Samstag, 8. Februar 2020, 16 Uhr
Stuttgart, Waldebene Ost – SVG-Platz
Groß ist die Wiedersehensfreude, als Amigo an der Waldebene Ost aus der Buslinie 45 steigt. Besagte Linie fährt übrigens direkt vom Neckarstadion zur Waldebene Ost. Es scheint also so, als seien Fahrplan und Strecke einzig und allein dafür gemacht, Groundhoppern diesen Doppler zu ermöglichen. Die Waldebene Ost ist neben dem Wasen und der Waldau einer der drei Hotspots des Stuttgarter Fußballs. Los ging alles in den 1890er-Jahren, als die ältesten Vereine der Stadt begannen, auf dem Wasen Fußball zu spielen. Die riesige Freifläche am Neckar dürfte den meisten Nicht-Stuttgartern durch das Cannstatter Volksfest bekannt sein, das im Volksmund nach seinem Veranstaltungsort benannt ist. Zum Wasen gehörte früher allerdings auch ein Exerzierplatz der württembergischen Armee, der von den ersten Fußballvereinen Stuttgarts genutzt wurde. Auf dem Wasen wurden es jedoch schnell zu viele Vereine, weshalb es dem Militär zu bunt wurde und einige Vereine von Cannstatt hinauf auf die Waldau nach Degerloch geschickt wurden, wo sich ebenfalls ein Exerzierplatz der Armee befand. Mit den Kickers, den Sportfreunden, Eintracht, dem Allgemeinen Bildungsverein und dem TSV Stuttgart spielt heute noch die Mehrzahl der traditionellen Stuttgarter Vereine oben auf der Waldau. Fußballfrei blieb der Wasen jedoch nicht, denn auch dort wurden mit der Zeit wieder Vereine angesiedelt. Berühmtester Vertreter ist der VfB, aber auch der langjährige Erstligist Stuttgarter SC fand hier 1956 eine neue Heimat. Zudem wurden in jüngerer Vergangenheit die Migrantenvereine FK Sarajevo Stuttgart und SKV Palästina Al-Quds auf dem Wasen heimisch. Da auch auf der Waldau der Platz mit der Zeit eng wurde, entwickelte sich die von dort nicht weit entfernte Waldebene Ost zu einem dritten Ort, an dem Vereine konzentriert wurden. Ein Ersatzort für den Ersatzort. Nennen muss man vor allem den 1.Stuttgarter FV von 1896, Stuttgarts ältester noch bestehender Fußballverein. Wer jetzt einwirft, dass das doch eigentlich der 1893 gegründete VfB sein müsste: Der VfB wurde erst 1912 gegründet und entstand aus einer Fusion von Cannstatter Kronen-Club und FV Stuttgart. Die 1893 ist das Gründungsdatum des FV Stuttgart, der sich zwar Fußballverein nannte, aber anfangs nur Rugby spielte und sich erst nach der Jahrhundertwende dem Fußball widmete. Dass damals sowohl ein FV Stuttgart (von 1893) als auch ein praktisch namensgleicher Stuttgarter FV (von 1896) existierte ist ebenso kurios wie die Tatsache, dass der eigentlich älteste Stuttgarter Fußballverein der 1890 gegründete Cannstatter FC ist, der ebenfalls nach wie vor existiert, sich aber bereits 1901 in Cannstatter Tennisclub umbenannte und seitdem nur noch Tennis spielt. Und um die Sache dann vollständig abzurunden: Vollzogen wurde diese Umwandlung vom Fußball- zum Tennisclub, weil 1899 mehrere junge Fußballspieler den CFC verließen und die Kickers gründeten, die als eine Art All-Star-Team das neue Aushängeschild Stuttgarts werden sollten und diesen Status auch bis 1950 behielten, ehe der VfB die Kickers als Nummer 1 der Stadt ablöste. Doch zurück zur Waldebene Ost, wo neben dem 1.Stuttgarter FV auch klassische Stadtteil-Vereine aus dem Stuttgarter Osten beheimatet sind, darunter der SV Gablenberg. Jener war auch schon mal eine große Nummer in der Stadt, nämlich als er 1919 mit dem FC Union Stuttgart zum Stuttgarter SC fusioniert, der anschließend bis zum Zweiten Weltkrieg wie gesagt mehrfach erstklassig war und mit Emil Gröner sogar einen Nationalspieler stellte. Längst geht der SV Gablenberg wieder eigene Wege und ist heute wieder ein normaler Stadtteil-Verein aus der Kreisliga A. Sein Platz auf der Waldebene Ost befindet sich direkt neben dem Platz des 1.Stuttgarter FV und ist vom Ausbau her sicherlich der beste Platz der Waldebene Ost. Viel los ist beim Testspiel gegen den TV Zazenhausen leider nicht, aber somit können wir wenigstens weitgehend ungestört bei ein paar Birra Moretti über Gott und die Welt philosophieren. Da Amigos Nacht-Flixbus erst kurz vor Mitternacht zurück nach Dresden fährt, verlegen wir die höchst philosophische Runde anschließend hinunter in die Stadt in eine der coolsten Kneipen Stuttgarts: das Seekneiple in S-West, direkt an der S-Bahn-Station Feuersee. Wie es sich in Stuttgart gehört natürlich ein griechischer Wirt, ein völlig verblasener noch dazu – und ein Interieur, das seit Jahrzehnten unverändert ist. Ein Tipp für alle, die eben nicht auf hippe Bars stehen und morbiden Charme lieben.