FC Beitar Jerusalem - Hapoel Ra'anana 2:0

Israel, Ligat ha‘Al (1. Liga) 
Mittwoch, 25. Dezember 2019, 20.15 Uhr 
Jerusalem, Teddy Stadium

Heiligabend in der heiligen Stadt – mein Highlight der Tour steht auf dem Programm, auch wenn das ausnahmsweise mal gar nichts mit Fußball zu tun hat. Da ich den Flug nach Israel schon lange vor der endgültigen Terminierung der Spiele gebucht hatte, hoffte ich bis zuletzt darauf, dass das Beitar-Heimspiel auf den Heiligabend gelegt wird, um nach Abpfiff schnell nach Bethlehem weiterdüsen zu können. Somit wäre über die Weihnachtsfeiertage Zeit, irgendwo anders in Israel Fußball anzuschauen. Ohnehin war die Tatsache, dass die israelische Liga in diesem Jahr wieder eine englische Woche über Weihnachten ansetzt (ist für Juden ja kein besonderes Datum), der Grund dafür, die langersehnte Israel-Tour endlich anzugehen – zumal auch das Haifa-Derby auf den Weihnachtsspieltag fällt. Die Terminierung läuft dann auf den ersten Blick jedoch ziemlich beschissen: Das Haifa-Derby findet bereits am Heiligabend statt und damit besteht null Chance, es danach noch bis nach Bethlehem zu schaffen. Auf den zweiten Blick wird mir dafür klar, dass der Spielplan mit dem Beitar-Heimspiel am 25. Dezember doch gar nicht so schlecht ist, habe ich dadurch doch ganze dreieinhalb Tage Zeit für Jerusalem – und die dürften in dieser Stadt mit Sicherheit gut angelegt sein. Schweren Herzens wird damit aufs Haifa-Derby verzichtet und es geht am Mittag des Heiligabend von Tel Aviv nach Jerusalem. Auch wenn man nicht so ein Eisenbahn-Fan so wie ich ist, empfiehlt es sich, den Zug statt den in Israel üblichen Bus zu nehmen, denn im September 2019 wurde die neue Bahnstrecke zwischen den beiden größten Städten des Landes in Betrieb genommen. Bis dahin brauchten die Züge für die rund 60 Kilometer lange Strecke gemütliche 80 Minuten, zudem lag der Jerusalemer Bahnhof weit außerhalb des Zentrums. Die neue Strecke, die gleichzeitig auch den Flughafen Tel Aviv ans Schienennetz angeschlossen hat, ist die erste Hochgeschwindigkeitsstrecke Israels, auf der die Züge auf bis zu 160 km/h kommen – ein Quantensprung. Nur noch eine halbe Stunde brauchen die Züge jetzt von Tel Aviv nach Jerusalem. Der Bus braucht doppelt so lange. Der Preis liegt mit 22 Schekeln (5,50 Euro) wie gewohnt schwer im Rahmen. In Jerusalem enden die Züge am neuen Bahnhof Yitzhak Navon. Das futuristische Bauwerk liegt 80 Meter unter der Erde, die Oberfläche erreicht man über mehrere Rolltreppenanlagen. Fahrtzeit insgesamt: 10 Minuten. Oben kommt man auf der Jaffa Street raus, die mit ihren vielen Geschäften und Imbissen die Hauptstraße des modernen Jerusalems ist. Sie endet in der Altstadt. Da sich gegenüber des Bahnhofs Yitzhak Navon auch der zentrale Busbahnhof befindet, ist das hier eindeutig der wichtigste Verkehrsknotenpunkt der Stadt. Neu ist aber nicht nur der Bahnhof, sondern auch die 2011 fertiggestellte Straßenbahn von Jerusalem. Bislang gibt es nur eine Linie, die am Herzlberg mit seiner Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem beginnt und über die Jaffa Street bis hin zur sagenumwobenen Altstadt führt. Dort endet sie allerdings nicht, sondern geht bis hinein nach Ost-Jerusalem, also in die palästinensische Stadthälfte. Das wird als einer von vielen Versuchen Israels betrachtet, sich die gesamte Stadt unter den Nagel zu reißen, weshalb die Straßenbahn massiv in der Kritik steht und stellenweise boykottiert wird. Für die Touristen ist sie aber ehrlich gesagt ein großer Vorteil, zumindest noch, denn die Israel Railways