Deutschland, Oberliga Niedersachsen – Aufstiegsrunde (5.Liga)
Samstag, 26. März 2022, 16 Uhr
Hannover, Rudolf-Kalweit-Stadion
Als Hopper wird man oft gefragt, welches denn das beste Stadion in Deutschland sei. Seit heute kann ich diese Frage für mich eindeutig beantworten: das Rudolf-Kalweit-Stadion in Hannover. Damit meine ich nicht nur den reinen Ausbau, sondern das ganze Drumherum. Sehr selbstbewusst bezeichnet sich die Arminia selbst als Fußball-Weltkulturerbe – aber das ist kein Stück übertrieben. Zwei Dinge gibt es, die für mich ganz besonders herausstechen: Zum einen leben Schafe im Stadion, die an spielfreien Tagen auf die Tribünen gelassen werden und dort das Gras fressen. Eine denkbar einfache und doch herrlich natürliche Weise, sein Stadion in Schuss zu halten. Zum anderen wird hier – neben den üblichen Speisen wie Bratwurst und Pommes – gebackener Hirtenkäse verkauft, was in Deutschland einmalig sein dürfte. Perfekt wäre es, wenn der Hirtenkäse von den Stadion-Schafen stammen würden, aber so weit ist dann selbst die Arminia noch nicht. Doch auch über diese beiden Punkte hinaus ist im Rudolf-Kalweit-Stadion einfach alles geil! Fangen wir beim Ausbau an: Bekannt ist das 1918 errichtete Stadion für seine Unförmigkeit, denn die Stehstufen brechen sozusagen am Ende der Gegengeraden plötzlich ab, weshalb sich hinter einem der beiden Tore kein Ausbau befindet (wo dafür nun die Schafe leben). Schuld daran ist der Bischofsholer Damm, für dessen Ausbau 1963 eigentlich das gesamte Stadion weichen sollte. Der Verein stemmte sich jedoch gegen einen gesamten Abriss und opferte stattdessen zähneknirschend eine Hintertorseite für den Straßenbau. Die vormalige Bezeichnung Stadion am Bischofsholer Damm dürfte in Arminia-Kreisen also nicht auf ungeteilte Liebe gestoßen sein. 2004 erfolgte die Umbenennung, die dem zwei Jahre zuvor verstorbenen Gastronom Rudolf Kalweit gewidmet ist, der seit 1925 (!) Arminia-Mitglied war und dem Verein ein Millionen-Erbe hinterließ. Uralt wirkt auch die Haupttribüne mit ihren Holzbänken und dem Holzboden. Auch sie hat eine besondere Geschichte, denn das Dach befand sich früher im Stadion Rote Erde in Dortmund. Die gesamte Tribüne wurde in den 1970er-Jahren nach Hannover verkauft – die eigentliche Tribüne bekam der OSV, das Dach die Arminia. Im Bauch der Arminia-Tribüne findet sich das nächste Highlight, nämlich eine unfassbar coole Gaststätte, in der es in jeder Ecke etwas zu entdecken gibt – samt leckerem Essen. Und dann ist da noch diese für Außenstehende völlig seltsam wirkende Geschichte mit den Vereinsfarben, denn Arminia ist zwar grün-weiß, bezeichnet sich aber selbst als „die Blauen“ und spielt auch oft in Blau. So existiert hier unter anderem ein grüner Schal mit der Aufschrift „Allez les bleues“. Tatsächlich ist es ein typisches Hannover-Ding, das auch bei Hannover 96 zu beobachten ist. Dort bezeichnet man sich als „die Roten“, obwohl man eigentlich grün-weiß-schwarz ist. Hintergrund ist, dass in Hannover in den Urzeiten des Fußballs jede Farbe nur einmal vorkommen durfte. Die Vereine durften sich selbst zwar jede erdenkliche Farbkombination geben, die hatte aber unter Umständen nichts mit der Farbe auf dem Spielfeld zu tun. Somit haben sowohl Hannover 96 als auch die Arminia jeweils zwei verschiedene Farbkombinationen. Ich glaube, dass das einmalig in Deutschland ist, was Hannover als Fußballstadt für mich unglaublich spannend macht. Und ich habe den Eindruck, dass die Arminia mit dieser lokalen Eigenart noch mehr spielt als Hannover 96. Zuletzt müssen natürlich noch die Fans der Arminia angesprochen werden, die ebenfalls eine Besonderheit sind, allein schon weil sie sich politisch klar links positionieren. Auch das merkt man an vielen Ecken des Stadions. So wurde etwa gleich am Eingang am Gedenkstein für die gefallenen Arminia-Mitglieder beider Weltkriege ein Zusatzschild angebracht, dass man auch den Opfern der Shoah, des NS-Regimes und aller Kriege gedenke. An den Essensständen gibt es kein Wegwerfgeschirr, sondern richtige Teller und Besteck, das man wieder zurückgeben muss. Und in der Gaststätte befindet sich eine kleine Bibliothek mit spezieller Literatur, zum Beispiel von der Bundeszentrale für politische Bildung. In Summe also ein Stadionbesuch, der mich richtig zum Staunen bringt und mich nach Abpfiff noch ganze zwei Stunden im Stadion und seiner Gaststätte verweilen lässt. Aber es wird ja auch noch Fußball gespielt. Die Oberliga Niedersachsen ist in dieser Saison in zwei Staffeln geteilt: Hannover und Braunschweig sowie Lüneburg und Weser/Ems. In der Mitte der Saison werden beide Staffeln zusammengeschmissen, wobei die obere Hälfte beider Staffeln eine Aufstiegs- und die untere eine Abstiegsrunde ausspielt. Heute steht der zweite Spieltag Aufstiegsrunde an und mit den Kickers Emden ist einer der attraktiveren Gegner Niedersachsens zu Gast, eben weil er eine Fanszene besitzt. Die Polizei reagiert darauf mit einem vergleichsweise großen Aufgebot: Auf die knapp 50 Gästefans kommen mindestens ebenso viele Polizisten. Das scheint mir gerade mit Blick auf den friedlichen Charakter der Arminia-Szene als reichlich übertrieben. Den Blick in den Gästeblock kann man sich heute allerdings schenken: keine Zaunfahnen, keine Gesänge, nichts! Keine Ahnung, ob etwas während der Anreise passiert ist, aber das ist schon bitter. In jedem Fall passiert etwas bei der Abreise, denn wie das oft bei so übertriebener Polizeipräsenz ist: Man wartet nur darauf, dass irgendein Fan nur leicht aus der Reihe tanzt, um dann mit voller Härte einschreiten zu können. Was genau der Auslöser im Gästeblock ist, weiß ich nicht genau. Ich glaube, es ist nur ein fliegender Bierbecher. Und dann schlägt die große Stunde der Staatsmacht: Die Gästefans werden eingekesselt, jeder einzeln herausgenommen und mit seinen Personalien abgefilmt. Das zieht sich weit über eine halbe Stunde hin. Unfassbar. Auf Arminia-Seite gibt es nur vereinzelt Support, der ist eher britisch geprägt, aber an der Stelle muss ich sagen: In dieses Stadion geht man nicht, um Ultras zu erleben. Und auch ohne Ultras ist das Stadion-Erlebnis bei Arminia Hannover das beste in Deutschland!