Italien, Serie C – girone C (3.Liga)
Samstag, 8. Oktober 2022, 14.30 Uhr
Monopoli, Stadio Vito Simone Veneziani
Wie bereits erwähnt stand ich vor der schwierigen Aufgabe, Freundin und Tochter, die noch nie in Italien waren, in nur 9 Tagen das Land zu zeigen. Wo anfangen, wo aufhören, was alles mit einbauen? Klar war für mich aber, dass der Schwerpunkt auf Süditalien liegen muss und so verbringen wir diese zweite Hälfte der Reise in Apulien. Doch auch da haben wir die Qual der Wahl, denn es gibt so unfassbar viele schöne Orte. Um nichts dem Zufall zu überlassen, steuern wir zunächst einen Ort an, in dem ich schon war und von dem ich weiß, dass er wunderschön ist: Gallipoli – gelegen im äußersten Süden Apuliens. Süd-Süditalien. Die Besonderheit ist, dass die Altstadt auf einer eigenen Insel liegt, die über eine Brücke mit dem Festland-Teil von Gallipoli verbunden ist. Komfortablerweise ist die Stadt an das italienische Bahnnetz angeschlossen und so tuckert alle zwei Stunden von Lecce aus ein uraltes Züglein mit 30 km/h vorbei an unzähligen Kakteen zum Kopfbahnhof von Gallipoli, der sich kurz vor der Brücke zur Altstadt-Insel befindet. Für zwei Nächte haben wir uns ein Apartment direkt am Meer im Festland-Teil gegönnt, wobei das zum überraschend niedrigen Preis zu haben ist. Die Hauptsaison ist halt schon vorbei. Wir nehmen das Tempo hier ein ganzes Stück raus, lassen es uns insbesondere in der Altstadt gutgehen und genießen die Zeit in dieser wunderschönen Stadt. So ganz sein lassen kann ich es allerdings nicht und schalte mal die Tuttocampo-App mit ihrer Umkreissuche ein. Und siehe da: Ausgerechnet am ersten Abend findet im apulischen Regionalpokal das Stadtderby zwischen den beiden Fünftligisten aus Gallipoli statt. Bei Gallipoli Calcio gibt es eine Ultras-Szene – wie wir auch unschwer an den vielen Aufklebern in der Altstadt erkennen können. Allerdings war ich wie gesagt vor ein paar Jahren schon einmal in Gallipoli und habe den Ground schon abgehakt. Zu viel sollte man von diesem Stadtderby nicht erwarten, zumal nur einer von beiden eine Szene hat. Und ob die im Pokal wirklich presente ist, steht auch noch mal auf einem anderen Blatt Papier. Damit bekommt ein schöner Abend in einer Pizzeria den Vorzug. Nach zwei Tagen Gallipoli starten wir dann am Sonntagmorgen wieder ein Stückchen in Richtung Norden – nach Monopoli (48.000 Einwohner) in der Provinz Bari. Damit betrete auch ich zum ersten Mal bei dieser Reise Neuland. Über den Namen der Stadt schmunzelt man natürlich wegen dem gleichnamigen Brettspiel, an und für sich hat sie mir vor dieser Reise aber nichts gesagt. Ich erinnere mich noch an Fotos von den 1987 gegründeten Bad Boys Monopoli, die ich um die Jahrtausendwende herum total fasziniert im Supertifo und Fan’s Magazine sah, die ich mir immer im Stuttgarter Hauptbahnhof gekauft hatte. Damals gab es ja noch Direktverbindungen vom Stuttgarter Hauptbahnhof nach Italien, bis in die 90er sogar runter bis Lecce. Dementsprechend gab es eine gute Italien-Abteilung in der Buchhandlung im Stuttgarter Hauptbahnhof. Die Fotos von Monopoli fand ich super, natürlich auch wegen dem Namen der Stadt. Einfach exotisch. Einen ersten direkten Kontakt zu den Bad Boys gab es dann vor etwa 15 Jahren beim Sommerturnier der Ultras Udinese, an dem auch wir von den Stuttgarter Kickers mit einer kleinen Delegation teilnahmen. Da wir aber zu wenige Spieler für eine eigene Mannschaft waren, bildeten wir eine Spielgemeinschaft mit anderen Gruppen, die ebenfalls mit zu wenigen Spielern angereist waren. Das waren in unserem Fall die NOCS 1983 Messina und eben die Bad Boys Monopoli, mit denen wir zwei Tage lang