wollen einen weiteren Bahnhof in der Altstadt bauen und die Tel-Aviv-Strecke bis dorthin verlängern. Das Ziel: Man soll mit dem Zug in nur 45 Minuten vom Strand bis an die Klagemauer kommen. Auch daran merkt man, welch Faszination diese Altstadt von Jerusalem auslöst und nachdem ich schnell meinen Rucksack in der an der Jaffa Street gelegenen Unterkunft abgeladen habe, geht es für mich natürlich schnurstracks in die Altstadt. Mein Ziel lautet heute zwar Bethlehem, dorthin bzw. bis zum nächstgelegenen Grenzübergang fahren die Linienbusse aber ohnehin vom Damaskustor der Altstadt ab. Alle Tore, die in die Altstadt hineinführen, tragen einen Namen und sind die wichtigsten Orientierungspunkte in der Altstadt. Wie die meisten Touristen betrete ich die Altstadt durch das Jaffator und schlendere von dort bis zum Damaskustor, womit ich einmal das christliche Viertel durchquere. Aus vier solchen Vierteln besteht die Altstadt der Religions-Welthaupthauptstadt, neben dem christlichen gibt es ein jüdisches, ein muslimisches und ein (ebenfalls christliches) armenisches Viertel. Am Heiligabend durch das christliche Viertel und vorbei an der Grabeskirche zu schlendern, ist schon ein ganz besonderer Zauber. Leuchtende Kreuze, religiösen Kitsch und Relikte der alten Kreuzfahrer gibt es hier zwar das ganze Jahr über zu sehen, jetzt an Weihnachten liegt aber auch ständig der Geruch von Weihrauch in der Luft und aus den Geschäften erklingen Weihnachtslieder. Man steht vor einem uralten Gebäude, auf dem (auf Deutsch) der Schriftzug des Johanniter-Ordens zu lesen ist, und hört „Jingle Bells“. Ein bisschen irre ist das schon. Ebenfalls irre, aber nicht ganz so spirituell läuft dann die Fahrt nach Bethlehem ab. Die Busse dorthin fahren ab dem kleinen Busbahnhof HaNeviim, der sich gegenüber vom Damaskustor befindet. Von hier aus fahren eigentlich alle palästinensischen Buslinien ab, eine direkte Verbindung gibt es seit dem Bau der Sperranlagen aber nicht mehr und die Busse fahren fahren nur bis zum Grenzübergang. Ich nehme die Linie 234, die für umgerechnet 1 Euro bis zum sogenannten Checkpoint 300 fährt. Was mich an der Stelle extrem wundert: Es sitzen kaum Touristen oder Pilger im Bus, obwohl Bethlehem heute Abend ja ein attraktives Ziel für viele sein müsste. Doch nur ein orthodoxer Mönch, drei Amerikaner und ich wollen über die Grenze. Der Übertritt verläuft dann vollautomatisiert und ohne Kontakt mit einem Beamten. Man geht durch ein Drehkreuz, über dem „Bethlehem“ zu lesen ist, läuft durch eine kleine Tunnelanlage und wird auf palästinensischer Seite wieder ausgespuckt. Dort beginnt schon rein optisch eine ganz andere Welt. Im Gegensatz zu Israel liegt massenhaft Müll auf der Straße, zwischen dem viele streunende Hunde nach Essbarem suchen. Direkt am Checkpoint nimmt einen auch eine Armada an Taxifahrern in Beschlag, die sehr offensiv auf einen zukommen. Vom Checkpoint aus sind es etwa noch 4 Kilometer bis in die Altstadt von Bethlehem. Mein Reiseführer empfiehlt, einen Fahrpreis zwischen 10 und 25 Schekel (2,50 bis 6 Euro) auszuhandeln, doch hier liegen die Forderungen allesamt bei 100 Dollar. Klar, am Heiligabend steigen die Preise, was übrigens auch für Jerusalem gilt. Mein Hostel verlangt an Weihnachten einen Aufschlag von stolzen 100 Prozent. Der Unterschied: Mein Hostel ist ausgebucht, hier kommen aber nur vier Touristen und ein Mönch aus der Grenzanlage heraus. Angebot und Nachfrage müssten somit ein ganz anderes Ergebnis liefern. Allesamt lassen die Taxifahrer daher links liegen und machen sich zu Fuß auf den