Deutschland, Oberliga Westfalen (5.Liga)
Mittwoch, 23. März 2022, 19 Uhr
Gütersloh, Heidewaldstadion
Eine ostwestfälische Leiche im Keller trage ich jetzt schon seit den zwei Jahren mit mir herum, in denen ich hier bin: das Gütersloher Heidewaldstadion. Keine 30 Autominuten entfernt, ein richtig geiles Teil – aber das wollte ich mir immer aufsparen für ein Spiel gegen einen Gegner mit Fanszene. Heute ist der Tag nun endlich gekommen. Und obendrauf geht es sportlich um etwas, denn beide haben gute Chancen auf den Aufstieg in die Regionalliga. Der FC Gütersloh könnte damit an Zeiten anknüpfen, die noch gar nicht so lange zurückliegen, denn bis 1999 spielte er noch in der 2.Bundesliga. Zwar nur drei Jahre lang, aber ein typischer Emporkömmling war er nicht, denn Gütersloh ist ein traditioneller Zweitliga-Standort der 70er-Jahre. Damals spielte sich dort der sogenannte Güterslohrt Fußballkrieg, wie es der Kicker nannte. Denn zu jener Zeit gab es zwei große Vereine in der Stadt, die jeweils zwischen zweiter und dritter Liga pendelten: Arminia Gütersloh (quasi die Betriebsmannschaft des Bertelsmann-Konzerns) und die katholische DJK Gütersloh (von den Arminia-Fans als "Kirchenelf") verspottet. Das 1933 eröffnete Heidewaldstadion gehörte der Arminia (als Pächter), die 1969 der DJK die Nutzung des Stadions untersagte, als diese in die 2.Liga aufstieg. Das eigene Stadion war nicht tauglich. Nach langen Verhandlungen übernahm die Stadt den Pachtvertrag der Arminia, entschädigte die Arminia finanziell und ermöglichte so den Einzug der DJK. Absurd. Knapp zehn Jahre später sahen die abgrundtief verfeindeten Streithähne aber ein, dass dieses Gegeneinander beiden schadet und es kam zur Fusion zum FCG. Eine Vernunftehe ohne Liebe. Der FCG übernahm das Grün der Arminia und das Blau der DJK, was zu der ungewöhnlichen neuen Farbkombination Grün-Blau-Weiß führte. In ihnen sind auch die Wellenbrecher im Heidewaldstadion lackiert. Auch das Stadion an sich ist ungewöhnlich, denn es war ursprünglich als Radstadion konzipiert, was man noch heute an den Kurven erkennen kann, die zum einen recht hoch sind und zum anderen – im Gegensatz zu den Geraden – ein ganzes Stück vom Spielfeld entfernt sind. Ich muss einfach sagen: hammergeiles Stadion. So richtig vom alten Schlag und mit diesen Kurven auch noch ziemlich individuell. Dass die Bude heute mit 900 Zuschauern gut gefüllt ist, macht es umso besser. Tolle Flutlicht-Atmosphäre bei Bratwurst und Bier. Ganz stark finde ich auch die Vereinslieder vom FCG, allen voran das „Wer macht Ostwestfalen froh?“ (hier nachzuhören) und das hier Kultstatus genießende „Der letzte Cowboy kommt aus Gütersloh“ (hier nachzuhören). Besagter Cowboy ist sogar auf den Eintrittskarten abgebildet. Enttäuschung bringt dagegen der Blick in den Gästeblock: Nur rund 50 Wattenscheider sind dabei. Klar, es ist unter der Woche, aber zumindest hätte ich mir mehr Aktivität von denen erhofft, die da sind. Ein paar wenige Schlachrufte (die vom Heimpublikum mit „Wat ‘n Scheiß“ gekontert werden), ab und zu mal Fahne wedeln, das war's. Wesentlich aktiver ist das Heimpublikum mit ihrer beeindruckenden Zahl an Zaunfahnen zwar auch nicht, manchmal herrscht minutenlang wirklich gespenstische Stille im Stadion, aber trotzdem ist es eine schöne Atmosphäre. Auch deshalb, weil das Heimpublikum wesentlich asozialer unterwegs ist als gedacht. Sind schon wirklich echte Prachtexemplare dabei, bei denen es richtig Laune macht, sie zu beobachten. Und ich dachte, dass es das in Ostwestfalen nur in Bielefeld gibt. Falsch gedacht. Apropos Bielefeld: Der Hass auf die Nachbarstadt ist hier nach wie vor groß, obwohl das letzte Derby gegen Arminia Bielefeld Ende der 90er in der 2.Bundesliga stattfand. Doch als heute Abend ein Falschparker mit Bielefelder Kennzeichen vom Stadionsprecher ausgerufen wird, gibt es Buh-Rufe vom ganzen Stadion.