Deutschland, Kreispokal Bielefeld (1. Runde)
Dienstag, 15. September 2020, 19.30 Uhr
Bielefeld, Sportplatz am Wiehagen
Fünf Grounds gibt es, die von meinem Bielefelder Wohnsitz aus gut zu Fuß erreichbar sind und die dadurch einen ganz besonderen Stellenwert für mich haben. Mit dem Stadion Rußheide vom VfB Fichte habe ich eines von ihnen schon vor zig Jahren und damit völlig unabhängig von diesem Zu-Fuß-Gedanken gemacht. Den Sportplatz an der Ravensberger Straße, auf dem inzwischen kein regulärer Spielbetrieb mehr stattfindet, hatte ich dagegen vor gut einem Jahr, gleich zu Beginn meiner Bielefelder Zeit gemacht. Die drei restlichen – der Sportplatz Königsbrügge, der Nebenplatz des Stadions Rußheide und der Sportplatz am Wiehagen – wollte ich eigentlich allesamt am gleichen Tag im Februar 2020 machen. Der Spielplan hatte es derart glücklich gefügt, dass dieser Dreier sogar komplett zu Fuß möglich gewesen wäre. Leider hatte sich wenige Tage zuvor der SV Roj, der auf dem Sportplatz am Wiehagen spielt, vom Spielbetrieb abgemeldet, so dass es „nur“ ein Zu-Fuß-Doppler wurde. Ist ja aber auch nicht schlecht. Der hinter dem Bielefelder Straßenstrich gelegene Sportplatz am Wiehagen fehlt dadurch jedoch immer noch und da bietet die erste Runde im Bielefelder Kreispokal eine hervorragende Gelegenheit. Der SV Roj ist inzwischen wieder da und teilt sich den Platz mit dem SV Yek-Spor. Beides sind kurdische Vereine, die mit der Sonne das Symbol Kurdistans im Wappen tragen. Roj ist zudem das kurdische Wort für Sonne. Beide haben in dieser Woche ein Heimspiel im Kreispokal, zugegriffen wird gleich beim erstmöglichen Termin und damit beim SV Yek-Spor. Der Sportplatz am Wiehagen ist heute quasi rein kurdisches Territorium und macht rein optisch nicht viel her, ist aber ein wichtiger Punkt auf der Bielefelder Fußball-Landkarte. Der im Volksmund „Gaunerplatz“ genannte Platz war nämlich die erste Heimat des Freien TSV Fichte Bielefeld. Ich habe das hier schon einmal lang und breit ausgeführt und muss das jetzt nicht noch einmal so lang und breit machen, daher die Kurzversion: Während der Westen von Bielefeld, in dem die Alm steht, als bürgerlich gilt und es dort mit der Arminia einen sehr bürgerlichen Verein gibt, lebt im Bielefelder Osten seit der Industrialisierung die Arbeiterklasse. Entsprechend sind auch die dortigen Fußballvereine sehr proletarisch geprägt und gelten als Arbeitervereine. Berühmtester von ihnen war der VfB Bielefeld, der 1931 die Endrunde um die deutsche Meisterschaft erreichte und der Arminia bis in die 1950er-Jahre hinein ebenbürtig war. Die Nummer zwei des Bielefelder Ostens war der Freie TSV Fichte Bielefeld, benannt nach dem deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte. Vor 1933 war Fichte nicht unter dem Dach des DFB organisiert, sondern im ATSB (Arbeiter-Turn- und Sportbund). Dort erreichte er 1929 die Endrunde um die deutsche Meisterschaft und traf auf Lorbeer Hamburg mit Erwin Seeler (Vater von HSV-Legende Uwe Seeler). Zudem stellte Fichte zwei ATSB-Nationalspieler. 1933 wurde der Arbeiterverein sofort von den Nazis verboten und aufgelöst, schloss sich aber der bürgerlichen Bielefelder Spvgg an. Nach Kriegsende wurde der Freie TSV Fichte wiedergegründet, fusionierte dann aber ganz offiziell mit der Bielefelder Spvgg zur Spvgg Fichte. Die leistete sich jahrzehntelang ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem inzwischen abgestürzten VfB, mit dem man zusammen 1970 ins neu gebaute Stadion Rußheide zog. Da man sich im Bielefelder Osten gegenseitig Zuschauer und Sponsoren wegnahm, fusionierten beide Vereine 1999 zum heutigen VfB Fichte Bielefeld. Auf dem „Gaunerplatz“ ist damit für mich heute Spurensuche angesagt. Die Hoffnung, noch alte Relikte des Freien TSV Fichte oder auch nur irgendwelche Überbleibsel eines Ausbaus zu finden, zerschlagen sich jedoch schnell. Der Sportplatz am Wiehagen ist nur noch ein völlig normaler, ziemlich heruntergekommener Hartplatz und wer nicht um die besondere Geschichte dieses Ortes weiß, der wird hier wohl einfach desinteressiert mit den Schultern zucken. Spektakulär ist hingegen das dargebotene Gekicke. Der SV Yek-Spor spielt in der Kreisliga B, der SC Halle eine Etage höher in der Kreisliga A. Ihrer Favoritenrolle werden die Gäste jedoch nicht gerecht und der Underdog vom „Gaunerplatz“ führt bis zur 90. Minute mit 2:1. Erst in der Nachspielzeit gleicht der SC Halle aus, rettet sich ins Elfmeterschießen und hat dort das nötige Quäntchen Glück. Unverdienter Sieger, aber ein sehr schöner Pokalabend.