Deutschland, Jugendregionalliga NRW (American Football, 3. Liga)
Sonntag, 19. September 2021, 11 Uhr
Bielefeld, Radrennbahn
Eigentlich sollte heute ein Fünfer im Ruhrpott rund ums Auswärtsspiel von VfB Fichte Bielefeld in Marl gemacht werden, aber da meine Freundin krank im Bett liegt, sattel ich am Morgen spontan um – auf ein Pferd, das ich schon lange mal reiten wollte. Es gibt da schließlich einen Ground in Bielefeld, nach dem ich mich schon lange sehne und den ich bis heute noch nie von innen gesehen habe: die Radrennbahn. Sie ist ein Relikt aus der Zeit, in der Bielefeld als Zweirad-Hochburg galt. Denn während die Stadt heute nur für Pudding, Backpulver und Tiefkühlpizza bekannt ist, gab es bis in 1950er-Jahre hinein fast 300 (!) Unternehmen in Bielefeld, die Fahrräder oder Zubehör herstellten. Selbst Unternehmen wie Miele, die heute in einer ganz anderen Sparte aktiv sind, bauten damals (auch) Fahrräder. In dieser Zeit kam jedes dritte Rad, das in der BRD unterwegs war, aus Bielefeld. Zementiert – im wahrsten Sinne des Wortes – wurde diese Rada-Dominanz 1950 mit dem Bau der Radrennbahn. Ihre Bahn besteht aus fugenlosem Spannbeton, dazu sind ihre Kurven derart steil, dass sie in der Spitze fast einen 90-Grad-Winkel hat. Diese Einmaligkeit machte sie zur schnellsten Bahn Europas, weshalb hier viele hochkarätige Rennen stattfanden und sie regelmäßig mit 15.000 Zuschauern ausverkauft war. Radsport hat zwar in Bielefeld heute noch einen gewissen Stellenwert, etwa kommt mit Mieke Kröger die aktuelle Bahnrad-Olympiasiegerin aus Bielefeld, aber mit dem Niedergang der Fahrrad-Industrie und dem allgemein sinkenden Interesse an Radsportveranstaltungen dieser Art fiel die Radrennbahn in einen Dornröschenschlaf – ähnlich wie das Motodrom in Halbemond. Und genau wie dort hielt auch der Fußball Einzug. Arminia Bielefeld nutzte in den 70er und 80ern das Areal als Trainingsstätte und wohl fanden in dieser Zeit auch Testspiele in der Radrennbahn statt. Arminia wollte das Areal weiter ausbauen, doch dann kam es zum hier schon angesprochenen Disput mit der Wilden Liga, die auf den Sportplätzen neben der Radrennbahn ihre Spiele austrägt. Arminia verlor den Kampf und bekam ein neues Trainigsgelände an der nicht weit entfernten Friedrich-Hagemann-Straße, das sie noch heute nutzt. Vor einingen Jahren trug zudem der Kreisligist Canlar Bielefeld seine Heimspiele eine Saison lang auf der Radrennbahn aus. Nun ist es der Football, der dort Einzug gehalten hat. Allerdings nur die U19 der Bulldogs, denn die Herren tragen ihre Heimspiele im Stadion Rußheide aus. Etwas seltsam, aber macht die Sache irgendwie noch spannender. Passt für mich heute also perfekt, zumal heute Abend/Nacht ja auch der zweite Spieltag in der neuen NFL-Saison ansteht, auf den ich mich sehr freue. Um es aber deutlich zu sagen: Verglichen mit der NFL ist das, was hier bei der U19 geboten wird, wie eine andere Sportart. Oft kommen die Pässe nicht mal in die Nähe der Mitspieler und wenn doch, dann werden sie im seltensten Fall gefangen. Grausig. Der Star ist aber eh die Radrennbahn. Da man sonst nur selten einen Blick in sie erhaschen kann, weil sie immer verschlossen ist, kommt schon fast Gänsehaut beim Betreten auf. Der Zustand ist teilweise sehr bedenklich, was die Sache für den Sport-Romantiker zwar charmant macht, aber die Hütte muss ja auch noch eine Weile stehenbleiben. Schließlich muss das Ding noch mal mit Fußball gemacht werden, so denn die Möglichkeit wirklich noch einmal kommen sollten. Schön, dass die Bulldogs locker drauf sind und nicht mal Eintritt verlangen (nur der 3G-Nachweis wird streng kontrolliert) und man sich somit frei bewegen kann. Nur in Sachen Catering hatte ich mehr erwartet, denn es gibt genau gar nichts. Mit einem Bierchen in der Hand hätte das noch mehr Spaß gemacht.