Sonntag, 15. Dezember 2019, 14.30 Uhr
Stuttgart, Germania-Platz
Nur acht Kilometer liegen zwischen dem Vaihinger Schwarzbachstadion und dem Platz des FV Germania Degerloch, der sein Heimspiel gegen den SV Gablenberg im Gegensatz zum Rest der Liga erst um 14.30 Uhr anpfeifen lässt. Statt 15 stehen somit komfortable 45 Minuten zur Verfügung, um von A nach B zu kommen. Normalerweise reicht das, um die Strecke gleich dreimal abzufahren, doch am Ende tauche ich tatsächlich zu spät in Degerloch auf. Denn: Auf dem Parkplatz des Schwarzbachstadions hat man mich eingeparkt. Das muss einem Zuschauer gehören, der das nachfolgende Heimspiel der ersten Mannschaft des SV Vaihingen anschauen will, und da es keine Lautsprecheranlage gibt, bleibt mir nichts anderes übrig, als jeden einzelnen Zuschauer anzusprechen, ob das sein Auto sei. Keiner will es sein, also muss ich eine zweite Runde machen – diesmal mit der Androhung, einen Abschleppwagen zu rufen. Nicht meine favorisierte Version, weil in Degerloch mindestens die zweite Halbzeit läuft, bis der Abschleppwagen da ist. Die Drohung fruchtet jedoch, verschmitzt grinsend gibt sich der Übeltäter doch noch zu erkennen. Auf meine Frage, warum er das nicht schon bei meiner ersten Runde getan hat, gibt er wenigstens ehrlich zu: „Ich wollte in Ruhe das Spiel schauen.“ Somit tauche ich erst zur 10. Spielminute auf dem Germania-Platz auf, der genau wie die Spielstätten mehrerer Stuttgarter Fußballvereine der ersten Stunde oben auf der Waldau im Schatten des ältesten Fernsehturms der Welt liegt. Während die großen Nachbarn Kickers und Sportfreunde sowie Eintracht, ABV (Allgemeiner Bildungsverein) und TSV Stuttgart aber einst aus Platzmangel auf die Waldau verpflanzt wurden, ist die Germania der eigentliche Fußballverein von Degerloch. Lange Zeit sah man es dem Verein an, dass er in der Vergangenheit nicht ganz so die große Geige im Stuttgarter Fußball gespielt hat wie die zugezogenen Nachbarn. So spielte die Germania als einziger Verein auf der Waldau viele Jahre nur auf Asche. Ein hässliches Entlein ist sie inzwischen aber nicht mehr, denn aus dem Asche- ist ein Kunstrasenplatz geworden und auch das Vereinsheim macht dank einer Sanierung jetzt einen anständigen Eindruck. Fragen darf man, warum die Germania eigentlich sportlich nie eine Rolle gespielt hat, die Anlage mit der der Nachbarn nicht mithalten konnte und das Zuschauerinteresse – auch heute gegen den SV Gablenberg – so gering ist. Schließlich repräsentiert der Verein Degerloch und damit den Stadtteil der Stuttgarter Oberschicht. Geld ist in Degerloch also massiv vorhanden. Die Antwort findet sich direkt neben dem Germania-Platz, der in drei Himmelsrichtungen von nicht weniger als 25 (!) Tennisplätzen des Tennis-Bundesligisten TEC Waldau eingekreist wird. Schon allein der Ausbau des Center Courts, der direkt hinter dem Tor von Germania steht, macht deutlich: Die Degerlocher High Society interessiert sich für ganz andere Sportarten als Fußball.
Passenderweise an dieser Stelle auch noch mal die Erklärung für die vielen Nicht-Stuttgarter, die gerne die falsche Bezeichnung "im Degerloch" verwenden: Loch hat in diesem Fall nichts mit einer Öffnung zu tun, sondern leitet sich vom Wort Lohe (Wald) ab. Degerloch bzw. Tegerlohe, wie der Ort ursprünglich hieß, bedeutet ganz simpel "dichter Wald". Ohnehin ist Degerloch der am höchsten gelegene Stadtteil Stuttgarts, weshalb die Bezeichnung "im Degerloch" erst recht keinen Sinn macht.