AC Mestre – AC Virtus Bolzano 2:0

Italien, Serie D – girone C (4.Liga)
Sonntag, 2. Oktober 2022, 15 Uhr
Mestre, Stadio Francesco Baracca

Mission dieser Reise ist es, Freundin und Tochter, die bislang noch in Italien waren, in neun Tagen die Schönheit dieses Landes näherzubringen. Da direkt mit Venedig anzufangen ist taktisch eigentlich nicht so klug, denn alles, was danach kommt, kann nur schlechter werden. Ich weiß: Venedig hat nicht nur Freunde, denn natürlich ist es von Touristen vollkommen überlaufen, dadurch teuer und es mag auch wenig ursprünglich wirken, weil man Menschen aus aller Welt, aber keine Einheimischen trifft. Dennoch: Eine Stadt, in der es keine Straßen, sondern nur Kanäle gibt – das ist einfach einmalig. Und das alles wurde schließlich nicht für Touristen gebaut, sondern hatte alles einst seinen Sinn und Zweck. Ich jedenfalls bin ein riesiger Fan von Venedig! Bevor es aber in die Lagune geht, wartet auf die Mädels der hässliche Teil der Stadt: Mestre. Wir wollen ja schließlich nicht direkt mit dem Highlight einsteigen – und außerdem hat der AC Mestre ein Heimspiel in der Serie D. So richtig blicke ich da immer noch nicht durch, ob Mestre nun offiziell ein Teil von Venedig oder eine eigenständige Stadt ist. Dass sich der AC Venezia und der AC Mestre zeitweise zum AC Veneziamestre zusammenschlossen, was wohl auch von den Fans vollkommen akzeptiert war, macht die Verwirrung bei mir komplett. Im Bahnhofverkehr läuft der Bahnhof von Mestre jedenfalls unter dem Namen Venezia-Mestre und was viel wichtiger ist: Mestre und der Lagunen-Teil haben ein gemeinsames ÖPNV-Netz. Und da lohnt sich insbesondere aus finanzieller Sicht ein genauer Blick. Der ÖPNV im Lagunen-Teil wird mit Wasserbussen (Vaporetti) bewerkstelligt, die nach festen Routen und Fahrplänen durch den Canal Grande und rund um die Inseln fahren. Als Haltestellen dienen im Wasser schwimmende Plattformen. Den Lagunen-Teil selbst kann man auf zwei Arten erreichen: Mit den Zügen der Staatsbahn, über den Bahnhof Mestre den Hauptbahnhof Santa Lucia direkt am Canal Grande anfahren, oder mit der Straßenbahn von Mestre, die über die gleiche lange Brücke wie der Zug in den Lagunen-Teil fährt, dort aber eine eigene Endstation hat. Die befindet sich unweit des Hauptbahnhofs Santa Lucia auf der anderen Seite des Canal Grande. Die Wasserbusse im Lagunen-Teil sind arschteuer: Eine Einzelfahrt kostet 9,50 Euro, ein Tagesticket 25 Euro. Es gibt aber auch ein eigenes Tagesticket nur für Mestre, das mit 5 Euro erheblich günstiger ist. Mit diesem Ticket kann man auch mit der Straßenbahn zur Endhaltestelle im Lagunen-Teil fahren. Da wir zwei Tage in Venedig haben, ist der Fall damit klar: Am ersten Tag, an dem ja auch das Heimspiel des AC Mestre ansteht, muss der sogenannte Mestre Daily Pass für 5 Euro reichen und am zweiten Tag kann man dann über den Venezia Daily Pass für 25 Euro diskutieren. Das große Problem ist nur, an den Mestre Daily Pass zu kommen, denn am Bahnhof Mestre will uns jeder nur den Venezia Daily Pass verkaufen. Manch eine der vielen Verkaufsstellen in den Kiosken scheint den Mestre Daily Pass sogar überhaupt nicht zu kennen. Selbst an der offiziellen Verkaufsstelle des Verkehrsbetriebs ACTV am Bahnhof Mestre winkt man ab. Mir ist klar, dass kein Tourist nur in Mestre bleiben will, aber wenn es dieses Ticket gibt, dann muss es doch auch irgendwo verkauft werden. Auch über die App des ACTV kommen wir zunächst nicht weiter. Alle drei laden wir uns die App herunter und versuchen eine halbe Stunde (!) lang, den Mestre Daily Pass zu buchen, ehe meine Freundin dann endlich ruft: „Ich hab’s!