Montag, 23. Dezember 2019, 19.40 Uhr
Petah Tikva, HaMoshava Stadium
Bahnfahren kommt einem in Israel wie gesagt sehr vertraut vor, denn es sind die gleichen roten Doppelstockzüge unterwegs wie in Deutschland. Gravierender Unterschied: Unter den Fahrgästen befinden sich stets Soldaten. Das ist nicht nur in der Nähe vom Gazastreifen so, sondern im ganzen Land. Israel hat eine ziemlich heftige Wehrpflicht, die auch für Frauen gilt. Männer sind drei Jahre dabei, Frauen 21 Monate. Insgesamt besteht das israelische Militär aktuell aus 176.500 Soldatinnen und Soldaten plus 630.000 Reservisten – bei gerade einmal 9,1 Millionen Einwohnern. Zum Vergleich: In der Bundeswehr der fast 10x so einwohnerstarken Bundesrepublik Deutschland dienen derzeit 183.000 Soldaten plus 30.000 Reservisten. Ungewohnt ist in Israel aber nicht nur, dass man viele Soldaten in Bus und Bahn sieht, die auf dem Weg nach Hause oder in die Kaserne sind, sondern dass einige davon auch ihre Knarren im Gepäck mit sich führen. So passiert es mir heute im Zug nach Petah Tikva, dass der Mittelgang auf dem Weg zur Toilette vom Lauf eines auf einem Sitz liegenden Gewehres blockiert ist. Das Schießeisen gehört einer Soldatin, deren weiteres Gepäck aus einem Armeerucksack und einem pinken Handtäschchen besteht. Per Skype flirtet sie gerade heftig mit einem Typen und quittiert es somit nur mit einem Lächeln, dass ich ihr Gewehr kurz beiseite schiebe. Ohne Loch in der Brust erreiche ich somit den ganz am Stadtrand von Petah Tikva gelegenen Bahnhof Kiryat Arye, neben dem sich direkt das HaMoshava Stadium befindet. Bequemer geht’s nicht. Größte Stadt Israels ist offiziell Jerusalem mit gut 900.000 Einwohnern. Tel Aviv ist mit 450.00 Einwohnern auf dem Papier zwar nur halb so groß, wird aber von einem riesigen Ballungsraum mit insgesamt 3,5 Millionen Einwohnern umgeben. Gusch Dan wird dieser Ballungsraum genannt, der das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum von Israel darstellt. Kein Wunder, schließlich wohnt hier ja jeder dritte Israeli. Entsprechend groß ist die Dichte an Vereinen im Gusch Dan, zu dem auch Petah Tikva gehört. Alles andere als dicht ist hingegen das Netz an Stadien in und um Tel Aviv. Das 2011 fertiggestellte HaMoshava Stadium ist daher das Heimstadion von nicht weniger als fünf Erst- und Zweitligisten, von denen aber nur zwei aus Petah Tikva selbst stammen. Hapoel ist einer der beiden – und mit sechs Meistertiteln der mit Abstand erfolgreichere. Stadtrivale Maccabi wurde dagegen noch nie Meister, gewann aber genau wie Hapoel zweimal den Pokal. Hapoels letzter Meistertitel stammt jedoch bereits aus dem Jahr 1963. Seitdem tingelt der Verein nur noch zwischen 1. und 2. Liga. Momentan ist es bei den Blau-Weißen wieder mal nur die 2. Liga und auch wenn man das HaMoshava Stadium aktuell auch locker mit den beiden dort spielenden Erstligisten Hapoel Kfar Saba und Hapoel Ra'anana machen könnte, ist Hapoel Petah Tikva aufgrund seiner Geschichte und seines Standings klar die sinnvollere Variante. Wirklich viel los ist aber auch dort nicht, weshalb eine der beiden Tribünen gar nicht erst geöffnet wird. Immerhin sind rund 30 Hapoel-Ultras am Start, von denen ich schon mal einen guten Vorgeschmack erhalte, was mich in den kommenden Tagen in den israelischen Kurven erwartet: Griechenland-Style vom Allerfeinsten! Trommelrhythmen wie in Athen und Saloniki, auch die Melodien der Lieder sind zu weiten Teilen schon bestens aus Hellas bekannt. Passenderweise wird heute von den Hapoel-Ultras ständig eine kleine Griechenland-Fahne geschwenkt, wobei das wohl einzig an den blau-weißen Vereinsfarben liegen dürfte. Stabiler Typ ist ebenso der Vorsänger der Hapoel-Jungs, der mit viel Enthusiasmus und einem Lächeln auf den Lippen die Meute dirigiert. Macht echt Spaß, der Truppe zuzuschauen. Wenn das in den kommenden Tagen so weitergeht, werde ich wirklich zum Israel-Fan.