Weg zum zentralen Krippenplatz (Manger square), der Geburtsstätte von Jesus. Schnell bin ich froh, nicht das Taxi genommen zu haben, denn zu Fuß lassen sich die Eindrücke viel besser aufsaugen. Gespenstisch ist vor allem der Weg entlang der Sperranlagen mit ihren meterhohen Mauern. „Welcome to the world's largest prison“ ist dort passenderweise zu lesen. Bethlehem gehört zur sogenannten A-Zone, wodurch die palästinensische Autonomiebehörde hier volle Autonomie hat. Die B-Zone steht unter palästinensischer Verwaltung, aber Israel stellt die Sicherheitskräfte. In der C-Zone haben die Palästinenser gar nichts zu melden. Hier in der A-Zone ist die eigene palästinensische Polizei im Einsatz, deren schwer bewaffnete Einheiten mit nur wenigen Metern Abstand den Weg vom Checkpoint für die Fahrzeuge bis in die Altstadt säumen. In dem Fall eine gute Orientierungshilfe. In der Altstadt fällt mir dann ein weiteres Mal auf, wie wenig hier doch los ist. Stellenweise begegnet man minutenlang keiner anderen Person – am Heiligabend in der Altstadt von Bethlehem! Das macht die ganze Sache umso mystischer und man bildet sich ein, dass gleich Maria und Josef um die Ecke biegen. Rund um den Krippenplatz ist allerdings doch eine Menge los. Die ganze Szenerie ist schwer zu fassen. Man steht am Heiligabend vor der Geburtskirche, die über der echten Krippe gebaut wurde, was einen automatisch nachdenklich macht. Vor einem steht auf dem Krippenplatz eine große Holzkrippe und man weiß: Überall auf der Welt stehen jetzt Millionen von Menschen vor Krippen, aber keine andere ist so nah dran an der echten Krippe wie diese. Währenddessen springt eine Gruppe Japaner laut lachend in die Luft und lässt sich ganz hip vor der Holzkrippe fotografieren, während sich ein paar Meter weiter einige Pilger spontan zusammenstellen und ein Weihnachtslied singen, das vom Glockengeläut eines Mannes gestört wird, der sich als Weihnachtsmann verkleidet hat und über den Krippenplatz stapft. Zu diesem Mix aus Spiritualität und Kitsch mischen sich die Patrouillen der palästinensischen Polizei, die einem obendrauf den Nahost-Konflikt vor Augen halten. Uff, da muss man mal durchatmen. Höhepunkt des Heiligabends in Bethlehem ist die Mitternachtsmesse in der Geburtskirche. In sie dürfen nur geladene Gäste, der Gottesdienst wird aber via Großleinwand auf dem Krippenplatz übertragen. Den wollte ich mir eigentlich auch anschauen, allerdings fahren nur bis Mitternacht Busse vom Checkpoint zurück zum Damaskustor – da wird auch an Heiligabend keine Ausnahme gemacht. So ganz ohne Gottesdienst will ich den Heiligabend in Bethlehem aber nicht verbringen und glücklicherweise gibt es hier auch eine deutsche Kirchengemeinde, die den knuffigen Namen „Weihnachtsgemeinde“ trägt. Ihre Kirche, die etwa drei Gehminuten vom Krippenplatz entfernt steht, nennt sich dementsprechend „Weihnachtskirche“. Zwei Gottesdienste (in englischer Sprache) werden am Heiligabend in der Weihnachtskirche abgehalten, ich entscheide mich für den früheren von beiden, der um 19.30 Uhr beginnt und deutlich musiklastiger ist als der andere. Zusammen mit einem palästinensischen Bläserensemble werden europäische Weihnachtslieder gesungen. Coole Mischung. Ohnehin: „Ihr Kinderlein kommet“ zu hören und dabei zu wissen, dass das alles nur ein paar Meter entfernt passiert ist, ist schon beeindruckend. Rechtzeitig vor Mitternacht mache ich mich auf den Weg zurück zum Checkpoint und wundere mich in einem der letzten Busse zum Damaskustor ein weiteres Mal darüber, wie wenige Leute das auch so gemacht haben.

