SV Stuttgarter Kickers – FV Ravensburg 3:0

Deutschland, Oberliga Baden-Württemberg (5. Liga) 
Samstag, 7. Dezember 2019, 14 Uhr 
Stuttgart, Waldaustadion 

Der alljährliche Besuch bei den Blauen steht an. Mindestens einmal pro Saison zieht es mich noch zu meiner alten Liebe, zuletzt war dies beim Aufstiegsspiel in Alzenau der Fall, bei dem die Kickers ja – mal wieder – kläglich gescheitert sind. Was ist seitdem passiert? In der nun zweiten Fünftligasaison der gesamten Vereinsgeschichte scheinen die Blauen ein Stückchen geerdeter zu sein. Vergangene Saison bezeichneten sie sich noch großspurig als „FC Bayern der Oberliga“ und fielen vor allem durch Arroganz auf, wenn man als ehemaliger Bundesligist in den Oberliga-Dörfern auftauchte und sich als etwas Besseres fühlte. Umso peinlicher, dann nicht aufzusteigen, obwohl man zwischendurch mal zig Punkte Vorsprung hatte. Auch aktuell sind die Kickers wieder Tabellenführer, zwar nicht mit so großem Vorsprung wie vor einem Jahr, aber man hat den Eindruck, dass es dieses Jahr tatsächlich mit dem Aufstieg klappen könnte. Eine echte Bank ist wie üblich die Treue der Fans. Die Kickers haben derzeit den höchsten Zuschauerschnitt aller Oberligisten in Deutschland. Allerdings liegt der mit aktuell 2.600 auch um 200 unter dem Vorjahresschnitt. Umso unverständlicher, dass die Kickers etwa mit Ankündigungsplakaten für ihre Heimspiele trotz ihres Charakters als eigentlicher Stuttgarter Stadtclub in der Oberliga noch weniger in den Innenstadt-Bezirken präsent sind als früher und sich nun noch mehr auf Degerloch konzentrieren, wo der Verein in der Bevölkerung noch nie hoch im Kurs stand. Um es mal kurz für alle Nicht-Stuttgarter zu erklären: Degerloch ist High Society, das Grunewald und Blankenese von Stuttgart. Dort interessiert man sich für Golf und Tennis, nicht für den Proletensport Fußball. Als die Kickers noch in der 2. Bundesliga gespielt hatten, lieferten sich die Anwohner erbitterte Bürokratie-Schlachten um die Parkplätze. Noch bis zuletzt verschwanden die Straßen rund ums Waldaustadion bei Kickers-Heimspielen hinter Straßensperren, damit ja keine Fußballfans vor den Degerlocher Villen parken. Diese Degerloch-Fokussierung habe ich nie verstanden und sie war auch einer der Gründe, die mich von den Kickers weggetrieben haben. Der Verein hat mit dem Stadtteil an sich gar nichts zu tun. Seine Wurzeln liegen in Cannstatt, die Kickers wurden 1905 lediglich aus Platzgründen auf die über Degerloch liegende Waldau umgesiedelt. Man könnte zwar argumentieren, dass die finanziellen Mittel des Vereins in Oberliga beschränkt sind und man nicht das Geld hat, um in der gesamten Stadt vor Heimspielen zu plakatieren. Aber dann verbrate ich die wenigen Plakate, die mir zur Verfügung stehen, doch nicht nur in Degerloch und lasse die Innenstadt außen vor, sondern mache es genau umgekehrt. Hinzu kommen so kleine Gesten, die nicht viel oder gar nichts kosten, die aber sowohl vereinshistorisch als auch strategisch Blödsinn sind. Das fängt damit an, bei der eigenen Adresse auf der Homepage ganz offensiv den Zusatz „Stuttgart-Degerloch“ zu führen, und endet damit, dem neuen Bezirksvorsteher von Degerloch hochoffiziell zur Amtseinsetzung zu gratulieren. Warum gratuliert man nicht auch den anderen Stuttgarter Bezirksvorstehern? Man ist schließlich der Stadtclub! Einerseits in der Stadt häufig nur als Degerlocher Kickers wahrgenommen zu werden und andererseits in Degerloch aufgrund der besonderen Bevölkerungsstruktur auch nicht wirklich zu punkten, bewirkt letztendlich, dass man bei den Zuschauerzahlen seit 20 Jahren auf der Stelle tritt. Da ist es schon bemerkenswert, dass im zweiten Oberliga-Jahr zu einem Heimspiel gegen den FV Ravensburg trotzdem 2.450 Zuschauer kommen. Jeder andere Verein wäre schon bedeutungslos, zumal die sportlichen Erfolge ausbleiben und es seit dem Zweitliga-Abstieg 2001 nur bergab geht. By the way: Interessant, dass seitdem teilweise immer noch die gleichen Personen in den Ämtern sitzen und nach jedem Abstieg sagen, dass man jetzt auf Kontinuität im Verein setzen müssen. So sehr ich mir die Rückkehr in die Regionalliga auf der einen Seite wünsche: Er würde immer noch zu früh kommen. Wahrscheinlich müssen die Kickers erst in die Verbandsliga absteigen, um einen echten Neustart mit neuen Leuten im Hintergrund hinzubekommen. Die alten beweisen ja seit 20 Jahren eindrucksvoll, dass sie es nicht können – trotz momentaner Tabellenführung. Das zweite große Problemfeld bei den Kickers ist die Ultras-Szene und da bin ich heute zunächst wirklich überrascht, wie viele Leute da hinter der „B-Block Stuttgart“-Fahne stehen. Auch das ist weit über Oberliga-Niveau. Beeindruckend auch, wie viele junge Leute da inzwischen stehen – was aber andererseits halt auch bedeutet, dass viele ältere eben nicht mehr dabei sind. Und das ist das Grundsatzproblem, denn die Szene entwickelt sich nicht. Ich habe heute extra darauf geachtet: Während der 90 Minuten wird kein einziges Lied gesungen, das nicht auch schon vor sechs, sieben Jahren gesungen wurde. Wenn man dann noch bedenkt, dass das langweilige Liedgut sowieso nie die Stärke der Kickers war, ist das wirklich erschreckend. Man schläft beim Zuhören fast ein. Ich verstehe auch nicht, warum bei einem Oberligisten in der Halbzeitpause der Vorsänger gewechselt werden muss. Man muss ja nicht gleich einen Lehmi oder einen Martin Stein vorne stehen haben, aber solch eine Fluktuation wirkt sich natürlich alles andere als positiv auf die Stimmung aus. Optisch sieht das wie gesagt sehr gut aus, aber akustisch ist das auch heute wieder eher ein Griff ins Klo. Komplett ohne Gästefans ist der FV Ravensburg angereist und damit auch ohne die Ultras Ravensburg. Sonderlich viele waren das zwar nie, aber wirklich mit null Leuten zum Saison-Highlight anzureisen, ist schon eine derbe Enttäuschung. Verbunden mit dem alljährlichen Besuch bei den Blauen wird auch der alljährliche Besuch des Stuttgarter Weihnachtsmarktes, der mit den besonderen Dachdekorationen ja immer für ein ganz besonderes Flair sorgt. Schon mal eine schöne Einstimmung auf die nahende Israel-Tour samt Heiligabend in Bethlehem.