DJK Teutonia Schalke-Nord – ETuS Bismarck 3:0

Deutschland, Testspiel
Sonntag, 2. August 2020, 13 Uhr
Gelsenkirchen, Kampfbahn Glückauf 

Wir betreten die Herzkammer von Gelsenkirchen: Schalke-Nord. Keine 5.000 Einwohner, aber eine Dekade lang der wichtigste Punkt auf Deutschlands Fußballlandkarte. 6x wurde der FC Schalke 04 zwischen 1934 und 1942 deutscher Meister, wobei er 1937 als erster Verein der deutschen Fußball-Geschichte das Double gewann. Lang, lang ist das her, die Attitüde eines Serienmeisters hat der Verein schon lange nicht mehr. Das gilt auch für den Stadtteil und dort insbesondere für die Kurt-Schumacher-Straße, auch bekannt als Schalker Meile, an deren Ende die Kampfbahn Glückauf steht. Schalke-Nord entstand im 19. Jahrhundert vor den Toren des eigentlichen Ortes Schalke, als dort Steinkohlevorkommen entdeckt wurden, für deren Abbau die Zeche Consolidation gebaut wurde. Bis heute sind Schalke und Schalke-Nord zwei verschiedene Stadtteile von Gelsenkirchen, wobei Schalke mehr als viermal so viele Einwohner hat wie Schalke-Nord. Gegründet wurde der FC Schalke 04 in der Gewerkestraße, die zwar in Schalke, aber unmittelbar an der Grenze zu Schalke-Nord liegt. Seine Heimat fand der Verein jedoch in Schalke-Nord, auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Consolidation, auf der die Kampfbahn Glückauf gebaut wurde. Dort spielte der FC Schalke 04 von 1928 bis 1973 – und pflegte dabei eine ganz besondere Verbundenheit zu seinem Viertel. Unter anderem steht hier der Tabakladen der Schalke-Legende Ernst Kuzorra. Da Spielergehälter zur damaligen Zeit nicht erlaubt oder bis zu einem bestimmten Betrag gedeckelt werden, arrangierten sich die Vereine auf andere Art und Weise mit ihren Stars und vermachten ihnen zum Beispiel Kneipen, Tankstellen oder halt solche Kioske. 2013 schloss Kuzorras Laden, der Abstieg von Schalke-Nord begann aber schon viel früher. Wie überall im Ruhrgebiet hinterließ der Niedergang des Bergbaus seine Spuren, doch mit dem Umzug des FC Schalke 04 ins Parkstadion im benachbarten Stadtteil Erle verlor Schalke-Nord auch noch seinen ganz speziellen Fußball-Mythos. Heute sieht es dort selbst für Ruhrpott-Verhältnisse ziemlich abgefuckt aus. Es scheint, als wohne hier nur noch, wer es sich nicht anders leisten kann. Ein bisschen so, wie Berlin-Kreuzberg vor dem Mauerfall. In Schalke-Nord liegt der Ausländeranteil inzwischen bei 38,5 Prozent – fast doppelt so hoch wie der Durchschnitt in Gelsenkirchen. Und doch kehrte der Mythos zurück, nachdem im WM-Jahr 2006 aus einer Initiative der Fans heraus die Schalker Meile geboren wurde. Alle paar Meter hängen Gedenktafeln, die an besondere Spieler der Vereinsgeschichte erinnern, die Straßenlaternen sind königsblau gestrichen und fast jedes der wenigen noch vorhanden Geschäfte nimmt in irgendeiner Form Bezug zu S04. Der Verein hat mittlerweile Kuzorras früheren Kiosk gekauft und zum Fanshop umfunktioniert. Und dann ist da auch noch die Hool-Kneipe der Gelsen-Szene, direkt gegenüber der Kampfbahn Glückauf und des immer noch existierenden Vereinslokals Bosch. Ich glaube, in Bezug auf Fußball gibt es in Deutschland keine vergleichbare Straße. Deutlich spürbar ist der Mythos natürlich noch in der Kampfbahn Glückauf, auch wenn die Federn lassen musste. Einst passten hier 70.000 Zuschauer hinein, in den 1980er-Jahren wurde jedoch fast alle Stehplätze abgetragen (mit Ausnahme von zwei kleinen Teilstücken auf der Gegengeraden, die mit Stadionfotos aus alten Tagen bestückt wurde). Bis Anfang 2006 spielten hier noch die Nachwuchsmannschaften des FC Schalke 04, im darauffolgenden Sommer fand das Fan-Fest der WM-Stadt Gelsenkirchen in der Kampfbahn statt, seitdem ist es aber gänzlich vorbei mit Königsblau. Mit der DJK Teutonia Schalke-Nord ist es dem lokalen Verein des Stadtteils ist es zu verdanken, dass der Ball immer noch rollt. Auch ohne die abgetragenen Stehränge und ohne S04 liegt der Geist aus alten Zeiten, als dieses Stadion das war, was heute die Münchner Allianz-Arena ist, noch in der Luft. Man kann es auf der alten Haupttribüne förmlich riechen. Eigentlich ist das hier kein Stadion, sondern ein Freilichtmuseum. Allerdings: Da die deutschen Meisterschaften damals im K.o.-Modus ausgetragen wurden und die Endspiele auf neutralem Boden stattfanden, gewann der FC Schalke 04 nie einen Titel unmittelbar in der Kampfbahn Glückauf. Sie büßt deshalb aber trotzdem nichts von ihrem einmaligen Charme ein. Ich muss schon sagen: Selten hat mich ein Stadion mit seinem Umfeld so sehr beeindruckt.