BSC Rheda – Spvgg Oelde II 2:3

Deutschland, Testspiel
Sonntag, 16. August 2020, 12 Uhr
Rheda-Wiedenbrück, Tönnies-Arena 

Über keines anderes Unternehmen wurde in den vergangenen Wochen so negativ berichtet wie über den Fleisch-Konzern Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück. Und das zu Recht, denn was dort so getrieben wird, ist schon wirklich unter aller Kanone – und das schon weit vor Corona. Bereits seit 20 Jahren steht das Unternehmen aufgrund der bei ihm herrschenden Arbeitsbedingungen in der Kritik. Mit Beginn der Pandemie flog Tönnies das um die Ohren, denn unter den zumeist aus Rumänien und Bulgarien stammenden Arbeitskräften stiegen die Infektionszahlen massiv in die Höhe: Im Juni 2020 wurde bei 1.400 von 6.100 getesteten Mitarbeitern das Coronavirus nachgewiesen. Die meisten der osteuropäischen Tönnies-Arbeiter lebten eingepfercht in Sammelkünften, unter anderem im benachbarten Verl, wo ein ganzes Wohnviertel hermetisch von der Polizei abgeriegelt wurde, damit es niemand verlassen kann und die Quarantänepflicht eingehalten wird. Die dramatischen Bilder von rumänischen und bulgarischen Tönnies-Arbeitern, die kurz vor der Abriegelung noch schnell das Viertel verlassen und in ihren Heimatländer zurückkehren wollten, waren noch tagelang im Fernsehen zu sehen. Die Zustände bei Tönnies ließen die Infektionszahlen im gesamten Landkreis Gütersloh in die Höhe schnellen, der damit zum Hotspot wurde. In Bielefeld ging das so weit, dass parkende Autos mit GT-Kennzeichen zerkratzt wurden, weil man befürchtete, diese könnten das Coronavirus nach Bielefeld schleppen. Ziemlich irre, was da stellenweise los war. Knapp zwei Monate später drehen wir den Spieß um und wagen uns von Bielefeld aus genau in die Höhle des Löwen. Tönnies ist nicht irgendein mittelständiges Unternehmen, sondern Deutschlands größter Schweinschlachtbetrieb – mit Firmenkindergarten und allem Pipapo. Auch ein eigenes Fußballstadion gehört dazu, was aber nicht sonderlich wundert, schließlich war Unternehmensboss Clemens Tönnies bis vor sechs Wochen Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04. Weder als Firmen- noch als Clubchef ließ er kaum einen Skandal aus, angefangen bei Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung (2012) über verschwiegene Unternehmensbeteilungen (2013), Cum-Ex-Geschäfte (2014) und illegale Preisabsprachen (2016) bis hin zum Rassismus-Rede (2019), wegen der er vorübergehend seine Ämter bei Schalke ruhen ließ, letztendlich dann ganz zurücktrat. 2012 ließ Clemens Tönnies auf dem Werksgelände direkt neben dem Spielplatz des Firmenkindergartens für fünf Millionen Euro ein eigenes Fußballstadion mit Platz für mehr als 4.000 Zuschauer bauen. Ein modernes Kleinstadion von der Stange mit einem L-förmigen Ausbau auf einer Geraden und hinterm Tor sowie kleinem Gästekäfig hinter dem anderen Tor. Ziel war es, diese sogenannte Tönnies-Arena zu einem zentralisierten Stadion für ganz Ostwestfalen zu machen und so einen Werbeeffekt für Tönnies zu erzeugen. Das Eröffnungsspiel bestritten die Traditionsmannschaften von Schalke und Borussia Dortmund, am gleichen Tag wurde der „Doppelpass“ von Sport1 in der Tönnies-Arena aufgezeichnet. Mit der Einweihung zog auch die Frauen-Mannschaft vom FSV Gütersloh (2. Bundesliga) dauerhaft vom Gütersloher Heidewaldstadion in die Tönnies-Arena um; Tönnies war zuvor schon Hauptsponsor des FSV Gütersloh. 2013 holte Tönnies mehrere Spiele der deutschen U17-Nationalmannschaft in seine Arena. Im gleichen Jahr folgte ein Sponsoringvertrag mit Arminia Bielefeld. Ziel war, dass sämtliche Mannschaften der Arminia von den Profis bis zur Jugend die Tönnies-Arena als Trainingsstätte nutzen und hier regelmäßig Testspiele bestreiten. Aufgrund des Corona-Skandals beendete die Arminia jedoch vor Kurzem die Kooperation. Im Vereinsfußball war das höchstklassige Spiel, das in der Tönnies-Arena ausgetragen wurde, das ostwestfälische Regionalliga-Derby zwischen dem SC Verl und dem SV Rödinghausen im Jahr 2015. Doch auch eine Mannschaft aus Rheda nutzt das Stadion und das sogar regelmäßig, denn Tönnies besitzt einen eigenen Betriebssportclub, der als BSC Rheda am regulären Spielbetrieb teilnimmt – wenn auch nur in der Kreisliga C, die im Kreis Gütersloh die unterste Spielklasse darstellt. Ein bisschen verrückt, dass in so einer Liga in solch einem Stadion gespielt wird, aber das ist in diesem besonderen Fall zumindest authentisch. Der mehrheitlich aus Rumänen und Bulgaren bestehende BSC Rheda – auch das ist in diesem Fall sehr authentisch – bestreitet heute Mittag ein Testspiel gegen die Spvgg Olpe II, das wir nutzen, um endlich mal diese besondere Spielstätte zu besuchen, die in diesen Zeiten eine ganz spezielle Aura ausstrahlt. Im Schatten des sich drehenden Firmenlogos mit Schwein, Kuh und Rind, das in letzter Zeit so oft in Fernsehen und Zeitung zu sehen war, trauen wir aber fast unseren Augen nicht. Während man anderswo in Westfalen teilweise mit Kanonen auf Spatzen schießt, passiert hier exakt gar nichts. Keine Anwesenheitslisten, keine Desinfektionsmittel, rein gar nichts. Und das mitten auf dem Tönnies-Gelände. Eigentlich dachten wir, hier werden jetzt wirklich alle Geschütze aufgefahren, und halten selbst einen Zuschauerausschluss nicht für ausgeschlossen. Wochenlang stand Tönnies unter Dauerbeobachtung von Behörden und Medien, da wird man ja nicht bei so einem popeligen Testspiel etwas riskieren. Aber: Doch, genau das ist der Fall. Natürlich muss man ganz klar sagen: Abgezählte zwölf Zuschauer sind zu diesem Testspiel gekommen, und das Stadion bietet beste Voraussetzungen, dass diese gut die Abstände einhalten können. Ein Superspreader ist das hier also ganz bestimmt nicht. Aber wieso nimmt sich eigentlich ausgerechnet Tönnies die Freiheit heraus, sämtliche Hygienevorschriften nicht umzusetzen und sich da völlig auszuklinken, während jeder kleine Kleckerverein mit wesentlich kleinerem Budget spurt? Eine gute Nachricht gibt es dagegen an der Hitze-Bekämpfungs-Front zu vermelden: Am Vorabend sind endlich die Wassersprüher-Ventilatoren eingetroffen, die uns in Holsen so fasziniert haben. Ihre Jungfernfahrt in der Tönnies-Arena gestaltet sich ganz nach unserem Geschmack und sorgt für eine willkommene Abkühlung bei der schon wieder herrschenden Hitze.