Am ersten Weihnachtsfeiertag steht wieder Fußball auf dem Programm. Aber natürlich nicht nur, denn schließlich befinde ich mich in der vermutlich geschichtsträchtigsten Stadt der Welt. Und inzwischen bin ich auch richtig froh über die Terminierung der Spiele, die ich bei der Planung noch als etwas unglücklich empfand. Jetzt weiß ich aber: Es wäre viel zu schade, nur ein oder zwei Tage in Jerusalem zu verbringen. Zumindest mir fällt es schwer, all das, was einem allein schon in der Altstadt begegnet, auf Anhieb greifen zu können. Zu nennen ist da zum Beispiel die Grabeskirche, die ich gleich mehrfach besuche. Es fängt schon damit an, dass sich der Zugang zum größten Heiligtum des Christentums, das dieser Religion auch noch ihr Symbol gegeben hat, ganz unscheinbar zwischen zwei Marktständen befindet. Es gilt als relativ gesichert, dass sich an der Stelle der Kirche tatsächlich der Golgata-Felsen befand, auf dem Jesus gekreuzigt wurde. So wäre beispielsweise nur an dieser Stelle das Gestein dafür geeignet gewesen, ein Kreuz hineinzubohren. Ebenso interessant ist der Streit, den sich die christlichen Konfessionen seit Jahrhunderten um das Bauwerk liefern. Logisch: Jede Konfession beansprucht die Grabeskirche für sich, weshalb sie aufgeteilt ist. Das Hauptschiff teilen sich Katholiken, Griechisch-Orthodoxe und Armenier, die jeweils eigene Kapellen in der Kirche besitzen. Hinzu kommen kleinere Konfessionen wie Kopten und Syrisch-Orthodoxe, die irgendwo angebaut haben, was die Grabeskirche zu einem verschachtelten Labyrinth macht, in dem einen nach jeder Ecke ein neuer Stil erwartet. Als wäre Till Eulenspiegel der Architekt gewesen. Hinzu kommen äthiopische Mönche, die das Dach der Kirche besetzen und deshalb angefangen haben, einfach dort zu leben. Unter den Vertretern der Konfessionen herrscht ein riesiges Misstrauen, so dass man die Schlüssel der Eingangstore schon im Mittelalter einer neutralen muslimischen Familie überreicht hat, die die Grabeskirche nachts ab- und morgens aufschließt. Dennoch lassen sich Mönche jeder Konfession jeden Abend in der Kirche einschließen und verbringen dort die Nacht, weil das Misstrauen den anderen gegenüber so groß ist. Könnte ja sein, dass die anderen einem den Altar klauen. Sinnbildlich für diesen Streit ist eine Leiter, die an der Außenfassade lehnt. Über ihr befand sich einst ein Eingang für Mönche, der aber schon seit Urzeiten nicht mehr genutzt wird. Im 19. Jahrhundert wollte man die Leiter daher entfernen, doch man konnte sich nicht darauf einigen, wer das Recht dazu hat, sie überhaupt anzufassen. Sie lehnt somit noch heute völlig nutzlos an der Wand. Höhepunkt der Grabeskirche ist aber ganz klar der Punkt, an der Jesus begraben wurde. Über ihn wurde eine Ädikula (eine Art Kapelle) gebaut, die nur Platz für fünf Personen bietet. Logisch: Alle wollen rein, keiner will raus. Eine Stunde steht man an, um zehn Sekunden lang darin zu sein, ehe einen der Mönch schon wieder zum Verlassen der prachtvoll geschmückten Ädikula ermahnt. Ganz schwer, sich in diesen zehn Sekunden diesen ganzen Glanz und die Bedeutung des Ortes vor Augen zu halten. Und so geht es mir auch an vielen anderen Stellen. Zum Beispiel der Raum, in dem Jesus mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl gefeiert hat. Ein völlig unscheinbarer Raum, der sich ein paar Meter außerhalb der Altstadt befindet. Kein großes Eingangsportal, kein Eintritt, kein Book Store. Völlig