Deutschland, Kreisliga B Detmold (10. Liga)
Freitag, 24. September 2021, 19.30 Uhr
Lage, Stadion Werreanger – Platz 2
Mein letzter Tag in Ostwestfalen wird genutzt für einen kleinen Ausflug nach Lage. Mit knapp 35.000 Einwohnern nur die viertgrößte Stadt in Lippe, aber mit einem Bahnhof fast so groß wie in Bielefeld – und sogar mit eigener Bahnhofsmission. Lage hat viele Beinamen, sie gilt als Zieglerstadt, als Zuckerstadt und eben auch als Stadt der Schiene, weil sie wichtigster Knotenpunkt des ehemaligen Freistaates war und ist. Klar, dass auch wir da mit dem Zug anreisen müssen. Die Bahnstrecke nach Lage verläuft nicht weit von meiner Bielefelder Wohnung entfernt, so dass die Fahrt heute mal nicht am Hauptbahnhof, sondern am schön verranzten Bielefelder Ostbahnhof beginnt. Nur ein paar Schritte von mir entfernt und doch immer wieder spannend, weil er wie ein verwunschener, völlig aus der Zeit gefallener Ort wirkt, der irgendwann entweder komplett von der Natur geschluckt wird oder einfach von sich alleine zusammenfällt. Angekommen in Lage nimmt einen dann – wie so oft in Lippe – vor dem Bahnhof ein Platz in Empfang, der nach dem Deutsch-Französischen Krieg benannt ist. Der Sedanplatz ist es hier, und auch die danebenliegende Grundschule ist nach der Stadt benannt, in der die entscheidende Schlacht von 1870/71 stattfand, die zur Gründung des Deutschen Reiches führte. Es ist schon krass, wie oft das in Lippe der Fall ist – und dass es offenbar nicht einmal eine öffentliche Diskussion darüber gibt. Ein weiteres Merkmal von Lage nimmt einen gleich am Bahnhof in Empfang, denn die Stadt ist auch ein Zentrum der Russlanddeutschen, was die hohe Zahl an Freikirchen erklärt. Gleich vier Baptisten-Gemeinden gibt es hier, dazu eine Mennoniten-, eine Pfingst, eine methodistische und eine Siebenten-Tages-Adventisten-Gemeinde, die auf Plakaten und Wänden grüßem. Beim Gang durch die beschauliche Innenstadt (die meisten Geschäfte schließen schon um spätestens 16.30 Uhr!) wird schnell klar, dass eigentlich nur das alte Rathaus sehenswert ist. Verglichen mit den anderen beiden großen lippischen Städten Detmold und Lemgo ist Lage eindeutig das Aschenputtel. Statt hübschen Häuschen sticht die Industrie ins Auge, insbesondere die Rauschwaden des Zuckerwerks Pfeifer & Langen unweit des Stadions Werreanger. Ebenso fällt der hohe Migrantenanteil auf. Und der spielt für eine weitere Besonderheit der Stadt eine Rolle, denn Lage besitzt den vielleicht unrühmlichsten Verein Westfalens: Cavo Lage. Erst 2019 gegründet, hat er schon für beachtlich viele Negativschlagzeilen gesorgt – und das obwohl wegen Corona kaum Spiele stattfanden. Zunächst fiel die Delegation von Cavo (Kurdisch für "Auge") beim Staffeltag auf, als sie zunächst mit großer Verspätung eintraf und nach nur 20 Minuten wieder abhaute, da ihr das alles zu langweilig sei. Besonders unschön wurde es dann aber bei einer Massenschlägerei von 50 Personen vor der Geschäftsstelle von Cavo, bei der es auch zu Messerstichen kam. Auch krass, dass man als Verein in der untersten Liga überhaupt eine Geschäftsstelle besitzt. Die schauen wir uns natürlich auch mal an. Zumindest von außen, denn die Scheiben des wie eine Shisha-Bar wirkenden Ladens, gelegen in bester Lage am Rand der Fußgängerzone, bestehen komplett aus Milchglas. Dort präsentiert Cavo auch gerne mal seine neuen Spieler – und zwar richtig inszeniert wie bei Real Madrid während der Unterzeichnung eines Vertrags. In der Kreisliga B. Sportliche Heimat ist der Nebenplatz des Stadions am Werreanger. Kein Ausbau, ist hier aber auch nicht nötig, denn auf dem Platz wird genug geboten. Zunächst aber muss man sagen: Zu uns Almans ist man die ganze Zeit freundlich. Da es keine Toiletten gibt, bekommt meine Freundin sogar den Schlüssel für die Umkleidekabine ausgehändigt. Es gibt Bier und saugeile Geflügel-Bratwurst im Teigmantel (Dürüm-Style). Das Spiel aber bestätigt alle Vorurteile. Cavo geht erst 2:0 in Führung, kassiert aber noch vor der Halbzeitpause drei Gegentreffer. Die Spieler zerfleischen sich danach auf dem Platz gegenseitig, bei jedem scheint die Ehre mächtig gekränkt. Das Spiel muss sogar kurz unterbrochen werden, weil sich der Spielertrainer von Cavo nicht mehr hinkriegt und einen Mitspieler angehen will. Von der Ersatzbank wird daraufhin zugerufen, dass man den Spielertrainer auswechseln möchte, der sich aber weigert, schließlich sei er der Trainer und bestimme allein, wer ausgewechselt wird. Obendrauf werden zwei Zuschauer vom Schiedsrichter des Platzes verwiesen, weil sie sich einfach nicht im Griff haben. Einer der beiden kommt kurz danach aber einfach wieder zurück und läuft immer dem Linienrichter hinterher, während er ihn dabei weiter beleidigt. Einmal rempelt er sogar den Linienrichter an, was aber völlig ohne Konsequenzen bleibt. Überhaupt ungewöhnlich, dass es hier in der Kreisliga B Linienrichter gibt, aber Cavo-Spiele dürfen aufgrund der gemachten Erfahrungen nur von einem Gespann geleitet werden. Man merkt hier deutlich, dass das gar nicht so viel bringt, denn die drei Referees haben die Hose gestrichen voll. In der Halbzeitpause zögern sie zunächst, das Spielfeld zu verlassen, weil sich am Ausgang schon ein kleiner Kurden-Mob formiert und es von da noch etwa 200 Meter über einen unbeleuchteten Weg bis zu den Umkleidekabinen sind. Letztendlich fordern die Schiedsrichter das Bereitstellen von Ordnern, die sie begleiten. In der zweiten Halbzeit passiert, was ich schon geahnt hatte: Cavo macht zunächst zwei Tore zur 4:3-Führung, dann fällt in den Schlussminuten das 4:4 nach strittigen Entscheidungen. Der Mob tobt, die Schiedsrichter verharren auch nach Abpfiff der zweiten Halbzeit auf dem Spielfeld. Wir wollen eigentlich zuschauen, ob und wie sie es bis zur Kabine schaffen, geben das Warten aber nach 15 (!) Minuten auf. Irgendwann fährt schließlich mal der Zug.