Österreich, Unterliga Kärntnen – Staffel Ost (5. Liga)
Sonntag, 1. August 2021, 16 Uhr
Sele/Zell, Stadion pod Košuto/Koschutastadion
Das Highlight des Wochenendes, vielleicht sogar des ganzes Jahres, denn auf das Stadion pod Košuto in Sele/Zell bin ich schon richtig lange spitz. Es ist der südlichste Ground Österreichs, gelegen auf fast 1.000 Metern Höhe, aber spektakulär aus ganz anderen Gründen. Wie schon erwähnt: Genau wie Tirol wurde Kärnten nach dem Ersten Weltkrieg geteilt. Der Großteil blieb bei Österreich, zwei Gebiete im Süden gingen an den sogenannten SHS-Staat (Staat der Serben, Kroaten und Slowenen; Vorläufer von Jugoslawien) und ein kleines Gebiet im Südosten rund um Tarvisio an Italien. Seit Ende 1918 flammten jedoch immer wieder Kämpfe zwischen Österreich und dem SHS-Staat auf. Letzterer wollte sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen Kärnten sichern, ehe die Friedensverhandlungen in Frankreich abgeschlossen waren, zumal auch im österreichischen Teil eine slowenische Minderheit gibt. Die macht heute gut zwei Prozent der Bevölkerung Kärntens aus, war nach dem Ersten Weltkrieg aber wesentlich höher. Im Vertrag von Saint-Germain – dem österreichischen Gegenstück zu Deutschlands Vertrag von Versailles – wurden schließlich die Grenzen Kärntens festgelegt, die jedoch im österreichischen Teil mit einer Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 bestätigt werden musste. Für die legte man Regeln zu Ungunsten Österreichs fest: Man teilte das Abstimmungsgebiet in zwei Zonen und schnitt die Zone A so zu, dass dort die slowenische Minderheit mit 70 Prozent in der Mehrheit war. Sich an der Abstimmung beteiligen durfte sich zunächst nur diese Zone A. Sollte sie wie erwartet für den Anschluss an den SHS-Staat votieren, durfte auch die Zone B abstimmen – allerdings wäre dann ja der Stein schon durch das Ergebnis in Zone A ins Rollen gekommen. Doch es passierte das Unerwartete: 60 Prozent in der Zone A stimmten für den Verbleib bei Österreich und damit auch viele Slowenen. Das zeigt: Sie betrachten sich als Österreicher, aber halt als slowenische Österreicher. Noch heute erinnert in Kärnten vieles an diese Volksabstimmung. Straßen und Plätze sind nach ihr benannt, überall stehen Denkmäler, der 10. Oktober ist ein Feiertag in Kärnten. Nur leider hatte es Österreich verpasst, die Versprechungen, die man 1920 den Slowenen gemacht hat, auch umzusetzen – insbesondere die Zweisprachigkeit. 1970 zum 50. Jahrestag der Abstimmung spitzte sich die Situation dann zu: Die slowenische Minderheit begehrte auf, die deutschsprachige Mehrheit hielt dagegen, es kam zu Unruhen. Die Regierung löste daraufhin eines ihrer Versprechen ein und stellte zweisprachige Ortsschilder auf, die aber immer wieder von der deutschsprachigen Mehrheit heruntergerissen wurden. In diese Zeit fällt übrigens die Gründung des Slovenski Atletski Klub in Celovec, wie die Slowenen Klagenfurt nennen. Er spielte in den 90ern zeitweise in der 2. Liga und schaffte 1987 den Einzug ins Viertelfinale des ÖFB-Pokals, wo man allerdings am Linzer ASK scheiterte. Während die Gründung des SAK Celovec aber vor allem repräsentative Gründe hatte, weil die Hauptstadt Klagenfurt unbedingt einen slowenischen Verein haben sollte, existiert ganz oben in den Bergen, unweit der Grenze zum slowenischen Teil Kärntens, bereits seit 1960 ein solcher. Und das wundert nicht, denn Sele (dt.: Zell) ist die einzige Gemeinde im österreichischen Teil Kärntens, in der die Slowenen die Bevölkerungsmehrheit stellen – und zwar mit 89 Prozent. Auch in den Nachbarorten Globasnitz/Globasnica (42 Prozent) und Eisenkappel/Železna Kapla (38 Prozent) gibt es große slowenische Minderheiten, aber halt keine Mehrheiten. Warum sich die slowenische Sprache hier oben über all die Jahrzehnte gehalten hat und wie sie dem Assimilierungsdruck