Sonntag, 24. Juni 2018, 19 Uhr
Chișinău, Stadionul Zimbru
Die generalstabsmäßige Planung des
heutigen Tages erweist sich schon früh als gescheitert, denn dank
einer Großdemonstration ist die Innenstadt von Chișinău für den
Verkehr gesperrt. Da die Trolleybusse elektrisch unterwegs sind und
sie somit nur dort fahren können, wo sich Oberleitungen befinden,
findet heute also im Stadtzentrum einfach mal kein ÖPNV statt. Entsprechend groß ist der
Run auf Taxis, die als Fortbewegungsmittel damit faktisch ebenso
ausscheiden, weil sie nicht zu bekommen sind. Bevor sich mit dem Transportproblem beschäftigt wird,
wartet aber noch ein bisschen Programm in der Stadt. Zunächst wird
sich unters Demo-Volk gemischt. Da neben Moldawien- auch viele EU-Fahnen zu
sehen sind, halte ich das zunächst für eine liberale Veranstaltung.
Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine Demonstration der
Nationalisten, für die die EU-Fahne ein pro-westliches und damit
anti-russisches Symbol ist. Hintergrund der Großdemostration sind
die Bürgermeisterwahlen von Chișinău. Mit 52,5 Prozent
der Stimmen setzte sich mit Andrei Nastase der pro-westliche (also
nationalistische) Kandidat durch. Er ließ damit Ion Ceban von den
Sozialisten hinter sich, der für einen engeren Kontakt mit Russland
wirbt. Das oberste moldawische Gericht annulierte jedoch das Ergebnis
– mit der seltsamen Begründung, dass der Wähler durch illegale
Social-Media-Aktivitäten beeinflusst worden sei. Ähnlich
wie in Rumänien, wo es in letzter Zeit auch immer wieder
Anti-Korruptions-Großdemonstrationen gibt, hat sich daraus nun auch
in Moldawien eine Massenbewegung entwickelt, bei der insbesondere
Anti-Mafia-Parolen skandiert werden. Ein Dank geht an der Stelle an
den Wirt der Smokehouse-Pubs in der Strada Vasile Alecsandri, bei dem
zu späterer Stunde auch dieser Abend enden wird. Bei dem Wirt
handelt es sich um einen US-Amerikaner, der einst für eine NGO in
Kasachstan gearbeitet hat und nach Ablauf seines Arbeitsvertrags
unbedingt in der Region bleiben wollte. Also eröffnete er einen
amerikanischen Pub in Chișinău. Der ist zu einem Anlaufpunkt sowohl
für die wenigen Touristen als auch für Diplomaten geworden. Vor
allem die Jungs und Mädels von der schwedischen Botschaft sollen
hier schon legendäre Sauf-Abende gehabt haben, die verklemmten Deutschen sehe
man allerdings nie. Der Pub ist ganz nett, weil er einerseits für
hiesige Verhältnisse recht lange geöffnet hat (das typische
Ost-Problem auch in Chișinău: Gehwege werden zeitig hochgeklappt),
zum anderen erfährt man hier viel über das moldawische
Zeitgeschehen. Übrigens: Der Wirt fragt jeden Touristen, warum er
nach Moldawien gekommen sei. Es gebe immer nur zwei verschiedene
Antworten: Man wolle einmal jedes Land Europas besuchen und Moldawien
hat noch gefehlt (meist als eines der letzten Länder) oder man wolle
in einem möglichst kuriosen Land Urlaub machen. Erstes zählt auch
für mich, die Kombination mit Fußball ist dem Wirt aber neu. Bevor
dann endlich der moldawische El Clasico steigt, darf es noch ein
kurzer Besuch des historischen Nationalmuseums sein, das aber nur
bedingt begeistert. Eigentlich klar: Wo es kaum Touristen gibt, darf mit keiner prickelnden oder gar englischsprachigen Präsentation
gerechnet werden. Interessant ist es jedoch anhand der Ausstellungsstücke
auch ohne weitere Informationen zu sehen, wie die moldawische
Sprache in jüngster Zeit von der kyrillischen zur lateinischen
Schrift gewechselt hat. Heute sieht man das zu sowjetischen Zeiten
noch omnipräsente Kyrillisch kaum noch im Stadtbild von Chișinău.
Gleiches gilt wie angesprochen aufgrund
der Großdemonstration für Trolleybusse, also muss
ein ganzes Stück in Richtung Stadion zu Fuß gemacht werden, ehe der
Verkehr wieder rollt. Das kostet Zeit, die damit nicht mehr für den
angedachten Besuch bei den Zimbru-Ultras reicht. Ich hatte vorab von
mehreren Leuten gehört, dass auch sie Fremden gegenüber recht
aufgeschlossen sind und sich wahnsinnig über Mitbringsel freuen,
weshalb ich einen ganz Satz verschiedenster Ausgaben des BFU-Magazins
nach Moldawien mitgebracht hatte. Zufällig steht direkt vor dem
Stadioneingang gleich ein Typ mit einem T-Shirt der Zimbru-Ultras,
den ich sofort anquatsche. Sympathisch: Kein dummes Gehabe wie in
Deutschland, sondern von Anfang an ein Lächeln. Als ich ihm die
dicke Tüte in die Hand drücke, fällt ihm regelrecht die Kinnlade
runter. Wie viele er sich davon nehmen darf? Na, alle – aber schön
mit den anderen teilen. So leuchtende Augen habe ich erst selten
gesehen, aber umso lieber macht man das ja. Deutlich entspannter als
gedacht geht es im Stadion zu. Die Eingangskontrollen sind lasch, an
einer Kamera stört sich niemand, auch ist weniger Polizei da als
erwartet. 1.688 Zuschauer wollen das Spiel sehen, was für die 1.
