Polen, Klasa B Gorzów Wielkopolski – grupa I (8. Liga)
Sonntag, 30. Mai 2021, 11 Uhr
Sienno, Boisko w Sienno
Nach einer kurzen Nacht im Hotel am Marktplatz von Nowy Tomyśl und einem etwas hektischen Morgen (bedingt durch einen nächtlichen Einbruch in die Rezeption) halten wir auf dem Weg nach Sienno noch in Świebodzin – das Rio de Janeiro von Polen. Hier steht mit 36 Metern Höhe die größte Christusstatue der Welt, die stolze sechs Meter höher ist als das wesentlich bekanntere Exemplar in Brasilien. Mit der pompösen Zufahrtsstraße und dem ganze Kitsch drumherum ist hier so etwas wie ein katholisches Disneyland entstanden. Warum steht mitten in der Prärie so ein Klotz? Nun, das besondere Verhältnis der Polen zur katholischen Kirche dürfe ja bekannt sein, aber in Świebodzin wirkte mit Pfarrer Sylwester Zawadzki einst ein ganz besonderer Vertreter des Vatikans. Ein ganz besonders größenwahnsinniger. Das Prestigeobjekt des als „Baupfarrer“ bezeichneten Zawadzkis, der rund um Świebodzin weitere aberwitzige Projekte verwirklichte, sorgte aber selbst im strenggläubigen Polen für kontroverse Diskussion, was schon etwas heißen will. Der angeblich 3,5 Millionen Euro teure Koloss (genaue Quellen gibt es nicht) wurde 2010 fertiggestellt. Vier Jahre später starb Zawadzki, der testamentarisch verfügt hatte, dass sein Herz am Fuße der Statue beigesetzt wird, was zunächst auch so gemacht wurde. Da dies in Polen jedoch eine Ordnungswidrigkeit darstellt, entwickelte sich daraus ein Rechtsstreit. Aus Protest gegen die Behörden weigerte sich Zawadzkis Nachfolger, weiterhin Gottesdienste zu leiten, und beantragte seine Versetzung. Ebenfalls rollen musste der Kopf der Leiters der Klinik, deren Ärzte Zawadzkis Leiche das Herz entnommen hatten. Polen erklärt – anhand einer Statue. So richtig schön polnisch wird es dann auch im kleinen Dorf Sienno mit seinen nur 180 Einwohnern. Hier wird zwar nur unterste Liga geboten und das auf einem ausbaulosen Sportplatz, doch der hatte uns schon anhand der Luftbilder auf Google Maps fasziniert. Auf dem Grashügel hinter einem der Tore hat man nämlich mit Steinen den Vereinsnamen in großen Lettern geschrieben. Auch das Wappen – ein Karpfen mit einem Fußball im Mund – sorgte für viele Vorschusslorbeeren. Die Ähnlichkeit des Namens mit dem italienischen Sienna ließ uns am Vorabend schon mehrfach euphorisch singen: „Vinci per noi magico Sienno!“ Euphorisch sind aber nicht nur wir, denn gegen Warta Kołczyn geht es für die Gastgeber heute Vormittag um nichts weniger als den vorzeitigen Aufstieg, was auch die große Kulisse von fast 100 Zuschauern erklärt. Das mag auf den ersten Blick nicht nach viel klingen – aber es ist die Hälfte des Dorfes. Einige davon sind mit Schals unterwegs und auch das ist beeindruckend, einfach weil es überhaupt Schals von so einem kleinen Verein gibt. Dazu geht es wieder überaus entspannt zu: Eintritt frei, keine Ordner am Eingang, Getränke bringt man sich selbst mit. Da gönnt man Sienno nur das Beste. Und tatsächlich läuft es wie am Schnürchen: Mit einem klaren 5:0-Sieg steigen die Karpfen auf. Jubel auf dem Rasen nach Abpfiff, während wir eilig das Weite suchen müssen. Die Wolfsburger ziehen weiter nach Rzepin, wir nach Trzcińsko-Zdrój.