Montag, 30. Dezember 2019, 20.15 Uhr
Haifa, Sammy Ofer Stadium
Haifa (280.000 Einwohner) lautet die nächste Etappenziel auf dem Weg in Richtung Israels Norden. Wieder mit dem Bus und wieder für einen günstigen Preis. Für die 65 Kilometer von Netanya nach Haifa werden nur 21,50 Schekel (ca. 5,30 Euro) fällig. In der drittgrößten Stadt Israels befindet sich der größte Hafen des Landes, der nicht nur das Stadtbild, sondern auch die Menschen prägt. Haifa ist eine Arbeiterstadt durch und durch, die sich in einigen Punkten vom restlichen Israel unterscheidet. So wurde hier zum ersten Mal in Israel eine Frau zum Bürgermeister gewählt. Auch ist Haifa die einzige Stadt, in der am Shabbat Linienbusse fahren. Und apropos Busse: Mit dem Metronit wurde hier ein sehr praktisches Spurbussystem gebaut, das das Vorankommen sehr erleichtert. Die Busse fahren auf eigenen Fahrspuren, die nur für sie reserviert sind und die mitunter sogar baulich vom Rest der Straße getrennt sind. In der Innenstadt fährt der Metronit durch Bereiche, die für den restlichen Verkehr gesperrt sind. Durch die extrem bergige Lage von Haifa sind Staus an der Tagesordnung, doch der Metronit kann immer schön durchflutschen – und das teilweise mit einem völlig verrückten Zwei-Minuten-Takt und für einen gewohnt niedrigen Fahrpreis. Weitere Besonderheit von Haifa ist die Religion der Bahai. Das Bahaitum ist vor rund 160 Jahren im heutigen Iran entstanden. Der Gründer Ali Muhammed Sirazi wurde 1868 von den osmanischen Behörden nach Palästina verbannt, wo er starb und in Haifa begraben wurde. Um sein Grabmal herum wurde in den Hang eine riesige Gartenanlage gebaut. Dieser sogenannte Schrein des Bab ist Haifas Wahrzeichen und das größte Heiligtum der Bahai. Genau wie alle Muslime auf der Welt in Richtung Mekka beten, beten die Bahai daher stets in Richtung Haifa. Dennoch gibt es kaum Bahai in Haifa, die vorherrschende Religion ist auch hier das Judentum. Doch auch in Bezug auf das Miteinander der Religionen nimmt die Stadt eine etwas andere Rolle ein. Haifa existierte schon lange vor der Gründung des Staates Israel, vor 1948 lebten über 60.000 Araber in der Stadt. Viele jüdische Flüchtlinge und Holocaust-Überlebende kamen über den damals schon sehr wichtigen Hafen von Haifa nach Palästina. Mit der Gründung des Staates Israels änderte sich das Miteinander von Juden und der arabischen Bevölkerung jedoch zunächst auch in Haifa. Die Hagana terrorisierte die Palästinenser und zwang sie unter anderem durch ein Massaker auf dem Marktplatz zur Flucht. Mittlerweile haben sich jedoch wieder Araber in Haifa angesiedelt und mit dem Stadtteil Wadi Nisnas existiert sogar ein multikulturelles Viertel, in dem auch Kirchen stehen. Interessant: Da es sich hier um arabische Christen handelt, sind die Todesanzeigen zwar wie in Deutschland mit einem Kreuz versehen, jedoch mit arabischen Schriftzeichen. Weitere Attraktion von Haifa ist das deutsche Viertel unweit des Hafens, das einst von den Tempelrittern gegründet wurde und fast ausschließlich aus Steingebäuden besteht – sieht ein bisschen aus wie in Dalmatien. Hier befindet sich auch das German Colony Guest House, in dem heute lustigerweise sämtliche Groundhopper absteigen. Aufgrund von Preis und Lage aber auch wirklich ein Übernachtungstipp! Bevor am Abend Hapoel Haifa auf Beitar Jerusalem trifft, stehen am Mittag noch mehrere unterklassige Spiele zur Auswahl. Pralle Auswahl an einem Montag, Israels Anstoßzeiten sind wirklich ein Segen. Anstatt das wunderschöne, direkt am See Genezareth gelegene Stadion in Tiberias zu machen, entscheide ich mich für das Drittliga-Derby zwischen Maccabi Tzur Shalom und Maccabi Kiryat Ata – beides Orte im nördlich von Haifa gelegenen Kiryat, der sogar an das Metronit-System angeschlossen ist. Doch im Stadion von Maccabi Tzur Shalom herrscht nur gähnende Leere, denn wie sich herausstellt, wurde aus Sicherheitsgründen das Heimrecht getauscht. Das wundert nicht wirklich, weil die Hütte von Maccabi Tzur Shalom nur ein besserer Sportplatz ist, aber ohne hebräische Sprachkenntnisse ist es nahezu unmöglich, an solche Informationen zu kommen. Hatte ich aber ehrlich gesagt auch überhaupt nicht in Betracht gezogen, dass so etwas passieren könnte. Leider damit nicht genug der schlechten Nachrichten, denn auch am Abend im nagelneuen Sammy Ofer Stadium ziehe ich den nächsten Zonk. Am Heiligabend war die Bude beim Stadtderby zwischen Maccabi und Hapoel noch ausverkauft, sechs Tage später bleiben fast alle Sitze leer – es ging wohl etwas zu heiß her beim Derby. Damit mein viertes Erstligaspiel in Israel in Folge, bei dem die Heimszene für Fehlverhalten bestraft wird. Ganz bitter natürlich, dass das hier über ein Materialverbot hinausgeht und die Hapoel-Szene nicht mal anwesend ist. Man muss aber dazu sagen, dass ganz klar Maccabi der führende Verein in Haifa ist und die Hapoel-Szene deutlich kleiner als die Maccabi-Szene ist. Das sieht man auch ganz deutlich im Stadtbild. Die Nichtanwesenheit der Heimszene wird heute allerdings durch den Gästeblock kompensiert, denn Beitar Jerusalem ist zu Gast und das mit gut 2.500 Leuten. Ein absoluter Sahne-Auftritt, der mich wirklich vom Hocker haut, und leider muss ich sagen: Israels unsympathischter Verein begeistert mich bereits zum zweiten Mal enorm. Man denkt wirklich, in Griechenland zu sein und AEK im Gästeblock stehen zu haben – auch wenn die politisch in die entgegengesetzte Richtung ausschlagen. Dass Beitar das Spiel klar dominiert und letztendlich mit 4:1 gewinnt, befeuert die gute Stimmung zusätzlich. Auffallend ist übrigens die Zaunbeflaggung bei Beitar: Bei Heimspielen hängt La Familia meist nur eine einzige Mini-Zaunfahne auf, auswärts aber hängen so wie hier in Haifa gleich mehrere größere Fahnen. Der Abend wird dann ausnahmsweise mal ganz backpackermäßig mit zwei sehr sympathischen Hoppern aus Hamburg, polnischem Wodka und guten Gesprächen im Gemeinschaftsraum des German Colony Guest House verbracht.