unscheinbar. Nur ein kleines Schild an der Wand und eine Horde fotografierender Asiaten. In jeder anderen Stadt wäre der Raum die Hauptattraktion, hier ist er allenfalls Auswechselbank. Dass neben dem Saal des letzten Abendmahles eine prachtvolle Kirche steht, die über der Stelle gebaut wurde, an der Maria gestorben ist, bekommt man nur mal so eben im Vorbeigehen mit. Passt ganz gut, dass sich an diesen Bereich das armenische Viertel anschließt, das ganz klar das ruhigste und unspektakulärste Viertel der Altstadt ist. Hauptattraktion ist dagegen eindeutig die Klagemauer im sehr gepflegten jüdischen Viertel. Dort wird schon deutlich mehr Wind gemacht, insbesondere von den Sicherheitskräften. Man muss sogar durch einen Metalldetektor gehen. Um die Bedeutung der Klagemauer zu verstehen, hilft ihr englischer Name besser weiter: Western Wall. Sie war die westlichste Außenmauer des alten jüdischen Tempel, der über den Altar gebaut wurde, an dem Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte. Laut dem Judentum fing Gott an dieser Stelle an, die Welt zu erschaffen. Auch die Bundeslade soll sich hier befunden haben. Für Juden stellt dieser Ort den Mittelpunkt der Welt dar, weshalb der Tempel bzw. seine Überreste das größte Heiligtum ist. Gleichzeit ist die Mauer für Juden aber auch eine Barriere, die sie nicht überschreiten dürfen. Denn: Im alten Tempel gab es Bereiche, die nur Hohepriester betreten durften. Da der frühere Grundriss des Tempels für Juden immer noch seine Gültigkeit besitzt und somit die exklusiven Bereiche der Hohepriester versehentlich betreten werden könnten, ist an der Klagemauer Endstation. Weiter darf kein Jude gehen. Das gilt natürlich nicht für die Muslime, die Abraham – unter dem Namen Ibrahim – ebenfalls verehren, da er ein Vorfahre des Propheten Mohammed war. Sie haben auf den Tempelberg nicht nur die Al-Aqsa-Moschee gesetzt, die nach Mekka und Medina die drittwichtigste Moschee des Islams ist, sondern über Abrahams Altar auch den Felsendom mit seiner goldenen Kuppel, der das Wahrzeichen der Jerusalemer Altstadt darstellt. Schon allein aus politischen Gründen ein hochsensibler Bereich, weshalb der Zugang streng reglementiert ist. Das gilt auch für Touristen. Aktuell ist der Zugang zum Tempelberg über die Mittagszeit eine Stunde lang für Besucher erlaubt. Der Andrang ist wie erwartet riesig, man steht locker 20 Minuten lang an. Der Eingang zum Tempelberg befindet sich neben der Klagemauer, über die eine Holzbrücke hinaufführt. Sie offenbart auch eine interessante Perspektive auf die Klagemauer: Man steht nur ein paar Meter über den Gläubigen und kann zuschauen, wie sie die Klagemauer küssen und kleine Zettel in sie hineinschieben. Viel Zeit sollte man sich auf der Brücke jedoch nicht lassen, denn auf dem Tempelberg tickt die Uhr gnadenlos. Kaum ist man vor dem Felsendom angekommen, fangen die israelischen Sicherheitskräfte schon wieder an, den Tempelberg zu räumen. Dabei hat er weit mehr zu bieten als nur die beiden muslimischen Bauwerke. Unter anderem ist da noch der schöne Blick auf den Ölberg und den Garten Gethsemane, in dem sich Jesus vor seiner Kreuzigung von seinen Jüngern verabschiedet hat. Die Sicherheitskräfte keinen da aber kein Pardon. Einer deutschen Touristin, die zufällig neben mir geht und die sich beim Verlassen des Tempelbergs noch einmal kurz umdreht, um ein Foto vom Felsendom zu machen, wird fluchend die Hand vors Handy gehalten.

