FK Enko Plovdiv – FK NSA Plovdiv 1:3

Bulgarien, A Grupa (Frauen, 1. Liga)
Samstag, 17. März 2018, 14 Uhr
Plovdiv, Plovdiv Stadion

Als Monsieur Groundhopping im Altmühltal zum Jahreswechsel den Vorschlag in die Runde geworfen hat, zum Derby nach Sofia zu fliegen, sprach eigentlich wenig für eine Zusage. Ich bin kein Freund des zwar lauten, aber monotonen osteuropäischen Supportstils, das Nationalstadion in Sofia, in das alle Derbys verlegt werden, ist der einzige Ground in Bulgarien, den ich schon habe, und als fader Beigeschmack kommt hinzu, dass in Hopper-Kreisen solche Spiele inzwischen regelrecht eventisiert werden, man also vor Ort mit nahezu einer Hundertschaft junger Deutscher rechnen muss, die das Spiel wahlweise zum Schaulaufen nutzen oder es mit einem Auswärtsspiel ihres eigenen Vereins verwechseln und entsprechend dauer-aggro durch die Gegend marschieren. Drei Argumente sprachen dann aber doch dafür, noch von Afrika aus die Zusage gegeben zu haben: Ryanair schmeißt den Flug nach Bulgarien für 9,99 Euro aus dem Fenster, Plovdiv wird während der viertägigen Expedition als Hauptquartier auserkoren und ist durch seine Ernennung zur europäischen Kulturhauptstadt 2019 sicherlich mal wieder einen Blick wert und vor allem verdient die Zusammenstellung der Reisegruppe eindeutig das Prädikat „wertvoll“. Es geht also am Freitagabend mit der goldenen Harfe von Hahn zum winzigen Flughafen Plovdiv. Drei Gates, fünf Flüge am Tag, nicht einmal 80.000 Passagiere pro Jahr – das haut Frankfurt in drei Stunden raus. Ärgerlich, aber aufgrund der Größe auch nachvollziehbar: Der Flughafen Plovdiv ist nicht an das ÖPNV-Netz angebunden. Es gibt also keine Alternative zur Taxi-Mafia, die entsprechend selbstbewusst in dem kleinen Terminal auftritt. Für umgerechnet 10 Euro ist die 20-minütige Fahrt ins Stadtzentrum aber schon zu haben, was mit mehreren Leuten ja wirklich bezahlbar ist. Das gilt sowieso für fast alles in Bulgarien, denn das Preisniveau hier ist teilweise fast schon erschreckend niedrig. Grotesk wirkt da die EU-Fahne, die hier und dort weht, denn wie in der EU fühlt man sich in Bulgarien nun wirklich nicht. Wer das erste Mal hier ist, den verwundern mit Sicherheit die prominent platzierten Moscheen in den großen Städten. In der Tat: 10 Prozent der Bulgaren sind Muslime, in mehreren Regionen stellen sie sogar die Bevölkerungsmehrheit. Die Moscheen sind dabei oft deutlich älter als die Kirchen im Land. Mit der bereits im 15. Jahrhundert (wahrscheinlich ab 1425) erbauten Dschumaja-Mosche steht in Plovdiv sogar die älteste Freitagsmoschee des gesamten Balkans. So viel mal dazu, dass der Islam angeblich nicht zu Europa gehöre... Tipp: Baklava essen im Café der Dschumaja-Moschee. Sie befindet sich mitten in der zentralen Einkaufsstraße auf einem Platz, der die Geschichte von Plovdiv wohl eindrucksvoller nicht erklären könnte, denn unterhalb der Moschee wurde das antike Stadion freigelegt, das mit der mittelalterlichen Moschee und den umliegenden Gründerzeit-Häusern ein fantastisches Ensemble ergibt. Man merkt: Diese Stadt hat nicht erst 1000 Jahre auf dem Buckel. Plovdiv soll sogar eine der ältesten Städte Europas sein, schon Philipp II. (Vater von Alexander dem Großen) war hier unterwegs. Plovdiv bietet wirklich Schätze aus allen Epochen: das auf einem Hügel über der Altstadt thronende antike Theater, das stylische Künstlerviertel Kapana, Relikte aus dem Mittelalter, der prunkvolle Orient-Express-Bahnhof – die Ernennung zur europäischen Kulturhauptstadt ist längst überfällig. Man darf gespannt sein, was Plovdiv da im kommenden Jahr alles aus dem Hut zaubern wird. Auf jeden Fall wird sich die Stadt optisch weiter verändern. Ich war vor zehn Jahren schon einmal hier und es hat sich in der Zeit viel getan; derzeit gibt es aber kaum eine Straße ohne Baustelle, neue Boulevards werden gebaut, es wird also auch 2019 wenig sein wie noch 2018.
