Freitag, 3. Mai 2019, 19.30 Uhr
Berlin, Ernst-Reuter-Sportfeld
Zweimal bin ich in diesem Jahr schon in der französischen Hauptstadt gewesen, noch gar nicht in der deutschen – es wird also höchste Zeit für Berlin. Gerade auch deshalb, weil der Spielplan die Möglichkeit eröffnet, gleich mehrere Berliner Ground-Leichen im Keller zu entsorgen. Dem Mai mit seinen Feiertagen ist zu verdanken, dass zwischen der Vorarlberg-/Liechtenstein-Tour und der Berlin-Tour gerade mal ein einziger Arbeitstag liegt. Daran kann man sich gewöhnen. Wie üblich wird mit dem Zug in den frühen Morgenstunden in Richtung Spree gestartet. Nicht nur lässt sich zu dieser Tageszeit in der Regel ein guter Sparpreis angeln (in dem Fall für 28 Euro), sondern durch die frühe Ankunft in Berlin hat man obendrauf die Gelegenheit, am Freitagnachmittag noch ein bisschen die kulturellen Vorzüge der Hauptstadt zu genießen. Auch nach dem x-ten Besuch habe ich noch nicht alles gesehen, so dass dieses Mal die Wahl auf die ehemalige Stasi-Zentrale an der Normannenstraße im Stadtteil Lichtenberg fällt. Bietet sich auch deshalb an, weil morgen beim SV Lichtenberg vorbeigeschaut wird, dessen Hans-Zoschke-Stadion mitten in der Stasi-Zentrale liegt. Donnerstags bis montags wird mit Beginn um 13 Uhr eine kostenlose Führung angeboten, die sich durchaus lohnt – erst recht dann, wenn man spezielle Fragen zur ungewöhnlichen Lage des Hans-Zoschke-Stadions hat. Das Areal besteht aus mehreren Plattenbauten, die heute größtenteils vermietet sind. Unter anderem sind hier Arztpraxen untergekommen. Auch das Arbeitsamt von Berlin-Lichtenberg nutzt eines der Gebäude, ebenso sitzt hier der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Lediglich das Hauptgebäude wird als Museum genutzt. Dortiger Höhepunkt ist die komplett erhaltene Minister-Etage samt dem Schreibtisch und den Arbeitsräumen von Erich Mielke. Nach so viel Ostberlin folgt am Abend das Westberliner Kontrastprogramm im Zehlendorfer Ernst-Reuter-Sportfeld. Benannt ist die Anlage nach dem ersten Bürgermeister Westberlins. Reuter versuchte in der Nachkriegszeit vehement, die Teilung der Stadt zu verhindern, und setzte sich für eine rasche Wiedervereinigung von BRD und DDR ein. Die Sowjetunion hätte dem Anfang der 1950er-Jahre wohl zugestimmt, verlangte dafür aber von einem Gesamtdeutschland die Neutralität – ähnlich wie bei Österreich, das ja daher auch erst 1995 EU-Mitglied werden konnte. Die westdeutsche Adenauer-Regierung verhinderte dies jedoch und setzte voll auf West-Bindung. SPD-Mann Reuter, der ursprünglich im Gespräch war, sowohl erster Bundespräsident als auch erster SPD-Kanzlerkandidat zu werden, wurde daraufhin politisch immer mehr isoliert. Bereits 1953 starb er in Westberlin. Noch im gleichen Jahr wurde in Berlin-Charlottenburg ein Platz nach ihm benannt. Viele weitere Plätze, Straßen und Bauwerke folgten, darunter auch das Fußballstadion in Zehlendorf. Dort spielt der FC Hertha Zehlendorf, der seine goldenen Jahre in den 60ern hatte. Zweimal nahm der Verein an der Aufstiegsrunde zur Bundesliga teil, allerdings ohne Erfolg. Zudem wurde die A-Jugend 1970 deutscher Meister. Ansonsten spielt die Zehlendorfer Hertha eine recht unauffällige Rolle. Das Gegenteil gilt für den ehemaligen Bundesligisten TeBe, der zuletzt wieder bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Fans und Vereinsführung liegen seit Jahren im Dauerclinch, der seinen Höhepunkt bei der diesjährigen Hauptversammlung erreichte. Kurzfristig in den Verein eingetretene Mitglieder, die gar kein Deutsch verstehen (Stichwort: bulgarische Bauarbeiter), aber von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten und für die Vereinsführung votierten, führten dazu, dass es bei der TeBe-Hauptversammlung wohl fast zu einer Massenschlägerei gekommen sei. Die TeBe-Szene zog daraufhin die Reißleine, ist nicht mehr im Stadion präsent und fährt stattdessen unter dem Motto „Caravan of Love“ zu anderen Sportveranstaltungen – etwa zum befreundeten Roter Stern Leipzig oder zu einem Spiel der eigenen Tischtennis-Abteilung. Klar ist damit, dass heute im Ernst-Reuter-Sportfeld nicht für allzu gute Unterhaltung am Spielfeldrand gesorgt ist. Trotzdem sind überraschend viele Lila-Weiße vor Ort, die doch das ein andere Mal den TeBe-Schlachtruf „Liiiila-Weiße“ durchs Rund raunen lassen. Der wahre Knaller am Spielfeldrand sind jedoch die Bouletten vom Holzkohlegrill. In Berlin ja eigentlich sowieso immer gut, bei Hertha Zehlendorf aber der totale Wahnsinn!