestischen Kampfbahn. Schauplatz von zwei absoluten Höhepunkten wurde sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg: In der Saison 1947/48 fand hier das Finale der britischen Zonenmeisterschaft zwischen Borussia Dortmund und dem FC St. Pauli vor 40.000 Zuschauern statt und zwei Jahre später das Achtelfinale in der Endrunde um die deutsche Meisterschaft zwischen Borussia Dortmund und dem VfR Mannheim vor 45.000 Zuschauern. Erstligafußball war nach dem Zweiten Weltkrieg auch während der regulären Saison zu sehen – und wieder war kein Gladbecker Verein dafür verantwortlich, sondern der STV Horst-Emscher aus Gelsenkirchen. Der zog in der Oberliga-Saison 1950/51 in die Vestische Kampfbahn, da sein Fürstenbergstadion (ebenfalls ein Stadion aus Deutschlands Top 50) zu dem Zeitpunkt umgebaut wurde. Zum Oberliga-Derby in jener Saison zwischen dem STV Horst-Emscher und dem FC Schalke 04 kamen 30.000 Zuschauer nach Gladbeck. Immerhin Zweitligafußball boten in dem Tempel dann die Sportfreunde Gladbeck von 1957 bis 1963. Die Zuschauerzahlen überstiegen nie dabei aber die Marke von 6.000, was noch einmal unterstreicht, dass Gladbeck selbst so ein großes Stadion nie gebraucht hätte. In den vergangenen Jahren fand dagegen kein regulärer Spielbetrieb in der seit 1986 unter Denkmalschutz stehenden Vestischen Kampfbahn statt und der Schwerpunkt wurde auf die Leichtathletik gelegt. Neben der Sanierung von Laufbahn und Sprunganlagen veränderte vor allem die 2009 errichte neue Haupttribüne das Aussehen des Stadions markant. Die wirkt mit ihrer modernen Architektur samt Sonnensegel wie ein Fremdkörper und beißt sich völlig mit dem Rest des Stadions. Unfassbar, wie man allein auf die Idee kommen kann, so einen Scheiß zu bauen. Die Herzen der Groundhopper höherschlagen ließ dagegen in der Saison 2016/17 der Gladbecker Stadtteilverein SV Zweckel, der zwei Westfalenliga-Heimspiele in der Vestischen Kampfbahn austrug. Es blieb jedoch bei diesen beiden Spielen, ein Fußball sollte vorerst eigentlich nicht mehr durch das Stadion rollen. Tja, und dann kam Corona. In diesem Fall ein echter Glücksfall, denn Wacker Gladbeck hat sich in diesem Sommer dafür entschieden, seine Heimspiele nicht mehr – wie sonst – auf dem Nebenplatz der Vestischen Kampfbahn auszutragen, sondern vorsorglich ins 19.-größte Stadion Deutschlands zu ziehen. Dort lassen sich die Zuschauer schließlich viel besser verteilen und die Abstände können strikt eingehalten werden. Bisschen übertrieben für die 20 Zuschauer, die bei den Testspielen zu erwarten sind, aber uns soll es ja recht sein. Auf jeden Fall ist Eile geboten, denn wer weiß, wann es sich Wacker Gladbeck wieder anders überlegt. Heute sind es immerhin rund 50 Zuschauer, wobei die Hopper-Quote bei über 50 Prozent liegt. Das merkt man auch daran, dass auf den Rängen in keinster Weise auf das Spielgeschehen reagiert wird. Kein Raunen, kein Jubeln, kein Schimpfen. Dabei würde es dafür Anlass genug geben, denn bereits zur Halbzeit führt der SSV Buer aus Gelsenkirchen mit 14:0. War aber auch sehr mutig von Wacker Gladbeck, sich hier einen Landesligisten als Testspielgegner einzuladen, wenn man selbst nur in der Kreisliga B spielt. In der 75. Minute erhöht der SSV Buer auf 17:0, dann sieht der Schiedsrichter die Sportlichkeit nicht mehr gegeben und bricht die Partie ab. Damit bleiben leider nur 75 Minuten Zeit, dieses geniale Stadion zu genießen. Blendet man mal die völlig verschandelte Haupttribüne aus, kann man bei diesen Stehrängen nur ins Schwärmen geraten sein. Wie muss das damals gewesen sein, als hier über 40.000 Zuschauer drin waren... Eine Besonderheit ist, dass die Vestische Kampfbahn gleich über drei Marathontore verfügt, die nicht sonderlich symmetrisch angeordnet wurden. In die drei Tore hat man auch Umkleidekabinen und Toiletten integriert, zudem dient das größte der drei Tore, das architektonisch mit seinen Rundungen ganz klar im Stile der 1920er-Jahre gehalten wurde, zugleich als Eingangsbereich. In jeder Hinsicht ist die Vestische Kampfbahn damit ein echtes Unikat. Richtig geil, hier endlich mal ein Spiel gesehen zu haben.