Deutschland, Oberliga-Aufstiegsrunde (5.Liga)
Dienstag, 14. Juni 2022, 19 Uhr
Trier, Moselstadion
9-Euro-Ticket, Tag 14 – und heute bleibt der gelobte Fahrschein dann wirklich mal in der Tasche. Es geht für exakt einen Monat in die baden-württembergische Heimat und da nehme ich mein Auto natürlich mit. Welch Zufall, dass das entscheidende Relegationsspiel um den Aufstieg in die Regionalliga Südwest ausgerechnet heute stattfindet und mehr oder weniger auf dem Weg liegt. Nein, Zufall ist das natürlich nicht, sondern ich habe den Tag meiner Abreise aus Bielefeld bewusst so gelegt. Meinem Herzensverein Stuttgarter Kickers folge ich ja wirklich nur noch ganz selten. Zu sehr missfällt es mir, welche Entwicklung sowohl der Verein an sich als auch die Fanszene genommen haben. Da ist die Identifikation nicht mehr groß genug, um mich weiter aktiv einzubringen. Und leider stehe ich mit der Ansicht nicht alleine da. Sicherlich: Gerade in den vergangenen Jahren hat sich rein oberflächlich betrachtet insbesondere in der Fanszene vieles zum Positiven entwickelt, aber in Summe gibt es noch immer viel zu viele offene Baustellen. Wirklich schade, denn in Stuttgart (und dem direkten Umland) mit seinen über zwei Millionen Einwohnern steckt so viel mehr Potenzial als das, was die Kickers abbilden. Dennoch: Bei Spielen, die für die Vereinsgeschichte prägnant werden, bin ich weiterhin dabei – und ein solches ist dieses Spiel in Trier. Denn hier könnte der historische Tiefpunkt der Vereinsgeschichte hinter sich gelassen werden, nämlich der 2018 erfolgte erstmalige Absturz in die Fünftklassigkeit. Gerade einmal 26 Jahre nach dem Abstieg aus der Bundesliga. Für alle, die schon vor der Jahrtausendwende zu den Kickers gegangen sind, ist das eigentlich immer noch unfassbar. Und erst recht für die Ehrenmitglieder, die die Kickers noch vor 1950 gesehen haben, als sie die Nummer 1 der Stadt waren. Doch eben jene Saison 1949/50 stellte das Kräfteverhältnis in Stuttgart auf den Kopf: Der VfB wurde zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte deutscher Meister, die Kickers erlebten zum ersten Mal in ihrer Vereinsgeschichte einen Abstieg. Ähnlich dann die Saison 1991/92: Der VfB wurde deutscher Meister, die Kickers stiegen aus der Bundesliga ab. Diese Zeit habe ich leider knapp verpasst, aber zumindest habe ich die Kickers als den typischen Zweitligisten erlebt, die damals noch – hinter Fortuna Köln – auf Platz 2 der ewigen Tabelle der 2.Bundesliga standen. Inzwischen sind sie dort nur noch Achter. Entscheidender ist aber, dass sie in dieser Saison in der Oberliga Baden-Württemberg 91 Punkte geholt haben und dennoch nur als Tabellenzweiter angeschlossen haben. Der SGV Freiberg ist zwar punktgleich, hat aber die bessere Tordifferenz und steigt damit direkt in die Regionalliga Südwest auf. Die Kickers müssen damit zusammen mit Eintracht Trier und Eintracht Stadtallendorf in diese furchtbar dämliche Regelation gehen, in der jeder nur einmal gegen jeden spielt. Ungute Erinnerungen werden wach an das Jahr 2019, als die Kickers ebenfalls in diese Relegation mussten und alle drei Spiele zwischen den drei beteiligten Mannschaften unentschieden endeten. Es zählte damit die Anzahl der geschossenen Auswärtstore, was natürlich ziemlich unfair ist, wenn man nicht gegen jeden Gegner sowohl zu Hause als auch auswärts spielt. Eine ähnliche Verzerrung gibt es in dieser Saison: Anders als die Kickers und Eintracht Trier war für Eintracht Stadtallendorf von Anfang an klar, dass es eigentlich um nichts geht. Entsprechend wenig motiviert gingen die Hessen in die Relegation und verloren das erste Spiel gegen die Kickers mit 0:3. Bei diesem unfairen Modus war damit für Eintracht Trier klar, im zweiten Relegationsspiel