Samstag, 28. Dezember 2019, 15 Uhr
Tel Aviv, Bloomfield Stadium
Viel hat das heutige Jaffa nicht mehr mit der arabischen Stadt zu tun, die es einmal war. Es sind fast nur Touristen unterwegs und stellenweise wirkt der Ort wie eine Reproduktion in einem Vergnügungspark. Immerhin: Der Shabbat spielt hier dadurch praktisch keine Rolle. Und auch trotz der Touristen ist Jaffa heute Vormittag einen zweiten Sparziergang wert, diesmal bei Tageslicht und (noch) herrlichem Wetter. Es geht über den Flohmarkt von Jaffa, erneut durch die schönen Altstadtgassen und hinunter zum Hafen, an dem einst die berühmten Orangen verladen wurden, die dem Jaffa Cake seinen Namen gaben. Entlang der schroffen Strandpromenade, an die vor der Kulisse der Altstadt von Jaffa das berühmte Graffito der Ultras Hapoel gepinselt wurde, geht es zum alten Bahnhof von Jaffa. Der stammt noch aus osmanischer Zeit, wurde aber längst stillgelegt. Heute ist das gesamte Bahnhofsgelände eine Art Künstlerdorf mit Ateliers und Cafés. Von hier aus ist es dann auch nicht mehr weit bis zum Bloomfield Stadium, das am Rand von Jaffa liegt, weshalb es nicht so dumm war, während der Shabbat-Ruhe in Jaffa zu übernachten. Ohne ÖPNV bleiben schließlich nur die Füße als Fortbewegungsmittel. Zwischen dem alten Bahnhof von Jaffa und dem Bloomfield Stadium liegt noch das amerikanisch-deutsche Kolonialviertel, das wiederum eine schöne Zeitreise in die Anfangstage von Tel Aviv ist. Hier stehen noch viele niedliche Häuschen, während der Rest der Stadt von mehrgeschossigen Gebäuden im Bauhaus-Stil und modernen Hochhäusern mit Glasfassaden dominiert wird. Richtig modern ist inzwischen auch das 1962 eröffnete Bloomfield Stadium, das von 2008 bis 2010 umfangreich erneuert wurde und seitdem zusammen mit dem Teddy Stadium in Jerusalem und dem Samy Ofer Stadium in Haifa zu den drei Stadien Israels gehört, in dem internationale Spiele stattfinden dürfen. Ich habe hier ja bereits angesprochen, dass die Dichte an Vereinen im Gusch Dan groß ist, nicht aber an Stadien. Genau wie im HaMoshava Stadium in Petah Tikva dient daher auch das Bloomfield Stadium gleich mehreren Profivereinen als Heimspielstätte. Im HaMoshava Stadium sind es fünf Vereine, hier sogar sechs: die Erstligisten Hapoel Tel Aviv, Maccabi Tel Aviv und Bne Yehuda Tel Aviv sowie die Zweitligisten Beitar Tel Aviv, Shimshon Tel Aviv und Maccabi Jaffa. Ganz klar heraus sticht Maccabi Tel Aviv – mit 21 Meistertiteln israelischer Rekordmeister und auch amtierender Meister. Seit 1949 ist der Verein ununterbrochen in der 1. Liga. Hauptrivale Hapoel Tel Aviv (bekannt durch die Freundschaft mit Sankt Pauli) bringt es dagegen auf „nur“ 13 Meistertitel, ist aber mit Aufklebern und Graffiti im Stadtbild deutlich stärker vertreten. Die Rivalität zwischen beiden Vereinen geht über den reinen Stadtderby-Charakter hinaus, denn sie basiert auch auf der Feindschaft zwischen den beiden Sportverbänden Maccabi und Hapoel, deren wichtigste Repräsentanten die beiden großen Ableger in Tel Aviv sind. In meinem Fall muss ich sagen: leider – denn Anfang des Monats trafen Maccabi und Hapoel in der Liga aufeinander, wobei es mal wieder zu Zwischenfällen kam. Unter anderem flog von beiden Seiten Pyrotechnik aufs Spielfeld und es brannten Sitzschalen. Hapoel wurde dafür mit drei Geisterspielen und zwei Heimspielen mit geschlossener Kurve bestraft, Maccabi mit einem Geisterspiel und zwei Spielen ohne Kurve. Somit muss auch das heutige, eher belanglose Heimspiel gegen Hapoel Kfar Saba ohne Heimkurve stattfinden. Zumindest auf dem Papier, denn die Kurve wird geöffnet, es herrscht aber ein absolutes Materialverbot. Keine Fahnen, keine Trommeln, kein Megaphon. Der Bereich in der Kurve, in dem sonst der Kern der Maccabi-Ultras steht, wird mit einer grauen Plane abgehängt, damit dort niemand stehen kann. Ein Schildbürgerstreich, denn die Ultras kommen natürlich trotzdem in die Kurve und stellen sich einfach neben die graue Plane. Es stellt sich sogar ein Vorsänger auf die Brüstung. Richtige Stimmung kommt trotzdem nicht auf, obwohl der Rekordmeister auf dem Rasen eine saubere 4:0-Gala tanzt. Vielleicht liegt es am abartigen Regen, der sich wie ein Wasserfall über der unüberdachte Kurve ausbreitet, vielleicht sieht sich auch manch einer in der Pflicht, aufgrund der ausgesprochenen Kurven-Sperre nicht am Rad zu drehen. So sind es lediglich die rund 120 Maccabi-Ultras, die pflichtbewusst ihr Programm abspulen. Da im Gästeblock überhaupt nichts los ist, wo nur etwa 30 unorganisierte Leute aus dem ebenfalls im Gusch Dan gelegenen Kfar Saba sitzen, ist das hier also eine recht triste Veranstaltung. Immerhin hat man vom Stadion aus einen schönen Blick auf die Skyline von Tel Aviv. Nach Abpfiff beginnt dann der Kampf gegen die Zeit: Die Sonne verschwindet in Richtung Horizont, das Ende der Shabbat-Ruhe naht – und ich muss unbedingt einen der ersten Busse in die Negev-Wüste erwischen, wo das zweite Spiel des Tages auf mich wartet.