“ Unnormal kompliziert! Und dass man das Ticket an keinem Schalter kaufen kann, ist eine absolute Frechheit. Ähnlich wie bei den ÖPNV-Preisen verhält es sich bei den Übernachtungspreisen: Der Lagunen-Teil ist utopisch teuer, Mestre einigermaßen verträglich, aber auch weit entfernt von günstig. Wir entscheiden uns für die absolute Ein-Stern-Variante und landen in einem richtigen Loch im Chinesen-Viertel direkt am Bahnhof Mestre. Loch im wahrsten Sinne des Wortes, denn mitten im Zimmer befindet sich ein riesiges Loch im Fußboden. Aber wie gesagt: Es muss erst richtig weh tun, bevor die Mädels das richtige Venedig sehen. Mit der Straßenbahn geht es anschließend zum Stadio Francesco Baracca des AC Mestre, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mal für eine Saison in der Serie B und zuletzt 2018 in der Serie C spielte. Aufgrund finanzieller Probleme erfolgte daraufhin der Zwangsabstieg in die fünftklassige Eccellenza. Bekannt ist der Verein aber wie gesagt durch seinen Zusammenschluss mit dem AC Venezia zum AC Veneziamestre im Jahr 1987. Hintergrund ist, dass beide Vereine damals mit dem Geschäftsmann Maurizio Zamparini, der später auch den FC Palermo übernahm, den gleichen Eigentürmer hatten. Man muss dazu sagen: Beide Vereine mochten sich eigentlich nicht – es handelte sich um Lokalrivalen. Heimstätte des AC Veneziamestre war das Stadio Francesco Baracca in Mestre, da das Stadio Pierluigi Penzo des AC Venezia im Lagunen-Teil umgebaut wurde. Bereits 1987 strich der Fusionsverein das Mestre aus seinem Namen und zog 1991 ins Stadio Pierluigi Penzo. Der AC Mestre wurde daraufhin neugegründet. Es war also nur eine kurze Zeit, in der es den AC Veneziamestre gab, je nach Sichtweise zwei oder vier Jahre. Er hat aber gravierende Spuren hinterlassen, die bis heute sichtbar sind. Denn der AC Veneziamestre spielte in den Vereinsfarben Grün-Schwarz (von Venezia) und Orange (von Mestre). Doch obwohl Mestre gestrichen wurde, behielt Venezia die Farben Grün, Schwarz und Orange. Optisch ist der AC Mestre als weiterhin ein Teil des Vereins. Der neugegründete AC Mestre nahm dagegen wieder sein traditionelles Orange an, das damit heute beide Vereine tragen. Mit dem Zusammenschluss beider Lokalrivalen kam es 1987 auch zum Zusammenschluss der Ultras zur Gruppe Ultras Unione Veneziamestre, die diesen Namen ebenfalls trotz der Streichung von Mestre behielt. Generell akzeptierten die Fans den Verein auch nach der Streichung von Mestre weiterhin nur unter dem Namen Veneziamestre. Schon ein bisschen kurios, weil es heute sicherlich umgekehrt laufen würde – zumindest unter Ultras. Heute steht man solchen Fusionen skeptisch gegenüber, erst recht mit einem Lokalrivalen, und identifiziert sich eher mit dem Verein, wie er vor der Fusion war. Und wenn man bedenkt, dass der AC Veneziamestre in dieser Form ja wirklich nur sehr kurze Zeit bestand, wirkt es seltsam, dass er so identitätsstiftend war. Klares Beispiel für die Erkenntnis: Früher war eben nicht alles besser – auch nicht bei den Ultras in den Italien. Zumindest im Fall Veneziamestre war ihnen sportlicher Erfolg wichtiger als Tradition. Und dieser Erfolg kam, denn innerhalb von zehn Jahren schaffte es der AC Veneziamestre von der Serie C in die