Deutschland, Verbandsliga Sachsen-Anhalt – Meisterrunde (6.Liga)
Samstag, 11. Juni 2022, 15 Uhr
Dessau-Roßlau, Stadion am Schillerpark
Nur gut 20 Minuten zu Fuß sind es vom Sportforum der ASG Vorwärts Dessau bis zum Stadion am Schillerpark. Letzteres ist mit 5.000 Plätzen deutlich kleiner als das Paul-Greifzu-Stadion (20.000), das allerdings nicht mehr regelmäßig bespielt wird. Beim SV Dessau merkt man dennoch, dass es hier schon ein paar Nummern professioneller zugeht, wenngleich der Verein längst nicht mehr die Schlagkraft hat wie früher. Bereits 1905 wurde der SV Dessau gegründet, der in den 1930er- und 1940er-Jahren seine erfolgreichste Zeit hatte. Sechsmal wurde er Gaumeister, wodurch er sechsmal an der Endrunde um die deutsche Meisterschaft teilnahm. Für mich als Fan der Stuttgarter Kickers ist der SV Dessau deshalb auch ein Begriff, weil er 1939 mit ihnen sowie dem VfR Mannheim und Admira Wien in einer Gruppe war. Für die Kickers war das die vielleicht entscheidendste Saison in ihrer gesamten Vereinsgeschichte. Zwei Spieltage vor Schluss standen sie schon mit einem Bein im Halbfinale und hätten in den letzten beiden Spielen nur noch einen Punkt holen müssen. Zunächst stand das Heimspiel gegen Admira Wien an, zu dem zwischen 80.000 und 100.000 Zuschauer (die Quellen sind da etwas ungenau) kamen, was bis heute den Zuschauerrekord im Neckarstadion unter Beteiligung eines Stuttgarter Vereins darstellt. Die Kickers verloren gegen Admira Wien, dennoch hätte im letzten Spiel gegen den völlig abgeschlagenen SV Dessau, das aufgrund des Zuschauerandrangs nach Halle verlegt wurde, immer noch ein Unentschieden gereicht. Doch wie immer in der Vereinsgeschichte: Die Kickers verlieren solche wichtigen Spielen, womit Admira Wien ins Halbfinale einzog. Die Stuttgarter Fußballgeschichte wäre mit Sicherheit komplett anders verlaufen, wenn die Kickers hier deutscher Meister geworden wären, zumal sie damals auch zuschauermäßig die Nummer 1 in Stuttgart waren. Stattdessen muss man dem SV Dessau Respekt zollen, der in aussichtsloser Lage noch Sportsgeist bewiesen hat. Der Lohn dafür folgte drei Jahre später, denn 1942 kam er im DFB-Pokal (damals noch Tschammerpokal) bis in Viertelfinale, in dem er an der damaligen Übermannschaft Schalke 04 scheiterte. Aber man merkt: Der SV Dessau war mal ein richtiger Name! Den musste er in der DDR allerdings ablegen und nannte sich nach mehreren Umbenennungen ab 1950 schließlich Motor Dessau. Bis 1954 konnte man sich in der DDR-Oberliga halten und stellte in der Saison 1952/53 mit 32.000 Zuschauern gegen Chemie Leipzig auch den bis heute währenden Zuschauerrekord im Paul-Greifzu-Stadion auf. Dann aber ging es bergab: Gut zehn Jahre lang konnte sich Motor Dessau noch weitgehend in der 2.Liga halten, ehe man in den Niederrungen verschwand und die ASG Vorwärts Dessau zum Platzhirsch wurde. Das änderte sich mit der Wende und 1995 nahm der SV Dessau endlich wieder seinen richtigen Namen an. Der ganz große Wurf gelang bislang zwar nicht, aber immerhin hält man sich – ganz anders als die ASG Vorwärts Dessau – rund um die höchste Spielklasse Sachsen-Anhalts. In der ist man auch in dieser Saison vertreten und nimmt dort sogar an der Meisterrunde teil. Chancen auf den Aufstieg hat der SV Dessau allerdings keine mehr und so geht es für ihn heute (genau wie einst gegen die Stuttgarter Kickers) nur um die goldene Ananas. Und wieder siegt er. Gut 100 Zuschauer wollen sich das anschauen, darunter keine organisierte Fanszene, auch wenn Schmierereien darauf schließen lassen, dass das hier mal der Fall gewesen ist. Damit wird es ein gemütlicher Fußballnachmittag bei herrlichem Wetter, leckerer Fassbrause und knackigen Bratwürstchen, aber halt auch einem völlig belanglosen Spiel auf dem Rasen. Das wussten wir aber vorher. Vorher wussten wir ebenfalls, dass sich die Innenstadt von Dessau lohnt und so unternehmen wir nach Spielende noch einen ausgedehnten Spaziergang durch die Hauptstadt von Anhalt. Für die Bauhaus-Architektur fehlt uns leider die Zeit, erst recht gilt das für das berühmte Bauhaus-Museum, das auch internationale Touristen nach Dessau lockt. Aber auch so lohnt sich die Innenstadt, die sich irgendwo zwischen altem Hauptstadt-Flair mit imposanten Gebäuden aus der Kaiserzeit und auf der anderen Seite noch viel DDR-Vergangenheit bewegt. Sehr spannender Mix!