FC Lokomotivi Tbilisi – FC Chikhura Sachkhere 2:0

Georgien, Erovnuli Liga (1. Liga) 
Mittwoch, 29. Mai 2019, 19.30 Uhr 
Tbilisi, Stadioni Mikheil Meskhi 2 


Die Kaukasus-Region ist für mich ein noch gänzlich weißer Fleck, in den in diesem Jahr mal ein bisschen Farbe kommen soll. Mit Ukraine International Airlines geht es von München via Kiew nach Tiflis. Für 250 Euro hin und zurück zwar nicht unbedingt ein Schnäppchen, allerdings lässt sich ab Süddeutschland für diesen Zeitraum partout nichts günstigeres finden – auch nicht zum Billigflughafen Kutaisi im Westen Georgiens. Da aber ohnehin kein Abstecher nach Westen und somit auch nicht zum Schwarzen Meer vorgesehen ist, liegen wir da mit Tiflis schon ganz richtig. Der Hauptgrund, weshalb die Flüge in diesem Zeitraum so teuer sind, dürfte das Europa-League-Finale sein, das in genau dieser Woche im aserbaidschanischen Baku stattfindet. Der dortige Flughafen hat eine ziemlich mickrige Kapazität, weshalb auf die Flughäfen in der ganzen Kaukasus-Region ausgewichen wird. Dass das Finale just in dieser Woche in Baku stattfindet, haben wir allerdings erst weit nach der Flug-Buchung gepeilt und hätte es die Frankfurter Eintracht dorthin geschafft, wäre auch für uns eine Anreise infrage gekommen. Chelsea gegen Arsenal ist hingegen definitiv keine Überlegung wert, da herrscht klare Einigkeit im Tour-Parlament. Wenig überraschend sind gut ein Drittel der Passagiere an Bord Engländer und auch in Tiflis wird man in den kommenden Stunden immer wieder verzweifelte Engländer sehen, die an den Taxiständen der georgischen Hauptstadt diskutieren und noch auf den letzten Drücker irgendwie nach Baku kommen wollen. Wie man hört, soll der Nachtzug von Tiflis nach Baku am Vorabend mit 27 statt 9 Waggons gestartet sein, weil die Nachfrage so groß war. Da für solch einen langen Zug die Bahnsteige aber zu kurz sind, ließ man die Fahrgäste angeblich etappenweise ein- und aussteigen. 

Wir hingegen können diese Tour völlig entspannt angehen und gönnen uns sogar den Shuttle-Service unseres Hotels. Der kostet zwar ein Vielfaches des Linienbusses, der auch in der Nacht mit dichter Taktung ins Stadtzentrum fährt, allerdings ist der Service trotzdem noch vergleichsweise günstig. Der Grund ist aber nicht das Geld, sondern ein anderer: Tiflis ist ein Nachtflughafen, auch unser UIA-Flieger aus Kiew landet erst nach Mitternacht. Unser Hotel liegt irgendwo in zweiter Reihe und besitzt – wie anhand der Bewertungen im Internet deutlich wird – keine Beschilderung. Könnte also unter Umständen schwierig sein, das Ding mitten in der Nacht zu finden, also zahlen wir lieber 3 Euro mehr und liegen dafür früher im Bett, schließlich soll es morgen auf stramme Sightseeing-Tour gehen. Verwunderte Blicke werfen wir uns übrigens zu, als wir in das Shuttle einsteigen, denn das Lenkrad befindet sich auf der rechten Seite. Seit wann hat Georgien Linksverkehr? Tatsächlich herrscht auch hierzulande Rechtsverkehr, nur kaufen die Georgier gebrauchte Autos in der ganzen Welt zusammen, so dass sich bei gar nicht mal so wenigen Fahrzeugen, die man im ganzen Land so sieht, das Lenkrad auf der rechten Seite befindet. 

