ESV Südstern Singen – SG Liggeringen/Güttingegn 1:1

Deutschland, Kreisliga A Bodensee (Südbaden) – Staffel 1 (9. Liga)
Samstag, 3. Oktober 2020, 16 Uhr
Singen am Hohentwiel, Hardtstadion 

Singen (47.000 Einwohner) gilt als Grenzstadt, liegt aber in Wahrheit gar nicht direkt an der Schweizer Grenze, sondern – mit Ausnahme eines kleines Waldstücks – ein paar wenige Kilometer von ihr entfernt. Dass sie so wahrgenommen wird, liegt am Verkehr. Zum einen wird Singen auf allen Schildern als Endpunkt der A81 vor der Schweizer Grenze angegeben, obwohl auch das nicht stimmt, denn sie endet gar nicht auf Singener Gemarkung, sondern rund 5 Kilometer westlich vom Stadtzentrum im Grenzdorf Bietingen. Zum anderen liegt das am Singener Bahnhof, der sich wiederum tatsächlich im Stadtgebiet befindet und der als wichtigster Grenzbahnhof zur Schweiz hin gilt. Ihm ist es zu verdanken, dass viele Schweizer Firmen wie zum Beispiel der Lebensmittelhersteller Maggi nach Singen kamen und hier Werke und Deutschland-Niederlassungen eröffneten. Das war auch Singens großes Glück im Zweiten Weltkrieg, denn da die Alliierten keine Firmen der neutralen Schweiz angreifen wollte, entging die Stadt großen Zerstörungen. 1954 fuhr dann ganz prestigeträchtig der Weltmeister-Zug der deutschen Nationalmannschaft in Singen über die Grenze und legte hier seinen ersten Stopp auf deutschem Boden ein. Zug-Verbindungen bestehen heute nach Basel und ins Schweizer Umland, vor allem aber liegt Singen an der Strecke Stuttgart-Zürich-Mailand. Diese Magistrale, deren deutscher Abschnitt zwischen Stuttgart und Singen den Namen Gäubahn trägt, hatte einst große Bedeutung: Bis zum Jahr 2000 gab es direkte Züge von Stuttgart nach Lecce, Neapel und La Spezia. Seither wird das Angebot Schritt für Schritt zurückgefahren. Bis 2006 fuhren die Züge ab Stuttgart nur noch bis Mailand und Venedig, dann wurde der Italien-Verkehr ganz eingestellt und die Züge endeten in Zürich. Schließlich zog die Deutsche Bahn zuerst den ICE ab, später auch den normalen Intercity. Heute sind nur noch Regionalzüge auf der Gäubahn im Einsatz, die in Singen enden und nicht mal mehr bis nach Schaffhausen fahren. Allein der Schweizer Bahn ist es zu verdanken, dass es noch eine internationale Verbindung auf der Gäubahn gibt, denn sie betreibt alle zwei Stunden einen Intercity von Zürich über Singen nach Stuttgart. Der Niedergang der Gäubahn und damit auch des Grenzbahnhofs Singen hat historische Gründe: Der Norden von Baden-Württemberg war nach dem Zweiten Weltkrieg amerikanische Besatzungszone, der Süden französische. Das nördliche Drittel der Gäubahn befand sich somit in der amerikanischen Zone, die beiden südlichen Drittel in der französischen. Anders als die Amerikaner bauten die Franzosen 1946 das zweite Gleis ab und beschlagnahmten die Schienen als Reparationsleistung. Zwei Drittel der Gäubahn sind daher nur eingleisig – bis heute. Die Strecke gerät dadurch immer mehr ins Hintertreffen und hat gegenüber der parallel verlaufenden Rheintalbahn entlang der französischen Grenze an Bedeutung verloren. Dennoch gilt die Magistrale Stuttgart-Zürich-Mailand als wichtig, weshalb Deutschland und die Schweiz bereits 1996 – also als es noch Direktzüge bis nach Süditalien gab – den sogenannten Staatsvertrag von Lugano geschlossen haben, der einen Ausbau der Strecke vorsah. Die Schweiz hat ihren Part längst erfüllt und die Strecke bis an die Grenze ausgebaut, Deutschland und die Deutsche Bahn hingegen bleiben auf der Gäubahn weiter untätig. Es könnte an dieser Stelle jetzt richtig nerdig werden, aber nur so viel: Gegen einen Ausbau der Gäubahn spricht das Bahnprojekt Stuttgart 21, das völlig andere Prioritäten setzt. Zwar wurde den Bürgern im Vorfeld der 2011 durchgeführten Volksabstimmung zu Stuttgart 21 insbesondere von der CDU versprochen, dass man für den Ausbau der Gäubahn stimmt, wenn man für Stuttgart 21 stimmt. Entlang der Gäubahn wurde deshalb auch fleißig für Stuttgart 21 gestimmt, womit man der Gäubahn das Grab geschaufelt hat. Doch zurück nach Singen: Es wundert nicht, dass es in einer Stadt mit einem wichtigen Grenzbahnhof auch einen Eisenbahnerverein gibt, auch wenn solche in Baden-Württemberg sehr selten sind. Bereits 1929 wurde der ESV Singen gegründet, der sich kurz darauf in Reichsbahn-SV umbenannte. 1945 wurde er von den Franzosen verboten, 1951 aber als ESV Singen wiedergründet. 1972 gelang ihm der Aufstieg in die damals drittklassige Schwarzwald-Bodensee-Liga, ehe er nur ein Jahr später wieder abstieg und mit dem SC Südstern fusionierte. Seither ging es sukzessive bergab, 2011 sogar ganz runter in die Kreisliga C. So richtig hoch spielten die Eisenbahner also nie, dem großen FC Singen (deutscher Amateurmeister 1959) konnte man nicht das Wasser reichen. Dennoch war es für einen Eisenbahnerverein in einer Stadt mit solch einem Bahnhof natürlich Ehrensache, ein repräsentatives Stadion zu haben. Wie das Hardtstadion einst ausgesehen hat, kann man heute nur noch erahnen. Es gibt Leute, die sagen, dass hier 20.000 Zuschauer reingepasst haben sollen. In jedem Fall war die Kapazität fünfstellig. Übrig geblieben sind davon nur noch ein paar Stehstufen auf einer Geraden, alles andere hat sich die Natur zurückgeholt. An manchen Stellen wie etwa am großen Marathontor sieht man aber noch, dass sich früher Stufen im gesamten Rund befanden. Gewissermaßen ist das Hardtstadion ein noch nicht gehobener Schatz. Man findet kaum Informationen über die alte Schüssel und es gibt wohl auch nur wenige Hopper, die diesen Ground auf dem Schirm haben. Und das obwohl das Hardtstadion das siebtgrößte Stadion Baden-Württembergs ist – wenn die Information stimmt, dass hier einst 20.000 Zuschauer reingepasst haben. Doch ganz unabhängig von der Zahl: Es gibt jede Menge zu entdecken und teilweise fühlt man sich wie ein Archäologe, weil man immer wieder automatisch an irgendwelchen Steinen stehen bleibt und sich anschaut, ob es sich um die Reste einer Tribüne handeln könnte. Wahnsinnig interessantes Stadion, das mit seinem Verfall und seiner ganzen Melancholie sinnbildlich für den Singener Grenzbahnhof und die Gäubahn steht.