Das Spektakel auf dem Tempelberg ist eine gute Einstimmung für das, was mich dann am Abend im Teddy Stadium erwartet. Es geht zu Beitar Jerusalem, einem der speziellsten Vereine der Welt. Fast alle israelischen Fußballvereine gehören einem der drei Sportverbände Hapoel, Maccabi oder Beitar an. Hapoel ist das hebräische Wort für Arbeiter, die ihm angeschlossenen Vereine sehen sich in der Tradition der Arbeitervereine und sind politisch eher links ausgerichtet. Der Maccabi-Verband wurde dagegen 1921 auf dem Zionistenverband im tschechischen Karlovy Vary gegründet und repräsentiert den Wunsch der Juden, einen eigenen Staat zu haben, der dementsprechend einen eigenen Sportverband hat. Der Sitz befand sich zunächst in Wien und Brünn, ehe er 1929 ausgerechnet nach Berlin verlegt wurde. Damals hatte er 100.000 Mitglieder. Mit der Machtergreifung der Nazis wurde die Expansion gestoppt und der Maccabi-Verband siedelte sich über die Zwischenstation London im Jahr 1946 in Ramat Gan bei Tel Aviv an, von wo aus der die Gründung des Staates Israel und die Aufstände gegen die britische Kolonialmacht in Palästina unterstützte. Aus diesem Grund steht auch das israelische Nationalstadion in Ramat Gan. Dritter großer Sportverband in Israel ist der politisch klar rechts stehende Beitar. Er ist sehr eng mit Israels Politik verbunden, aus ihm heraus ist die ebenfalls weit rechts stehende Likud-Partei von Ministerpräsident Netanyahu entstanden. Likud-Politiker sind in der Regel Fan von Beitar Jerusalem und tragen das auch offen zur Schau. Selbst Netanyahu kommentiert regelmäßig das Vereinsgeschehen. Seinerseits kündigte der Verein wiederum an, künftig den Namen von US-Präsident Donald Trump in den Vereinsnamen aufnehmen zu wollen, nachdem dieser die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt hatte, was die palästinensische Forderung nach einem eigenen Staat mit der Hauptstadt Jerusalem massiv torpediert. Vollzogen wurde die Umbenennung aber noch nicht, da der israelische Fußballverband das nur bei verstorbenen Personen erlaubt. Besonders bizarr wurde es aber, als im August 2005 der russischstämmige Milliardär Arcadi Gaydamk den Verein gekauft hatte. Durch den Beginn der Zweiten Intifada im Jahr 2000 und der gestiegenen Anschlagsgefahr speziell in Jerusalem sanken die Zuschauerzahlen bei Beitar, was dem Verein finanziell schwer zu schaffen machte. Gaydamks Kohle kam da gerade recht und Beitar wurde 2007 und 2008 israelischer Meister. Allerdings: Gaydamk, der von Frankreich wegen illegalem Waffenhandel zu acht Jahren Haft verurteilt und seit 2000 mit internationalem Haftbefehl gesucht, aber von Israel nicht ausgeliefert wurde, hat keine Ahnung von Fußball und räumte das in Interviews auch immer wieder ein. Er verfolgte mit dem Kauf von Beitar ein ganz anderes Ziel, nämlich die Jerusalemer Bürgermeister-Wahl von 2008 zu gewinnen – allerdings nicht für den Likud, sondern mit einer selbst gegründeten Partei. Der Plan ging trotz der beiden Meistertitel kräftig in die Hose und Gaydamk holte nur 3,6 Prozent der Stimmen. Enttäuscht fuhr er sein finanzielles Engagement bei Beitar zurück, blieb aber Eigentümer. Jahrelang wurde er nicht mehr im Stadion gesehen, was bei den Fans für massive Kritik sorgte, zumal Beitar sportlich dadurch ins Mittelmaß zurückfiel und seither keinen Titel mehr holte. Doch 2013 kehrte Gaydamk zurück – mit einem ganz neuen Plan. Beitar sollte sich nun internationaler aufstellen, neue Märkte erschließen. Es folgte eine Reise der Mannschaft in Gaydamks Heimat Russland, genauer gesagt ins wilde Tschetschenien, also in eine muslimische Region. Dort bestritt Beitar nicht nur ein Testspiel, sondern verpflichtete zwei tschetschenische, muslimische Spieler. Das bedeutete Krieg, denn Beitar definiert sich nicht zuletzt über den Hass auf Palästinenser und alles Arabische. Bis dahin hatte noch nie ein muslimischer Spieler das Beitar-Trikot