Samstag, 18. Januar 2020, 15 Uhr
Gozzano, Stadio Alfredo d'Albertas
In Deutschland ist noch kaum etwas los, da wird es höchste Zeit für die erste Italien-Tour des Jahres. Die Prämisse: Irgendwas weit im Norden, was man gut mit dem Auto erreichen kann. Samstagmorgen hin und am Sonntag möglichst um Mitternacht herum wieder zu Hause sein. Geht klar. Am Sonntag – Italiens Hauptspieltag – bieten sich in der Lombardei gleich mehrere schöne Konstellationen an, am Samstag muss man aber nehmen, was man kriegen kann. So gesehen ist es ganz großes Glück, dass das Heimspiel von Gozzano auf den Samstag gelegt wird. Zwei Grounds fehlen mir nur noch von der Nord-Hälfte der Liga, Gozzano ist einer davon. Die AC Gozzano stieg im Sommer in die Serie C auf und spielt damit zum ersten Mal in ihrer knapp 100-jährigen Vereinsgeschichte unter professionellen Bedingungen. Es wird wohl ein One-Hit-Wonder werden, denn Gozzano ist aktuell Tabellenletzter und wenn man sich den Ort mit seinen rund 5.000 Einwohnern so anschaut, hat man nicht das Gefühl, dass hier das große Geld sitzt. Irgendwie sinnbildlich dafür steht der drei Kilometer entfernte Lago d'Orta, der sich nie zu einem Magneten für Touristen entwickelt hat. Die Ufer sind steil und schwer zugänglich, die Gegend dadurch generell dünn besiedelt. Hinzu kommt, dass eine in Gozzano ansässige Kunstseidefabrik jahrzehntelang Kupfer und Sulfate in dem See entsorgt hat, was zum Sterben aller Pflanzen und Fische führte. Der Lago d'Orta ist bis heute ein toter See – und so wirkt auch Gozzano. Immerhin: Momentan ist hier alle zwei Wochen etwas los, wenn ein Heimspiel in der Serie C ansteht. Polizei und Carabinieri nehmen das zum Anlass, mal kräfig auf die Kacke zu hauen. Vor und in Gozzano beziehen die Ordnungshüter an jedem Kreisverkehr und an jeder größeren Kreuzung Stellung. Ich muss zwischendurch echt überlegen, ob ich die Paarungen dieser Tour durcheinandergebracht habe und hier doch nicht bloß Pistoiese gastiert. Sieht eher aus wie Napoli... Aber es ist eben auch für die Carabinieri ein One-Hit-Wonder. Die ganz große Show ziehen sie aber am Eingang ab, wo derart strenge Kontrollen stattfinden, wie ich sie in Italien noch nie erlebt habe. Einem Kind vor mir wird sogar eine kleine Dose zum Seifenblasen machen abgenommen – aus Sicherheitsgründen. Den Gala-Auftritt hat man sich jedoch offenbar für mich aufgespart, denn mir will man mein Desinfektionsgel wegnehmen. Wir sprechen hier von einem mittelfingergroßen Fläschchen aus weichem Plastik, das man für zwei Euro im Drogeriemarkt kaufen kann. Harmloser geht's nicht. Da ich das nicht einsehe, geht es ab zum Commissario. Man halte sich fest: Fünf Carabinieri umstellen mich, während drei Zivilbullen meinen Ausweis prüfen und das Plastikfläschchen genau unter die Lupe nehmen. Bella Italia. Erst nach fünfminütiger Diskussion entscheidet der Commissario, dass von Desinfektionsmittel keine Gefahr ausgeht und ich das Fläschchen mit ins Stadion nehmen darf. Dort geht der Wahnsinn weiter, denn man darf zwar hinter dem Tor entlanggehen, um zur provisorisch mit Stahlrohrtribünen errichteten Gegengerade zu kommen, aber dort nicht stehenbleiben. Den Sinn versteht keiner, denn der Bereich ist mit einem Zaun zum Spielfeld hin abgetrennt und auch groß genug, so dass man niemandem im Weg steht. Den Bullen hier muss wirklich tierisch langweilig sein. Trotz der überschaubaren Größe des Ortes gibt es hier mit den Briganti Ultras Gozzano aber wenigstens ein bisschen Fankultur: Rund 15 Leute, die sich um Stimmung bemühen, aber nicht wirklich vom Hocker hauen. Von den Gästen hatte ich nicht wirklich viel erwartet. Früher, zu Zeiten der 1982 gegründeten Brigata Arancioni, hatte Pistoiese eine richtig gute Kurve mit starken Derbys gegen Prato. Inzwischen lohnt es sich in Pistoia mehr, zum Basketball zu gehen, wo die Stadt in der 1. Liga vertreten ist und die Kurve stärker ist als beim Fußballverein. Immerhin 12 Leute haben heute den 400 Kilometer langen Weg vom nahe Florenz gelegenen Pistoia bis hoch nach Gozzano angetreten. Support: Fehlanzeige. Um noch einmal die Dimensionen aufzuzeigen: 15 Ultras im Heimblock, 12 Gästefans, aber nahezu 50 Polizisten und Carabinieri vor Ort. Es ist schon eine wirklich bizarre Show, die einem hier geboten wird. Das genaue Gegenteil werde ich am Abend in Mailand erleben, wo mich eine echte Wundertüte erwartet: Ab zum Eishockey!