Das bleibt nicht der einzige Aha-Moment, denn Tiflis (1 Million Einwohner) ist schon eine ziemliche Wucht. Man weiß ja eigentlich nicht viel über diese Stadt, von der man aber immer häufiger hört, ein echter Geheimtipp zu sein. Wenn man sich allerdings die Touristen-Massen anschaut, auf die man in der georgischen Hauptstadt trifft, kann das gar kein so großes Geheimnis mehr sein. Die sind aber nicht unbegründet hier, denn in Tiflis gibt es wirklich viel zu sehen. Das fängt schon bei der Landschaft an, denn die Stadt liegt eingebettet in einer Hügellandschaft inklusive Wasserfall mitten in der Stadt. Daraus ergeben sich logischerweise einige Aussichtspunkte, die man teilweise auf recht spektakuläre Weise erreicht. Da ist zum einen die 1905 in Betrieb genommene Standseilbahn, die hinauf zum Berg Mtazminda führt. Oben befinden sich zwar der Tifliser Fernsehturm und ein Restaurant, so richtig spektakulär ist aber nur der Ausblick. Unterwegs hält die Standseilbahn noch an einer Mittelstation, an der sich ein Friedhof mit berühmten georgischen Persönlichkeiten befindet. Erst 2012 wurde hingegen die Gondelbahn eröffnet, die den Stadtpark Rike mit der Nariqala-Festung verbindet. Die aus Südtirol stammenden Gondeln gleiten dabei über die orientalisch anmutende Altstadt hinweg, was wirklich für fantastische Blicke sorgt. Oben auf dem Berg wartet dann neben der Festung die riesige Mutter-Georgien-Statue, die ein bisschen an die Mutter-Heimat-Statue in Stalingrad erinnert, aber nicht ganz so groß ist. Da eigentlich nur Touristen mit der Gondel fahren, wartet oben das volle Touri-Programm, wozu auch – und das ist eigentlich sehr schön – ein Kosaken-Chor gehört. Echt eine schöne Atmosphäre, mit Sowjet-Musik im Ohr hinunter ins Tal zuschauen, wahlweise auf Tiflis oder auf die wilde Landschaft auf der anderen Seite des Berges. Früher waren in Tiflis weitere Seilbahnlinien in Betrieb, zu Spitzenzeiten eine zweistellige Zahl. Die wurden hauptsächlich von den Einheimischen genutzt, das ergibt sich einfach aus der hügeligen Lage. Aus Kostengründen wurde der Betrieb jedoch 2009 eingestellt, es fährt nur noch eine einzige Linie im Stadtteil Wake, die vom Stadioni Mikheil Meskhi aus gut zu sehen ist. Genau dort findet auch unser erstes Spiel der Tour statt, wohin wir zunächst ein Stück mit der alten Metro fahren: 1966 in Betrieb genommen und damit volle Kanne Sowjetunion. Ellenlange Rolltreppen führen hinab zu den sehr tief gelegenen Stationen. Die Rolltreppen sind sogar so lang, dass an ihrem Ende non-stop ein Aufpasser sitzt, der bei einem Zwischenfall sofort zur Stelle ist. Bezahlt wird mit einer Plastikkarte, auf die man einen Betrag lädt. Beim Passieren der Schranken wird der fällige Betrag abgebucht. Die Karte gilt nicht nur für die Metro, sondern auch für die Standseilbahn und die Gondeln. Eine Fahrt mit der Metro kostet pauschal 0,50 Lari (ca. 16 Cent), Standseilbahn und Gondel jeweils 1 Lari (ca. 32 Cent). Die Metrokarte selbst kostet einmalig 2 Lari (ca. 64 Cent). Arm wird man dabei also nicht. Überraschend ist hingegen, dass Tiflis zwar eine Millionenstadt ist, die dazu noch zur Sowjetunion gehört hat, in der der ÖPNV eine tragende Rolle gespielt hat, das Metro-Netz aber aus nur zwei Linien besteht. Die Gegend um das Stadioni Mikheil Meskhi ist nicht von der Metro erschlossen, aber da die Taxis in Tiflis auch nicht teuer sind, geht die Welt davon nicht unter. Wir fahren trotzdem so nah wie möglich mit der Metro