getragen, und dabei sollte es bleiben – egal ob Palästinenser oder Tschetschene. Angeführt von der Ultras-Gruppe La Familia verweigerten die Fans der Mannschaft die Gefolgschaft. Als einer der beiden Tschetschenen ein Tor schoss, verließen zahlreiche Zuschauer das Stadion. Die Proteste gipfelten in einem Brandanschlag auf das Trainingsgelände von Beitar. Nur knapp konnte der Verein den Abstieg verhindern. Wenig überraschend hatten die beiden Tschetschenen am Saisonende die Schnauze voll und verließen Israel. Doch auch für Gaydamk war das Kapitel Beitar beendet. In einem Interview sagt er anschließend, er habe die beiden Spieler nur verpflichtet, um zu provozieren. La Familia und der Rest der Beitar-Fans gewannen somit diesen vereinsinternen Krieg und sahen sich in ihrer Haltung bestätigt. Gesänge wie „Tod den Arabern“ oder „Wir sind die rassistischte Mannschaft Israels“ gehören fest zum Repertoire, ebenso Spruchbänder wie „Beitar ewig rein“. Überfälle nach verlorenen Spielen auf arabische Geschäfte kamen auch schon vor. Ich kann also nicht sagen, dass ich mit einem großen Sympathie-Vorschuss das Teddy Stadium betrete, das nach dem ebenfalls nicht unumstrittenen Teddy Kollek benannt wurde, der von 1965 bis 1993 Bürgermeister von Jerusalem war. Während der Nazi-Zeit machte sich der gebürtige Österreicher zwar verdient,  indem er Juden die Flucht aus Nazi-Deutschland ermöglichte und Adolf Eichmann überzeugen konnte, 3000 jüdische Jugendliche aus dem KZ zu entlassen, gehörte aber der Hagana an. Sie bekämpfte in Palästina die britischen Kolonialherren, bis 1948 der Staat Israel gegründet wurde, enteignete die palästinensische Bevölkerung und vertrieb sie in den Gazastreifen und ins Westjordanland. Als Bürgermeister ließ Teddy Kollek unter anderem das marokkanische Viertel in der Jerusalemer Altstadt vernichten, damit Juden leichter die Klagemauer erreichen können. Passender Stadionname für diesen Verein. Und dennoch muss ich ehrlich sagen: Was La Familia hier an Stimmung veranstaltet, ist schon richtig gut. Wieder der typische Griechenland-Style – und das trotz des unattraktiven Gegners mit hoher Motivation. Interessant ist auch der Fahnenstil von La Familia. Es hängt nämlich nur eine kleine Fahne in Doppelhalter-Größe vorm Block, mehr nicht. Minimalismus, der Größe zeigt. Dass die Jungs gut organisiert sind, habe ich schon vor dem Stadion gesehen, wo zahlreiche Mitglieder unterwegs sind und den Zuschauern Gesangsbücher mit Kurvenliedern in die Hand drücken. Zum ersten Mal traue ich mich heute auch an das typisch israelische Stadion-Essen heran: Hot Dogs. Mit einem Preis von umgerechnet etwa 5 Euro sind die deutlich günstiger als das, was man so an den Imbissen in der Stadt geboten bekommt, und da man sich die Hot Dogs nach eigenem Geschmack mit unendlich viel Sauerkraut vollhauen darf, machen sie auch wirklich satt.

Dass es mich auch am nächsten Tag noch einmal in die Altstadt ziehen wird, versteht sich von selbst. Allerdings hat Jerusalem noch mehr zu bieten. Zum Beispiel die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, die man ganz einfach per Straßenbahn erreichen kann (Endhaltestelle Mount Herzl). Wer schon mal in Deutschland in ähnlichen Gedenkstätten wie etwa dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg unterwegs war, erfährt zwar nicht wirklich viel Neues. Deutlich interessanter sind hier in Jerusalem dafür die Besucher, unter denen sich auch regelmäßig Holocaust-Überlebende befinden. Das verleiht dem Besuch eine ganz andere Tiefe. Yad Vashem ist jedoch nicht nur Gedenk-, sondern auch Forschungsstätte. Opfer und Überlebende werden hier erforscht und archiviert. Am Eingang liegen noch immer Formulare aus, in die sich Holocaust-Überlebende eintragen können. Hat ein bisschen was von Arbeitsamt-Atmosphäre und wirkt dadurch umso gruselig. Auf eine ganz andere Art gruselig ist dagegen mein letzter