Ungarn, Nemzeti Bajnokság I (1.Liga)
Samstag, 3. September 2022, 18.15 Uhr
Debrecen, Nagyerdei Stadion
Früh aufstehen heißt es in Kosice, um den ersten EC hinüber nach Ungarn zu erwischen. Wieder einmal zum kleinen Preis, so dass ich hier jeden Tag dank den jeweiligen Sparangeboten der tschechischen, österreichischen, slowakischen oder ungarischen Bahn nie mehr als 20 Euro pro Tag gezahlt habe. Zwei Spiele sind heute geplant, zunächst Jugendfußball im nahe Debrecen gelegenen Balmazújváros. Das dortige Városi Stadion ist nicht uninteressant, wird es doch aktuell auch vom Zweitligisten Nyíregyháza Spartacus genutzt, der gerade sein eigenes Stadion umbaut. Vor Ort herrscht jedoch gähnende Leere auf dem Spielfeld und nach einem kurzen Gespräch mit einem Vereinsoffiziellen wird schnell klar, dass die Angaben auf der ansonsten immer zuverlässige Verbandsseite adatbank.mlsz.hu nicht stimmen. Es wird stattdessen im Böszörményi úti Sportcentrum im Norden des Ortes gespielt. Das ist etwa zweieinhalb Kilometer vom Városi Stadion entfernt und wäre damit eigentlich zu Fuß erreichbar. Allerdings ist der weitere Tagesablauf so eng getaktet, dass ich dann nicht mehr rechtzeitig nach Debrecen kommen würde, was eindeutig Vorrang hat. Also geht es etwas früher als geplant nach Debrecen, die mit 200.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Ungarns – allerdings mit großem Abstand hinter der Hauptstadt Budapest. Budapest, Debrecen, Szeged und Miskolc sind dann auch die einzigen vier Städte Ungarns, die eine Straßenbahn besitzen. In Debrecen ist das Netz zwar sehr übersichtlich mit nur zwei Linien, die Y-förmig durch die Stadt fahren, allerdings werden mit dem Bahnhof, der Innenstadt und dem Stadion alle relevanten Punkte angefahren. Die große Besonderheit von Debrecen ist, dass es die einzige protestantische bzw. calvinistische Stadt im ansonsten durchweg katholischen Ungarn ist. Bekannt ist die Stadt aber natürlich auch durch den Debreceni Vasutas SC, der bislang 7x Meister und 6x Pokalsieger wurde. Vasutas ist das ungarische Wort für Eisenbahner und auch das Eisenbahner-Wappen im Vereinslogo macht deutlich, dass der DVSC ein Eisenbahner-Verein, womit sich auch der Spitzname Loki und der häufig verwendete Schlachtruf „Hajrá Loki“ erklären. Mit dem neuen Nagyerdei Stadion steht seit 2014 eine hochmoderne Arena im gleichnamigen Stadtpark, die an gleicher Stelle des alten Nagyerdei Stadions gebaut wurde, das 2013 abgerissen wurde. Es war von 1934 bis 1993 Heimstätte des DVSC. Mit dem Aufstieg in die 1.Liga genügte es jedoch nicht mehr den Anforderungen des Verbands (und das will in Ungarn zu damaligen Zeiten etwas heißen), weshalb Loki in das ebenfalls schon sehr betagte Oláh Gábor úti Stadion umzog. Da das aber auch immer mehr auseinanderfiel, erfolgte der Neubau im sehr chilligen Stadtpark. Für das heutige Spiel gegen den eigentlich als Videoton bekannten Verein aus Székesfehérvár hat die Heimszene ordentlich mobilisiert und so finden sich überall in der Stadt Plakate mit dem durchgestrichenen Wappen des Gegners, die zum Besuch der Partie aufrufen. Von ausverkauft ist das Stadion natürlich trotzdem weit entfernt und so gibt es vor dem Spiel noch ganz locker Tickets im Fanshop des Stadions zu kaufen. Zum Anpfiff ist der Gästeblock noch leer, während im Heimblock ein etwa 30-köpfiger Oberkörper-frei-Mob auffällt, der zunächst am oberen Rand des Blocks Stellung bezieht. Es handelt sich hier um Hools des Diósgyőri VTK aus Miskolc, zu denen Loki – trotz der geografischen Nähe – eine enge Freundschaft unterhält. Als etwa zur 10. Minute die Gästefans eintreffen, marschieren die Diósgyőr-Hools demonstrativ einmal quer durch den Block ganz nach unten und pöbeln gegen Videoton. Abgesehen davon ist von ihnen dann aber nicht mehr viel zu hören. Das kann man von den beiden Fanlagern ansonsten nicht behaupten, die jeweils ganz klar zu den besten Szenen außerhalb von Budapest gehören. Ich mag ja diesen ungarischen Ultras-Stil unglaublich, weil er sehr italienisch beeinflusst ist. Angeblich entstand die ungarische Ultras-Kultur aufgrund eines Artikels in der täglichen Sportzeitung Nemzeti Sport, die kurz nach der Wende über die italienischen Ultras berichtete. Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber es ist auf jeden Fall auffällig, dass daraufhin Anfang der 90er die ersten ungarischen Gruppen entstanden und die meisten von ihnen sich italienische oder aus Italien bekannte Namen gaben – etwa die Nuova Guardia von Kispest oder die Mastiffs von Nyíregyháza. Ein rein italienischen Stil fuhren die ungarischen Ultras zwar nie, aber er unterscheidet sich doch deutlich von dem im restlichen Osteuropa. Und das lässt sich auch heute beim Duell auf den Rängen zwischen Loki und Vidi beobachten. Zurücklehnen und das Schauspiel genießen! Macht richtig Spaß!