Spurlos wird diese Entwicklung mit absoluter Sicherheit am Plovdiv Stadion vorbeigehen, dem größten Stadion Bulgariens. Die 1950 erbaute Kommunisten-Schüssel hieß ursprünglich Stadion des 9. Septembers (benannt nach dem 9. September 1944, dem Tag der Machtergreifung der kommunistischen Partei Bulgariens), wird seit der Wende aber nur noch lieblos Plovdiv Stadion genannt. 55.000 Zuschauer passen in die Hütte, die damit viel zu groß ist für die Fußballvereine von Plovdiv, die ohnehin ihre eigenen Stadien besitzen. Letzte große Veranstaltung im Plovdiv Stadion war ein Metallica-Konzert im Jahr 1999, spätestens seit diesem Zeitpunkt wurde hier nichts mehr gemacht. Das Plovdiv Stadion ist nicht nur einsturzgefährdet, es ist teilweise sogar schon eingestürzt. Einzelne Tribünenteile sind bereits eingesackt, sogar ein ganzer Block ist wie ein Krater hinabgefallen. Aber: ein bisschen Absperrband drumrum, das war's. Bezeichnend, dass ein Einheimischer, den wir vor dem Stadion nach dem Eingang fragen, uns mit felsenfester Überzeugung sagt: Nie im Leben findet da drin noch ein Fußballspiel statt. Doch, es findet statt, sogar alle zwei Wochen, denn der Frauen-Erstligist aus Plovdiv ist tatsächlich fester Mieter des Stadions. Warum das so ist, versteht niemand, denn für die 20 Zuschauer würde es auch einer der Nebenplätze tun. Es gibt hier sowieso keinerlei Infrastruktur mehr – weder Toiletten noch Umkleidekabinen, alles ist im Arsch. Aber solche Fragen stellt man sich in diesem Stadion sowieso nicht. Man läuft durch einen finsteren Gang, in dem man die Hand nicht mehr vor Augen sieht und der einmal der Spielertunnel war, steht dann plötzlich vor der Auswechselbank auf der Laufbahn und bekommt den Mund nicht mehr geschlossen. Für Groundhopper ist dieses Stadion ein einziger Abenteurspielplatz. Zum ersten Mal schaffen wir es nicht, innerhalb der 90 Minuten eine komplette Runde durch das Stadion zu drehen, weil wir keine zwei Meter laufen können, ohne wieder etwas entdeckt zu haben und fasziniert stehenbleiben müssen. Dass es im Vorfeld durchaus Diskussionen unter den Schriftgelehrten gab, ob man sich denn wirklich ein Frauenfußballspiel anschauen solle, ist längst vergessen – niemand hat die Zeit, auch nur eine Sekunde aufs Spielfeld zu schauen. Selbst nach dem Abpfiff schaffen wir es nicht, uns sofort ins Taxi zum knapp zwei Stunden später beginnenden Botev-Spiel zu setzen, sondern lassen uns erst einmal auf dem angrenzenden Fischmarkt nieder, um bei einem Bierchen diese unglaublichen Eindrücke sacken zu lassen.