Liga Moldawiens in Ordnung ist. In der ist möglich, was in
dem Land in vielen anderen Bereichen nicht möglich ist: Moldawische
und transnistrische Vereine spielen zusammen in einer Liga, als wenn es das
Normalste der Welt wäre. Serienmeister Sheriff, der vergangene
Saison in die Gruppenphase der Europa League einzog und nur aufgrund
der schlechteren Tordifferenz nicht ins Sechzehntelfinale kam, wäre
aber sonst wahrscheinlich nicht im internationalen Geschäft
vertreten, weil die UEFA eine eigene transnistrische Liga mit
Sicherheit nicht anerkennen würde. Aushängeschild des Landes war
allerdings lange Zeit der 1947 gegründete FC Zimbru, der sogar –
unter wechselnden Namen wie Moldova Chișinău – einige Jahre in
der 1. Liga der Sowjetunion spielte. Seit der Saison 1991/92 besitzt
Moldawien eine eigene Liga, in der der FC Zimbru bis zum Jahr 2000
mit nur einer Ausnahme jedes Jahr Meister wurde. Dann allerdings
folgte die Wachablösung und der erst 1996 gegründete FC Sheriff
wurde zum neuen Serienmeister. Nur zweimal konnte der Verein aus der
transnistrischen Hauptstadt zwischen 2001 und 2017 nicht moldawischer
Meister werden. Das liegt aber vor allem daran, dass Geld beim FC
Sheriff keine Rolle spielt. Der Verein gehört dem Sheriff-Konzern,
der 1993 von zwei Ex-Polizisten gegründet wurde. Zu dem
ausschließlich in Transnistrien tätigen Konzern gehören eine
gleichnamige Supermarkt- und Tankstellenkette, Bäckereien und eine Likörfabrik. Sheriff besitzt den einzigen
Mobilfunk-Anbieter Transnistriens, einen eigenen Fernsehsender und
obendrauf ist man offizieller Mercedes-Partner Transnistriens.
Hauptsächlich wird dem Konzern, der in vielen Bereichen Monopolist
ist, jedoch Geldwäsche im ganz großen Stil und ein gewaltiger
Einfluss auf die transnistrische Politik nachgesagt. Da bloß von
„Mafia Transnistriens“ zu sprechen ist wohl etwas untertrieben...
Für den Fußballverein wurde im Jahr 2000 für 200 Millionen Dollar
ein modernes Fußballstadion mit Einkaufszentrum und allem möglichen
Firlefanz aus dem Boden gestampft, in dem auch die moldawische
Nationalmannschaft ihre Heimspiele austrägt. Wie gesagt: Ganz schön
verwunderlich, wie nahe sich Moldawien und Transnistrien, zwischen
denen offiziell noch Krieg herrscht, im Fußball doch stehen. Was
dagegen nicht verwundert: Ganz besonders gelobt wurde der Bau von
Sepp Blatter in seiner Zeit als FIFA-Präsident.
Heute nun also das Aufeinandertreffen
der beiden bekanntesten und doch so unterschiedlichen Gesichter des
moldawischen Fußballs. Den besseren Eindruck auf den spärlich
besetzten Rängen machen dabei die Zimbru-Ultras, die es zu
Spielbeginn qualmen lassen und die anschließend die vollen 90
Minuten in Bewegung sind. Supportstil: sehr rumänisch beeinflusst.
Die Gäste aus Tiraspol machen hinter ihrer "Ultras Sheriff"-Fahne nur sporadisch auf sich aufmerksam und
wenn, dann eher statisch. Da jetzt aber einen russischen Stil
hinzuinterpretieren, wäre aber doch zu viel des Guten. Auffallend
ist, dass es kaum Anfeindungen gibt. Nur wenige Anti-Gesänge, es liegt nicht wirklich Hass in der Luft. Das mag aber auch daran liegen, dass die Polizei wenig Spaß zu verstehen scheint. Als die Zimbru-Ultras dann nämlich doch ein Spruchband gegen Sheriff zeigen (auf Polnisch; vermutlich geht man davon aus, dass Polizei und Verband das nicht kapieren), greift die Staatsmacht nach kurzem Brainstorming rigoros ein. Und dennoch: ein schöner
Fußball-Abend mit buntem Treiben auf den Rängen vor verranzter
Plattenbau-Kulisse. Schade nur, dass damit der Chișinău-Trip schon
wieder vorbei ist. Ein halber Montag bleibt noch in der moldawischen
Hauptstadt, dann geht es wieder zurück nach Deutschland – mit
einem ganz klar positiven Eindruck vom Armenhaus Europas.