vor allem in der NS-Zeit widerstehen konnte, macht die Fahrt nach Sele/Zell sehr deutlich. Denn: Mehr ab vom Schuss geht eigentlich nicht. Unten im Tal fährt man noch an einem Denkmal vorbei, das ein bisschen fragwürdig mit eisernem Kreuz an die Kämpfe zwischen 1918 und 1920 gegen den SHS-Staat erinnert, dann folgen Kilometer voller Schlaglöcher, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Nach Österreich sieht das nicht aus, eher nach Bosnien. Der Dauerregen macht es auch nicht besser. Gerade einmal 600 Einwohner hat Sele, das kein Dorf im eigentlichen Sinn ist, sondern sich über sieben verschiedene Dörfer verteilt. Einen richtigen Ort namens Sele gibt es also gar nicht. Die drei größten Dörfer von Sele sind Cerkev mit 199, Borovnica mit 152 und Šajda mit 106 Einwohnern. Um ehrlich zu sein: Hier gibt es rein gar nichts, was man unternehmen kann. Ich habe auch nicht ein einziges Mal Menschen auf der Straße gesehen. Gut in Schuss ist dafür das erst vor wenigen Jahren gebaute Stadion pod Košuto, benannt nach der Koschuta, dem Grenzgebirge zwischen Österreich und Slowenien. 400 bis 500 Zuschauer hatte man für das Derby gegen den FC Bad Eisenkappel erwartet, den man hier vornehmlich unter seinem slowenischen Namen Železna Kapla nennt. Bad Eisenkappel ist übrigens die südlichste Gemeinde Österreichs, allerdings liegt der dortige Sportplatz ein Stückchen nördlicher als das Stadion pod Košuto, das somit den Titel als südlichster Ground Österreichs hat. Und wie ist so ein Heimspiel von der DSG Sele/Zell? Interessant! Es läuft slowenische Volksmusik, die abgesehen von der Sprache auch sehr gut österreichische Volksmusik sein könnte. Auf dem Grill liegt eine Wurst, die ein wenig der tschechischen Klobasa ähnelt und die mit Senf und Kren gereicht wird. Werbung und Durchsagen sind zweisprachig, aber vorwiegend auf Slowenisch. Auch die Zuschauer unterhalten sich überwiegend auf Slowenisch. Mich dagegen spricht man an der Kasse und am Wurststand sofort auf Deutsch an. Man kennt seine Pappenheimer. Deutsch kann hier oben natürlich jeder, was ja spätestens beim Blick auf den Vereinsnamen deutlich wird, denn da man der katholischen Diözesan-Bewegung angehört, nennt man sich Diözesansportgemeinschaft – auf Deutsch, nicht auf Slowenisch. Ganz anders also als der SAK Celovec, der sogar seine Stadt ausschließlich auf Slowenisch bezeichnet. Zuschauermäßig ist das Derby gegen den FC Bad Eisenkappel deutlich unter den Erwartungen, aber das schlechte Wetter wird da seinen Anteil haben. Man muss froh sein, dass das Spiel überhaupt angepfiffen und nicht abgebrochen wird. Richtig heftig, wie schnell hier oben fiese Unwetter aufziehen. Rund um das Stadion zucken die Blitzen, beim Donner wackelt das Vereinsheim. Es wird aber ganz normal weitergespielt. In der zweiten Halbzeit klart es dann ein wenig auf und man bekommt dadurch auch mehr mit von der wirklich fantastischen Umgebung. Die ist noch ein Stück spektakulärer als anderswo. Perfekt in diese Landschaft fügt sich das Stadion mit seiner Graswalltribüne ein. Auf der gegenüberliegenden Seite wird das Spielfeld von einem kleinen Fluss begrenzt. Wirklich wunderschön hier! Im Sommer 2022 findet im Stadion pod Košuto übrigens die Europeada statt, die Fußball-EM der Volksgruppen. Sie sollte eigentlich schon in diesem Sommer hier ausgetragen werden, wurde aber wegen Corona um ein Jahr verschoben. Für mich endet nun das Österreich-Wochenende. Eigentlich sollte am Abend noch die zweite Mannschaft des Klagenfurter AC spielen. Unten im Tal scheint schon längst wieder die Sonne und es ist trocken, womit nichts gegen einen Anpfiff sprechen würde, aber leider hat man das Spiel schon etwas vorschnell am Vormittag abgesagt. Immerhin ist der Übergang ohne das Spiel in Klagenfurt thematisch stimmiger, denn weiter geht es nun mit Kroatien und Slowenien.