Deutschland, Bezirksliga Enz/Murr (8. Liga)
Mittwoch, 7. Oktober 2020, 19.30 Uhr
Ludwigsburg, MTV-Kunstrasenplatz 2
Genau wie Paris hat Stuttgart nie sein Umland eingemeindet und ist damit auf dem Papier relativ klein. Paris hat gut 2 Millionen Einwohner, zusammen mit seinem Umland sind es aber 12,5 Millionen. Innerhalb der Stuttgarter Stadtgrenzen wiederum leben nur 600.000 Menschen, zusammen mit dem Umland dagegen rund 2 Millionen. In Berlin etwa wurde 1920 alles eingemeindet, was nicht niet- und nagelfest war, weshalb die Bundeshauptstadt heute mit 891 Quadratkilometern auch flächenmäßig die größte Stadt Deutschlands ist. Stuttgart hingegen, das nie großflächig eingemeindet hat, steht mit seinen nur 207 Quadratkilometern lediglich auf Rang 92. Resultat ist, dass Stuttgart – genau wie Paris – von zahlreichen mittelgroßen Städten umgeben und zum Teil sogar mit ihnen verschmolzen ist, darunter mit Ludwigsburg und Esslingen auch zwei Städte mit knapp 100.000 Einwohnern. Und noch eine weitere Parallele gibt es zur französischen Hauptstadt: Auch Stuttgart hat mit Ludwigsburg sein Versailles. Eigentlich war Stuttgart jahrhundertelang die Residenzstadt Württembergs, doch das mitten in der Stadt gelegene Alte Schloss an der Königstraße (heute die Flaniermeile von Stuttgart) wurde dem Adel zu klein. Rund 40 Jahre, nachdem Sonnenkönig Ludwig XIV. den Bau des Prunkschlosses in Versailles anordnete, ließen auch der württembergische Herzog Eberhard Ludwig vor den Toren der Stadt ein Schloss nach dem Vorbild Versailles erbauen, nachdem er kurz zuvor erst höchstpersönlich Versailles besucht hatte. Mit Baubeginn im Jahr 1704 entstand aber nicht nur das Barockschloss an sich, sondern – genau wie in Versailles – gleich eine ganze Stadt dazu: Ludwigsburg. Dass Ludwigsburg als Planstadt angelegt wurde, lässt sich noch heute auf dem Stadtplan gut erkennen, denn die Innenstadt besteht fast nur aus schnurgeraden Straßen, die schachbrettförmig um das Barockschloss herum angelegt sind. 1718 wurde Ludwigsburg dann neue Residenzstadt und Hauptstadt Württembergs, der gesamte Hofstaat zog von Stuttgart in den kleinen Vorort um. Für Verwaltung und Militär mussten neue Gebäude entstehen, auch das prägt das Stadtbild von Ludwigsburg noch heute entscheidend. Allerdings zog der Hofstaat mit einer Ausnahme um, denn Herzog Eberhard Ludwig nahm nur seine Mätresse mit, während er seine Ehefrau Johanna Elisabeth von Baden-Durlach im Alten Schloss in Stuttgart zurückließ. Das gefiel der Bevölkerung so gar nicht, dass der Herr Monarch sich da unehelich mit seiner Mätresse vergnügte, weshalb Ludwigsburg den Spitznamen „Lumpenburg“ bzw. auf Schwäbisch „Lombaburg“ erhielt, der noch heute sehr geläufig ist. So wundert es nicht, dass nach dem Tod von Herzog Eberhard Ludwigs im Jahr 1733 der Hofstaat noch im gleichen Jahr Ludwigsburg verließ und Stuttgart wieder Hauptstadt wurde. Doch nur für 31 Jahre, denn 1737 wurde Carl Eugen der neue Herzog Württembergs. Es war die Hochphase des Absolutismus in Europa, Carl Eugen regierte wie ein Despot und war berühmt für seine Affären. Auch ihm erschien das Alte Schloss in Stuttgart nicht würdig genug und er zog wieder nach Ludwigsburg – aber nur, um währenddessen das Neue Schloss in Stuttgart bauen zu lassen. Dabei blieb es nicht, denn rund um Stuttgart entstanden unter Carl Eugen weitere Prunkbauten wie das Schloss Solitude samt der sogenannten Solitudeallee, die schnurgerade auf 13 Kilometern Länge das Schloss Solitude mit dem Barockschloss in Ludwigsburg verbindet, noch heute existiert und 1820 als Grundlage der württembergischen Landvermessung diente. Bekannt ist das Schloss Solitude zudem für die zu ihm führende Solitude-Rennstrecke, auf der von 1922 bis 1965 die berühmten Solitude-Rennen stattfanden. Bekanntestes Bauwerk von Carl Eugen war jedoch das Neue Schloss in Stuttgart, das direkt neben das Alte Schloss gebaut wurde und ab 1775 zum Sitz des württembergischen Adels wurde. Es bildet mit dem vorgelagerten Schlossplatz heute den Mittelpunkt Stuttgarts, beherbergt das Finanzministerium (und bis 2012 das Kultusministerium) und wird von der Landesregierung bei besonderen Anlässen genutzt, weshalb es für die Bevölkerung