Serie A. Das Ende vom Lied ist bekannt: Es folgten mehrere finanzielle Kollapse, Abstiege bis in die Serie D und insgesamt drei weitere Umbenennungen (SSC Venezia, FBC Unione Venezia und nun Venezia FC). Das ist selbst für italienische Verhältnisse krass. Mit der Neugründung des AC Mestre entwickelte sich bei ihm auch wieder eine eigene Fanszene, die heute mit etwa 30 Ultras im Stadio Francesco Baracca präsent ist und für unterhaltsamen Dauersupport sorgt. Gästefans aus Südtirol sind keine dabei, auch wenn man uns für solche hält, weil wir uns natürlich auf Deutsch miteinander unterhalten. Das Stadion ist eine richtig feine Bruchbude, in der drei Seiten für die Zuschauer gesperrt sind. Insbesondere gilt das für die überdachte Gegengerade, die baufällig ist. Zumindest sagt man mir das, als ich mich mal dort hinschleiche, um ein paar Fotos zu machen. Nach dem Spiel geht es mit der Straßenbahn dann endlich in den Lagunen-Teil. Die Wasserbusse sind für uns vorerst tabu, aber auch zu Fuß kann man die Gassen und Kanäle ja wunderbar entdecken. Für einen ersten Eindruck bis zum Einbruch der Dunkelheit auf jeden Fall vollkommen ausreichend. Am nächsten Tag kommen wir um den Venezia Daily Pass aber nicht herum. Für drei Personen werden da mal eben 75 Euro fällig. Das ist eine Ansage. Aber das lohnt sich ehrlich gesagt auch. Und so setzen wir uns in einen Wasserbus zum Lido, der einmal komplett durch den Canal Grande fährt und lassen die Stadt an uns vorbeiziehen. Einfach nur gigantisch! Ein Bierchen und einen Limoncello am Lido, natürlich selbst mitgebracht, um nicht vom mitunter absurden Preisniveau abgezockt zu werden, dann wieder mit dem Wasserbus zurück durch den Canal Grande. Einstimmige Meinung: Das könnten wir den ganzen Tag so machen. Ein bisschen schlendern wir dann aber doch noch zu Fuß an den Kanälen vorbei und müssen feststellen, dass es hier durchaus Ecken gibt, die nicht völlig überteuert sind. So stoßen wir kurz vor dem Markusplatz auf einen Aperol-Spritz-Stand, an dem es Spritz to go schon für 5 Euro gibt. Absolut fair. Übrigens stammt dieses Getränk aus Venedig. Die Stadt gehörte lange Zeit zu Österreich und dort bezeichnet man eine Weinschorle ja als einen Gespritzten. In Venedig goss man Aperol in die Weinschorle und nannte dieses Getränk Spritz – in Anlehnung an seine österreichische Vergangenheit. Im zweisprachigen Südtirol setzte sich dieser Name allerdings nicht durch, da dort die Bezeichnung Gespritzer ja bis heute völlig geläufig ist und die Abwandlung Spritz zu Irritationen führen würde. Man nennt den Aperol Spritz dort also in Anlehnung an seine Geburtsstadt: Veneziano. Und diese alternative Bezeichnung breitet sich inzwischen immer mehr von Südtirol ins restliche Italien aus. Doch ob nun Aperol Spritz oder Veneziano – damit in der Hand macht Venedig gleich noch mehr Spaß und wir sind alle drei hellauf begeistert von dieser Stadt. So sehr, dass wir uns am Abend sogar in eine Touristenfalle setzen und eine Pizza in einem Restaurant essen, das direkt an einem Kanal liegt. Da ist natürlich von Anfang an klar, dass sie nicht viel besser als Dr. Oetker und dazu vollkommen überteuert sein wird (was sich dann auch bewahrheitet), aber das Flair ist es uns wirklich wert. Nur auf die Gondelfahrt verzichten wir, die sich mit 80 Euro pro halbe Stunde zubuche schlagen würde, aber mit der Tageskarte für die Wasserbusse haben wir ja ohnehin die bessere Alternative.