ans Stadion heran, nicht aus Kostengründen, sondern weil eine Fahrt mit der Metro einfach dazugehört. Das Stadioni Mikheil Meskhi bringt uns dann ein weiteres Mal in diesem Land dazu, etwas ungläubig aus der Wäsche zu schauen, denn das Ding ist überraschend gut in Schuss. Der Grund: Georgien war vor zwei Jahren Gastgeber der U19-EM und hat dafür keine Kosten und Mühen gescheut. In vier Stadien fand die Europameisterschaft statt, Herzstück war das Stadioni Mikheil Meskhi, in das man zig Millionen Euro gepumpt hat. Gespenstisch – vor allem wenn man im starken Kontrast dazu den völlig heruntergekommenen Kleinbus des georgischen Fußballverbandes sieht, der vor dem Stadion parkt. Was für ein Kontrast... Zwei weitere Spielstätten der U19-EM in Tiflis waren der Nebenplatz des Stadions (Stadioni Mikheil Meskhi 2), den man ebenfalls irre fit gemacht hat, sowie die neu gebaute David Petriashvili Arena nahe der US-Botschaft. Vierter und letzter Spielort war das Stadioni Tengiz Burjanadze in Gori. Zufälligerweise werden alle diese vier Stadien in den kommenden Tagen besucht. Los geht es mit dem Nebenplatz des Stadioni Mikheil Meskhi, auf dem inzwischen Lokomotivi untergekommen ist. Der Verein der georgischen Eisenbahn, die bis heute Hauptsponsor ist, war in der Sowjetunion sogar mal eine Saison lang erstklassig, pendelte ansonsten aber zwischen 2. und 3. Liga. Ursprünglich nannte sich das Stadioni Mikheil Meskhi sogar Stadioni Lokomotivi, aber dass der alte Hausherr inzwischen auf den Nebenplatz verbannt wurde, zeigt ganz gut, welch geringe Rolle er bloß noch spielt. In Georgien, wo der Einfluss von Oligarchen auch abseits des Sports entscheidend ist, kommt es vor allem auf den Einfluss des Mäzens an, der hinter dem jeweiligen Verein steckt. Hausherr des großen Stadions ist deshalb der heutige Gegner Chikhura Sachkhere, der aus einem Dorf stammt, das 170 Kilometer von Tiflis entfernt liegt. Sein Mäzen ist aber offensichtlich deutlich einflussreicher als Lokomotivi mit seiner georgischen Eisenbahn. Ein weiteres Indiz dafür, wie dominant das Geld des Sponsors für die Vereine ist: Bei keinem der fünf Spiele, die wir in den kommenden Tagen in Georgien sehen, wird Eintritt verlangt. Diese Einnahmequelle scheint derart zweitrangig zu sein, dass man sich mit diesem organisatorischen Aufwand überhaupt nicht beschäftigt. Für den Zuschauer geht es also recht gemütlich zu in georgischen Stadien und zu unserer großen Freude finden sich sogar zwei Verkaufsstände vor der Tribüne wieder, an denen es Nüsse, Popcorn, Vuvuzelas und alkoholfreie Getränke zu erstehen gibt. Im provisorischen Gästeblock haben sich zudem ein paar Rentner niedergelassen, die die Gastmannschaft anfeuern. Oder besser gesagt: angrölen. Ziemlich harte Show. Nach Abpfiff gönnen wir uns noch etwas Nightlife, das zu den Stärken von Tiflis gehört. Das Land ist bekannt für seine liberale Gesetzgebung in Sachen Glücksspiel und Prostitution, wovon vor allem die Städte nahe der türkischen Grenze profitieren – allen voran Batumi am Schwarzen Meer, das bereits als „Las Vegas des Ostens“ bezeichnet wird. Aber auch hier hinten in Tiflis gibt es praktisch keinen Hinterhof ohne Spielhölle oder thailändischen Massagesalon. Kneipen und Restaurants gibt es allerdings auch zuhauf und bis tief in die Nacht hinein geöffnet, alles ein sehr ansprechender Mix aus Orient und Sowjetunion. Schon jetzt ist klar: In dieser Region werden wir uns in den kommenden Tagen sehr wohl fühlen.