Programmpunkt, den ich mir nach dreieinhalb Tagen in Jerusalem vornehme: Mea Shearim. Es ist das Viertel der ultra-ortdoxen Juden und damit eine Reise zurück ins Mittelalter. Keine Fernseher, keine Handys mit Internetzugang, keine kurzen Hosen – obwohl nur fünf Gehminuten von der lebhaften Jaffa street entfernt, weht hier ein ganz anderer Wind. Anstelle von Werbung sind die Wände mit Auszügen und Anweisungen aus der Tora plakatiert. Die Buchläden führen ausschließlich religiöse Literatur. Die Männer laufen wie uniformiert in schwarzen Anzügen, weißen Hemden und seltsamen Hüten herum, die Frauen mit langen Röcken, Kopftüchern oder Perücken, unter denen sie ihr echtes Haar verbergen. Das zu sehen steht nur dem Ehemann zu. Auch als Nicht-Orthodoxer darf man Mea Shearim betreten, muss aber die Kleidervorschriften einhalten, auf die Plakate hinweisen. Rechtlich bindend ist das nicht, aber wer zum Beispiel in zu kurzem Rock rumläuft, wird von den Einwohnern bespuckt, beworfen und gejagt (siehe hier). Die Einwohner sind hauptsächlich Nachfahren von Rabbinern, die den Holocaust überlebt haben. Sie betrachten den Holocaust als eine Strafe Gottes, deren Wiederholung nur dadurch verhindert werden kann, die Tora so streng wie möglich auszulegen. Am Shabbat drehen die Bewohner regelmäßig durch und verlassen ihr Viertel, um auch weniger religiösen Leuten die Shabbat-Ruhe aufzuzwingen. Geöffnete Läden werden regelrecht belagert und manche werfen sich sogar vor Autos, um sie an der Weiterfahrt zu hindern (siehe hier). Mitunter werden am Shabbat geöffnete Parkhäuser belagert (siehe hier). Denn: Laut Tora darf man am Shabbat kein Feuer machen, doch die Zündkerzen im Motorraum werden als Feuer interpretiert. Dabei dürfte kaum ein ultra-orthodoxer Jude wissen, wie ein Motor funktioniert, denn Jungs werden im Alter von 13 Jahren von der Schule genommen, damit sie sich bis zu ihrem Lebensende allein dem Lesen der Tora widmen können, während die Frauen die Kinder erziehen, den Haushalt schmeißen und Geld verdienen müssen. Weil das gar nicht aufgehen kann, ist fast jede Familie in Mea Shearim von Sozialhilfe abhängig. Das regt alle anderen Israelis gewaltig auf, denn ultra-orthodoxe Juden lehnen den Staat Israel ab und verweigern daher auch den Wehrdienst. Ihre Begründung: Nur Gott habe das Recht, einen Staat Israel zu gründen. Die Lage wird sich immer weiter zuspitzen, da ultra-orthodoxe Familien im Schnitt acht Kinder bekommen und sie auf absehbare Zeit die Bevölkerungsmehrheit in Jerusalem stellen werden. Man merkt aber auch so, dass im generell frommeren Jerusalem eine andere Mentalität herrscht als im lebensfroheren Tel Aviv. Ich persönlich empfand viele Menschen in Jerusalem als unfreundlich und grimmig. Das fängt schon bei so Kleinigkeiten an wie ständig angerempelt werden oder dem permanenten Drängeln in den überfüllten Straßenbahnen, wo ich es kein einziges Mal erlebe, dass man die Leute an den Haltestellen erst einmal aussteigen lässt. Ich bin da eigentlich nicht so der Spießer, aber hier in Jerusalem fällt mir das in den Tagen extrem auf. Gerade mit Blick auf den nun einsetzenden Shabbat, der am Freitagnachmittag mit dem Sonnenuntergang beginnt und bis zum Sonnenuntergang am Samstagnachmittag andauert, wird es am Freitagmorgen höchste Zeit, das dann völlig stillstehende Jerusalem zu verlassen und zurück nach Tel Aviv zu fahren, wo am Shabbat zumindest noch ein bisschen etwas los ist.


24. Dezember
Fahrt nach Jerusalem, christliches Altstadtviertel, Heiligabend in Bethlehem












































25. Dezember
Grabeskirche, Klagemauer, Beitar-Heimspiel




























































26. Dezember
Jüdisches Altstadtviertel, Tempelberg mit Felsendom, Saal des letzten Abendmahls, armenisches Altstadtviertel, Yad Vashem





























































27. Dezember
Mea Shearim