Sonntag, 29. Dezember 2019, 19 Uhr
Netanya, Winner Stadium
Seit einer Woche bin ich nun in Israel und bislang verbrachte ich meine Zeit fast auschließlich in Jerusalem und im Gusch Dan. Doch jetzt ändert die Tour ihren Charakter und es geht jeden Tag ein Stückchen nördlicher. Die erste Etappe lautet Netanya, nur etwa 35 Kilometer nördlich von Tel Aviv gelegen. Um es noch einmal zu sagen: Die Entfernungen sind in Israel meist sehr überschaubar. Erneut ziehe ich den Bus dem Zug vor, denn obwohl Netanya an das Schienennetz angeschlossen ist, offenbart sich hier mal wieder das alte Problem: Das Schienennetz stammt noch aus osmanischer und britischer Zeit und hat nichts mit dem Siedlungsprogramm des Staates Israels zu tun, das auf die Schienenstruktur keine Rücksicht genommen hat. Oft liegen die Bahnhöfe deshalb weit außerhalb, was den Zug unattraktiv und Israel zu einem Bus-Land gemacht hat. Inzwischen investiert der Staat zwar massiv in die Eisenbahn und es entstehen neue Bahnhöfe, aber der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier und es dauert, den Turnaround zu schaffen. Auch in Netanya befindet sich der Bahnhof außerhalb, während der Busbahnhof schön zentral liegt. Die 200.000-Einwohner-Stadt weist zwei Besonderheiten auf: Zum einen ist sie das Zentrum der französischsprachigen Juden. Englisch hört man auf der Straße kaum, was ein Unterschied vor allem zu Jerusalem ist, und selbst Hebräisch scheint in Netanya nur die zweite Sprache hinter Französisch zu sein. Nach meinen Beobachtungen unterhalten sich hier drei von fünf Leuten auf Französisch miteinander. Auch auf Plakaten, Werbetafeln und in Restaurants dominiert die französische Sprache. Zum anderen sagt man Netanya nach, den schönsten Strand Israels zu besitzen. Der ist satte elf Kilometer lang und befindet sich unter einer bis zu 30 Meter hohen Klippe. Da der Küstenstreifen meteorologisch günstig in die Sharonebene eingebettet ist, herrscht hier bereits subtropisches Klima, was Netanya endgültig zu einem Hotspot des israelischen Tourismus macht. Heute ist damit ganz klar gemütliches Chillen am Strand angesagt, zumal es ja gestern mit den Kölnern in Tel Aviv etwas länger wurde und der Körper keine Lust auf Sightseeing-Gewaltmärsche hat. Nach dem malerischen Sonnenuntergang geht es dann mit dem Linienbus zum etwas außerhalb gelegenen Stadion. Unterwegs stechen schon ein paar Graffiti der heimischen Ultras-Szene ins Auge und machen viel Appetit auf das Spiel, doch im Inneren des hochmodernen Stadions kehrt abermals Ernüchterung ein. Das gleiche Spielchen wie in Tel Aviv und Be'er Sheva: Materialverbot für die Heimszene wegen Ausschreitungen. Für mich damit das dritte Spiel in Folge mit Materialverbot. Viel kommt damit nicht rüber vom Heimblock, aber den Griechenland-Style hört man trotzdem ein wenig heraus, der immerhin für ein bisschen gute Laune sorgt. Leider geht Maccabi Netanya auf dem Rasen völlig unter, weshalb etliche Zuschauer schon weit vor Abpfiff frustriert das Stadion verlassen. Tel Avivs Nummer 3 hat nur etwa 30 Gästefans mitgebracht, die allesamt stumm das Spiel anschauen. Trostpreis ist der geile Strand der Stadt, der folgerichtig auch nach dem Spiel wieder mit den beiden Kölnern und ein paar Dosen Bier aufgesucht wird.