nicht frei zugänglich ist. In Ludwigsburg wiederum ist das möglich, denn 1775 verlor man endgültig seinen Status als Haupt- und Residenzstadt. Die große Gartenanlage des Barockschlosses ist nun ein großer Besuchermagnet, unter dem Motto „Blühendes Barock“ werden dort regelmäßig schöne Formschnitte und Skulpturen gezeigt. Da ich den ganzen Nachmittag frei habe und am Abend der MTV Ludwigsburg spielt, will auch ich mir heute das Barockschloss anschauen. Es bleibt aber bei einem Blick auf den Garten, denn mehr macht unter Corona-Bedingungen einfach keinen Spaß. So bleibt immerhin Gelegenheit, mal einen ausführlichen Blick auf Ludwigsburg und das Umfeld des Schlosses zu werfen. Durchaus interessant, weil es immer noch viele Spuren aus der Anfangszeit der Stadt zu entdecken gibt – schon angefangen bei der Form der Straßen. Das frisst mehr Zeit als gedacht und so komme ich erst auf den letzten Drücker am Ludwig-Jahn-Stadion an. Das wird ja inzwischen nicht mehr bespielt, weil es die Spvgg 07 Ludwigsburg seit 2019 nicht mehr gibt. 1971 stiegen die „Lombaburger“ in die damals zweitklassige Regionalliga Süd auf und spielten dort gegen Vereine wie 1860 München, 1.FC Nürnberg und Karlsruher SC. Mehrmals war das Ludwig-Jahn-Stadion mit 15.000 Zuschauern ausverkauft, doch nach nur zwei Jahren war es schon wieder vorbei mit dem Gastspiel auf der großen Fußballbühne. Zwischen 1974 und 1991 nahm die Spvgg 07 Ludwigsburg viermal am DFB-Pokal teil und erreichte 1991 nach 3:2-Heimsieg gegen Eintracht Braunschweig die zweite Runde, verlor dort aber mit 1:6 gegen Eintracht Frankfurt. In den 1990er-Jahren kehrten die Nullsiebener noch einmal in die nun drittklassige Regionalliga zurück, nahmen dort aber 1997 endgültig ihren Hut. Noch aus dieser Zeit haben die „Lombaburger“ eine kleine Fanszene, die von der Legion Gelbe Adler angeführt wurde. Beeindruckend ist nicht nur, dass die LGA zu den Ultras-Gruppen in Baden-Württemberg gehörten und echte Pionierarbeit auf dem Gebiet geleistet wurde, sondern dass so nah an Stuttgart überhaupt eine dritte (unabhängige) Fanszene neben VfB und Kickers entstehen konnte. Vollen Respekt dafür. Die Vereinsführung arbeitete dagegen überhaupt nicht weitsichtig und die zuletzt bis in die Bezirksliga abgestürzten Nullsiebener hatten 250.000 Euro Schulden angehäuft, die man als Achtligist natürlich nicht tilgen kann. Im vergangenen Jahr schloss sich die heruntergewirtschaftete Spvgg 07 daher dem MTV Ludwigsburg an. Der MTV ist als Großspartenverein der größte Verein der Stadt, Fußball spielt er allerdings erst seit 2017, nachdem er bereits den SC Ludwigsburg geschluckt hatte. Dieses ganze Ludwigsburger Vereinsgewirr ist etwas kompliziert, obendrauf hat bei beiden Fusionen der OB-Kandidat der CDU mitgemischt, was auch noch eine politische Komponente hineinbringt. Die Stuttgarter Zeitung hat darüber ausführlich berichtet (siehe hier), hier die Kurzform: Der MTV übernimmt die Schulden, aber auch das gesamte Inventar der Spvgg 07 Ludwigsburg. Ihr Name wird ersatzlos gestrichen. Einziges Zugeständnis ist, dass nicht in den MTV-Farben Rot und Weiß, sondern den den Nullsieben-Farben Gelb und Schwarz gespielt wird. Mehr soll nicht mehr an den traditionsreichen Verein erinnern. Ein Kompromiss, den die Fanszene wenig überraschend nicht mitgehen kann und alle Aktivitäten einstellt. Viel war von ihr aber ohnehin nicht mehr übriggeblieben. Inzwischen wurde aber offenbar auch der Trikot-Kompromiss über Bord geworfen, zumindest heute spielt der MTV in roten Trikots. Auch das Ludwig-Jahn-Stadion nutzt der MTV nicht, er spielt stattdessen auf seinem eigenen Gelände, das sich genau daneben befindet. Der eigenwillige Name lautet MTV-Kunstrasenplatz 2. Auf dem ausbaulosen Platz 1 spielen die zweite und dritte Mannschaft des MTV. Auf dem Platz 2 gibt es zwar einen kleinen Ausbau in Form von Stehstufen, mit dem Ludwig-Jahn-Stadion kann das aber natürlich nicht einmal ansatzweise mithalten. Ohnehin schwierig, Sympathie zum MTV zu entwickeln, auch wenn es nicht er, sondern die Nullsiebener selbst waren, die den Karren vor die Wand gefahren haben. Schade ist es trotzdem um die Vereinsgeschichte, das Stadion und vor allem die Fanszene.