gegen Eintracht Stadtallendorf höher als 3:0 gewinnen zu müssen, damit im entscheidenden dritten Spiel gegen die Kickers auch ein Unentschieden reicht. Klare Wettbewerbsverzerrung. Und da Eintracht Stadtallendorf, für das es im zweiten Spiel erst recht um nichts mehr geht, dann auch mit 0:5 gegen Eintracht Trier unterliegt, tritt genau diese Situation. Obendrauf bekommt Eintracht Trier das Heimspiel gegen die Kickers, womit die Blauen einen weiteren Nachteil haben. Rund 1.000 Stuttgarter machen sich insbesondere per Bus-Konvoi auf den Weg an die Mosel. Ehrlich gesagt finde ich das in Anbetracht des Stellenwerts dieses Spiel als keine hohe Zahl. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass der Verein die Busse kräftig subventioniert und obendrauf die Kosten für 1.000 Gästetickets übernommen und somit als Freikarten verteilt hat. Von Stuttgart aus gibt’s das ganze Paket also mehr oder weniger gratis und dafür sind 1.000 Leute nun wirklich nicht viel. Anders sieht es auf der Heimseite aus, wo eine noch größere Euphorie spürbar ist und das Moselstadion wirklich aus allen Nähten platzt. Lücken gibt es nur im Gästeblock. Anzumerken ist auch, dass die Kickers zu diesem wichtigen Spiel nicht im eigenen Mannschaftsbus reisen, sondern in dem des Volleyball-Bundesligisten MTV Stuttgart. Was für eine blamable Außendarstellung. Die Trierer Ultras lassen es sich trotzdem nicht nehmen, den MTV-Bus mit einem dicken „SVE“ vollzuschmieren. „Nur der SVE“ ist dann auch auf der Blockfahne zu lesen, die im Trierer Block zu Spielbeginn hochgezogen wird, während es im Gästeblock zunächst blaue Wurfrollen und anschließend rote Bengalos zu sehen gibt. In den folgenden 90 Minuten wissen vor allem die Trierer optisch zu überzeugen, wobei mir besonders die hohe Zahl an Zaunfahnen gefällt, die fast das gesamte Stadion umspannen – darunter direkt vor den Ultras auch zwei Fahnen aus Metz. Ebenfalls stark anzuschauen, wie überfüllt das Stadion ist und wie überall Leute auf Zäunen, unterm Dach und sogar (zumindest bis zu mahnenden Worten des Stadionsprechers) auf dem Bierstand sitzen. Auch auf Kickers-Seite wurde einige alte Zaunfahnen herausgekramt, wobei die Anzahl mit Blick auf den Stellenwert des Spiels auch in diesem Punkt unterdurchschnittlich ist. Akustisch schaffen es die Trierer immer wieder, weite Teile der Gegengerade in den Support einzubinden, während bei den Kickers eigentlich nur die vom Spielfeld aus betrachtet linke Hälfte des Gästeblocks mitmacht. Ich verstehe auch absolut die Liedauswahl nicht. Bei so einem Spiel muss man doch viel mehr auf brachiale Schlachtrufe setzen, an denen sich möglichst viele Leute beteiligen. Stattdessen versucht man es mit komplizierteren melodischen Sachen, die obendrauf bei den Kickers oft ziemlich einschläfernd wirken. Hier geht der Punkt also ganz klar an Trier. Auf dem Rasen können die Kickers nicht die nötigen Akzente setzen und bis kurz vor Schluss steht es 0:0, was den Trierern zum Aufstieg reicht. Als sie in der 87. Minute auch noch das 1:0 machen, ist die Sache eigentlich durch und die ersten Heimfans springen schon freudig über den Zaun. Dass in der Nachspielzeit die Kickers noch zum 1:1 ausgleichen, macht die Angelegenheit nicht mehr wirklich spannend, denn das macht die Kuh auch nicht mehr fett. Die Trierer setzen nach Abpfiff unmittelbar zum Platzsturm an, womit auch die zahlreich anwesende Polizei endlich auf den Plan treten darf. Sie bleibt jedoch überraschend defensiv und hält die Trierer Pöbel-Fraktion recht entspannt vom Gästeblock zurück. Im Gästeblock geht man auf die Pöbeleien nicht ein und hat einfach nur lange Gesichter. Schon wieder ungeschlagen in der Relegation und trotzdem nicht aufgestiegen. Was für ein unsäglicher Modus!