in einer Mannschaft spielten. Leider blieb dieser Kontakt nicht bestehen, aber das waren schon richtig coole Typen. Heute geht’s dann also das erste Mal in die Stadt Monopoli und die sagte mir im Vorfeld wie gesagt wirklich gar nichts. Ich hatte mich mit ihr auch nicht sonderlich beschäftigt. Allein der Spielplan hat uns am in Italien fußballarmen Samstag hierhergebracht und ich hatte schon überlegt, in einer anderen Stadt zu übernachten. Letztendlich bekommt dann doch eine Unterkunft in Monopoli den Zuschlag, aber nur deshalb, um das Gepäck nicht mit ins Stadion nehmen zu müssen, sondern es im Zimmer lassen zu können. Und dann betreten wir das erste Mal die Altstadt von Monopoli – und sind einfach nur baff. Meine Fresse, das ist ja eine absolute Top-Destination! Wie konnte denn das so sehr an mir vorbeigehen? Die direkt am Meer gelegene Altstadt besteht aus lauter engen Gassen, hellen Fassaden und hat einen Hauch von Mykonos. Die Mädels machen das einzig Richtige und sagen deutlich: „Zum Fußball kannste heute alleine gehen. Wir schauen uns lieber die Altstadt an!“ Passenderweise ist auch unsere Unterkunft mitten in der Altstadt ein absoluter Traum, liegt sie doch in einem wunderschönen Gewölbekeller, der richtig gut modernisiert wurde. Mich zieht’s aber ins Stadio Vito Simone Veneziani, wo ich schon sehr gespannt darauf bin, was mich auf den Rängen erwartet. Und da erwartet mich leider mehr als erwartet, denn die Ultras von Monopoli haben sich in mehrere Teile gespalten. Die Bad Boys, die noch 2017 zum 30-jährigen Bestehen ein 1300-seitiges (!) Buch über ihre Gruppengeschichte herausgegeben haben, sind optisch nicht mehr präsent. Bei den von der Curva Nord auf die Gegengerade gewechselten Ultras, die heute mit etwa 50 Leuten hinter einer schlichten „Gradinata Est“-Fahne stehen, sind aber mehrere Leute zu sehen, die Klamotten der Bad Boys tragen. Auch kleben Sticker der Bad Boys in ihrem Bereich. In der der Curva Nord geblieben sind die beiden Gruppen Army Korps 1980 und Ultras Monopoli 1993, zusammen ebenfalls rund 50 Leute. Und dann gibt es im ganzen Stadion verteilt weitere kleine Mobs von 5 bis 10 Leuten, die hinter Zaunfahnen stehen und supporten. Keiner macht mit dem anderen gemeinsame Sache, jeder kocht sein eigenes Süppchen und singt seine eigenen Lieder. Völlig absurde Situation, weil das alles so nichts Halbes und nichts Ganzes ist. Was wäre das für ein geiler Haufen, wenn alle zusammen in der Kurve stehen und an einem Strang ziehen würden. Denn eines merkt man trotz des Kauderwelsch: Hier ist jede Menge stile di vita am Start! Ein richtig guter Sound, der in allen Ecken des Stadions zu hören ist, aber in Summe einfach nicht schön, wenn alle durcheinander singen. Was ebenfalls auffällt: Irgendwie sind nur Ultras im Stadion. Denn abgesehen von den kleineren und größeren Mobs hinter den Zaunfahnen herrscht auf den Rängen eine ziemliche Leere. Auch das ist vollkommen kurios. Und dann sind da auch noch die fünf Gäste-Ultras aus dem 570 Kilometer entfernten Viterbo (nördlich von Rom), die dem ganzen Durcheinander noch einen draufsetzen. Seltsames, aber auch sehr interessantes Schauspiel – mit wie gesagt eigentlich richtig gutem Sound. Süditalien! Nach Abpfiff geht es schleunig zurück in die Altstadt und da habe ich den großen Vorteil, mit den Mädels jetzt zwei gute Reiseführerinnen zu haben, die sich die Altstadt die letzten zwei Stunden intensiv angeschaut haben und sich damit schon ein bisschen auskennen. Mein erster Eindruck bestätigt sich nun: Was für eine Stadt! Letztendlich hätte man sich den Schlenker nach Gallipoli fast sparen können und hier volle drei Tage verbringen müssen.