Deutschland, DFB-Pokal (2. Runde)
Dienstag, 18. Oktober 2022, 18 Uhr
Stuttgart, Waldaustadion
Am 2. Mai 1992 fand das letzte Stuttgarter Stadtderby zwischen den Kickers und dem VfB statt. Die Kickers hatten nominell Heimrecht, trugen aber genau wie der VfB alle ihre Bundesliga-Heimspiele im Neckarstadion aus. 36.500 Zuschauer kamen zu diesem letzten Derby. Zwei Wochen später war die Saison vorbei. Der VfB wurde deutscher Meister, die Kickers stiegen aus der Bundesliga ab – mit nur einem Punkt Rückstand auf die SG Wattenscheid, der damit knapp der Klassenerhalt gelang. Inzwischen ist klar: In der Liga wird es so schnell kein erneutes Stadtderby geben, denn da liegen Blau und Rot zu weit auseinander. Aber vor jeder DFB-Pokal-Auslosung werden die Daumen gedrückt, dass die Losfee die Kugeln der beiden Stuttgarter Vereine direkt nacheinander zieht. Und in diesem Jahr ist die Hoffnung besonders groß. Vielleicht, weil die Derby-Abstinenz in diesem Jahr ein Jubiläum hat? Denn das letzte Aufeinandertreffen von Blau und Rot liegt wie gesagt fast genau 30 Jahre zurück. Übrigens feiert auch das erste Stuttgarter Derby Jahrestag und ist nun 110 Jahre her: Am 15. September 1912 trafen erstmals der damalige württembergische Serien-Meister Kickers und der neu gegründete VfB (entstanden 1912 aus einer Fusion von Kronenclub Cannstatt und FV Stuttgart) aufeinander. Nein, es liegt aber nicht die Historie, dass die die Kickers-Gemeinde in diesem Jahr so sehr im Derby-Fieber ist. Nach dem Erstrundensieg gegen die Spvgg Fürth hatte ja auch Kickers-Kapitän Kevin Dicklhuber noch auf dem Rasen in Interviews über ein mögliches Pokal-Derby und sogar einen möglichen Pokal-Sieg gegen den VfB gesprochen. Doch dann die Enttäuschung bei der Auslosung: Es wird Eintracht Frankfurt. Klar, es gibt immer Fans, die sich über wirklich jedes Los freuen und jedem Gegner etwas Positives abgewinnen können. Meine Meinung: Sportlich hat man gegen Eintracht Frankfurt keine Chance und auf den Rängen erst recht nicht. Wenn es dumm läuft, verliert man sogar noch Material. Das einzig Positive ist, dass man die meiner Meinung nach beste Fanszene Deutschlands auf der Waldau zu Gast hat und sie zeigen kann, was in diesem Stadion möglich ist. Wenig überraschend ist heute deutlich mehr Polizei auf der Waldau präsent als gegen die Spvgg Fürth – sogar hoch zu Ross. Um das vorweg zu nehmen: Eine wirklich feindselige Stimmung ist auf beiden Seiten nicht zu vernehmen. Die Frankfurter singen zwar mal ein Lied gegen Schwaben, aber das ist halt typisch Frankfurt und das war’s auch schon. Dazu gibt’s von ihnen das Spruchband „Grüße nach Stammheim“ in Anspielung auf den dortigen RAF-Knast. Auch das halt so eine typische Frankfurter Klischee-Aktion. Ansonsten gibt es im rappelvollen Gästeblock keine besonderen Aktionen zu sehen, auch nicht beim Einlaufen der Mannschaften. Es sind aber das ganze Spiel über viele Schwenkfahnen in der Luft und auch die hohe Mitmachquote fällt auf. Insgesamt ein solider Auftritt ohne Ausreißer nach oben oder unten. Man darf ja nicht vergessen: Für Eintracht Frankfurt ist das hier kein besonders Spiel, sondern nur lästige Pflicht gegen einen Fünftligisten. Ganz anders auf Heimseite, wo der B-Block im Gegensatz zum Spiel in der ersten Runde gegen die Spvgg Fürth eine Choreo zeigt. Und zwar eine richtig gelungene, die weite Teile der Gegengerade umfasst. Gezeigt werden vier besondere DFB-Pokal-Momente: Der Einzug ins Finale 1987 gegen den Hamburger SV, die Saison 1999/2000 mit den Siegen gegen Borussia Dortmund, Arminia Bielefeld und den SC Freiburg, was das Erreichen des Halbfinales gegen Werder Bremen bedeutete (mit einem weiteren Sieg wären die Kickers bereits für den Europapokal qualifiziert gewesen), die Saison 2006/07 unter Trainer Robin Dutt mit dem Sieg gegen den Hamburger SV und eben die laufende Saison mit dem Sieg gegen die Spvgg Fürth. Stark umgesetzt, sieht wirklich gut aus! Dass auch akustisch heute einiges drin ist, zeigt sich schon vor Anpfiff, als man dem Gästeblock ein brachiales „Hier regiert der SVK“ entgegenwirft. Und das in einer Lautstärke, die ich auf der Waldau bislang selten gehört habe. Insgesamt zeigt der B-Block heute eine seiner besseren Momente, obwohl Eintracht Frankfurt bereits nach 17 Minuten mit 2:0 führt und das Pokal-Aus damit früh besiegelt ist. Weitere Tore fallen danach nicht mehr, es wird dann eine furchtbar zähe Partie. Das gilt aber wie gesagt nicht auf den Rängen, auf denen ganz objektiv betrachtet von beiden Seiten ein wirklich gutes Spektakel geboten wird. Das findet seinen Höhepunkt zu Beginn der zweiten Halbzeit, als beide Seiten rote Bengalos abfackeln und das Spielfeld danach wirklich minutenlang vernebelt ist. Nach Abpfiff kehrt bei mir ein bisschen Resignation ein, weil der DFB-Pokal-Zirkus wohl so schnell nicht mehr auf der Waldau gastieren wird. Zweimal innerhalb kürzester Zeit war er jetzt da, aber da sich die Blauen ja immer so schwer im württembergischen Landespokal tun, wird es wohl ein paar Jahre dauern, bis es wieder soweit ist. Darum genieße ich nach Abpfiff noch ein bisschen die besondere Atmosphäre auf der Waldau. Auf der haben ja mehrere Stuttgarter Vereine ihre Heimat und bei Kickers-Heimspielen ist bei ihnen immer mehr los als bei ihren eigenen Heimspielen. Die Vereinsheime der Nachbarvereine bieten dann meist eine Außengastronomie an, öffnen ihre Biergärten oder lassen sich etwas anderes einfallen. Bei großen Spielen wie im DFB-Pokal legen sie noch eine Schippe drauf und so wird auch heute noch bis tief in die Nacht gegrillt und gezapft. Und auch unten in der Innenstadt sieht man überall noch Leute mit blauen Schals. So wie früher in der 2.Bundesliga. Schöne Zeiten.