Samstag, 28. Dezember 2019, 19.30 Uhr
Be‘er Sheva, Turner Stadium
Noch vor Ablauf der Nachspielzeit wird das Bloomfield Stadium in Tel Aviv verlassen. War ja eh nicht viel los, da kann man beim Spielstand von 4:0 ruhig in der 90. Minute gehen. Es ist jetzt bereits 17 Uhr. In etwa einer halben Stunde endet die Shabbat-Ruhe und die Fernbusse nehmen wieder ihren Betrieb auf. Gerade noch Zeit genug, um ins in der Negev-Wüste gelegene Be'er Sheva zu kommen – zu Israels südlichstem Erstligisten. Die Entfernungen in Israel sind überschaubar, auch wenn das beim Blick auf die Landkarte gar nicht so wirkt. Ursprünglich hatte ich gehofft, dass in Tel Aviv zumindest nach Abpfiff schon wieder Linienbusse fahren, wenn man schon ein Heimspiel von Maccabi mitten in die Shabbat-Ruhe setzt, aber Pustekuchen. Nur ein paar wenige Taxis lungern am Stadion rum, die auch jetzt noch – 30 Minuten vor Ende des Shabbats – völlige Mondpreise verlangen. Der Fahrer weigert sich, den Taxameter einzuschalten, und will einen Festpreis in Höhe von umgerechnet 20 Euro für die 1,5 Kilometer vom Stadion bis zum Busbahnhof. Abgelehnt. Man kann die Strecke ja auch wunderbar zu Fuß laufen, bloß kostet das wertvolle Minuten. Die sind deshalb so kostbar, weil unmittelbar nach Ende der Shabbat-Ruhe ein regelrechter Run auf die Fernbusse beginnt und die Kapazitäten dafür nicht reichen. Tickets im Vorfeld reservieren kann man nicht, man muss sich also so früh wie möglich in die Schlange am Abfahrtsgate einreihen. Im Stechschritt geht es somit zum riesigen Busbahnhof von Tel Aviv (bei seiner Eröffnung größter Busbahnhof der Welt) und durch das Labyrinth seiner sieben unübersichtlichen Etagen. Was für ein abgefucktes Ding... Die Schlange am Abfahrtsgate ist bei meiner Ankunft schon recht lang, aber immerhin fahren die Busse im 15-Minuten-Takt nach Be'er Sheva. In die ersten beide Busse um 17.30 und 17.45 Uhr schaffe ich es leider nicht mehr hinein, aber im 18-Uhr-Bus erwische ich noch einen der letzten Plätze. Das reicht gerade noch so, um den Anpfiff in Be'er Sheva zu schaffen. Ich hätte aber wirklich keine Minute später am Busbahnhof in Tel Aviv ankommen dürfen. Fernbus fahren ist in Israel ansonsten sehr entspannt, es gibt kostenlose WLAN und es wird immer die exakte Entfernung bis zur nächsten Haltestelle angezeigt. Ansonsten ist auch hier Google Maps Dein Freund, wo bei der ÖPNV-Suche alle Linien hinterlegt sind und Verspätungen in Echtzeit angezeigt werden. In Be'er Sheva kommt der Bus aber mal wieder pünktlich auf die Minute an. Die Hauptstadt der Negev-Wüste (200.000 Einwohner) ist eine sehr junge und zugleich sehr alte Stadt. Sie findet Erwähnung in der Tora und in der Bibel. Hier stand ein Brunnen, der von Abraham genutzt wurde und der der Stadt ihren Namen gab: Be'er Sheva bedeutet Brunnen des Schwurs. In der Bibel wird der Ort zugleich als die südlichste Grenze des Siedlungsraums der Israeliten bezeichnet. Über Jahrhunderte hinweg existierte hier jedoch kein Ort mehr, ehe exakt im Jahr 1900 die Türken (Palästina gehörte damals zum Osmanischen Reich) rund um Abrahams Brunnen eine neue Siedlung aufbauten. Sie sollte als Verwaltungszentrum für die in der Negev-Wüste lebenden Beduinen sowie als strategischer Vorposten des Suezkanals dienen. Da das Osmanische Reich mit Deutschland alliiert war, bauten deutsche Architekten den Ort auf – mit streng rechtwinkligen Straßen. Deutsche Ordnung. Dieser Bereich bildet heute die Altstadt von Be'er Sheva. So richtig Fahrt nahm die Stadt aber erst nach Gründung des Staates Israel auf, der mit seinem Siedlungsprogramm neue Städte in der Negev-Wüste schaffen wollte. Meistens ging das schief und die Städte entwickelten sich nicht, Be'er Scheva ist aber eines der positiven Beispiele und wurde somit zur Hauptstadt der Negev-Wüste. Dafür ist die Stadt aber arm an Sehenswürdigkeiten, mehr als Abrahams noch immer existierenden Brunnen muss man hier wohl nicht gesehen haben. Doch auch dafür bleibt mir keine Zeit. Immerhin sehe ich genug von Be'er Sheva, um eine andere Eigenheit zu erkennen, denn die Fassade vieler Gebäude der Stadt besteht aus grauem Sichtbeton. Der soll bestmöglichen Schutz vor dem Wüstenstaub bieten. Diese lokale Besonderheit hat man beim Bau des 2015 eröffneten Turner Stadiums (benannt nach einem Bürgermeister von Be'er Sheva) einfließen lassen: Ecken, Umlauf, Fassaden – alles aus Sichtbeton. Sehr gelungen! Hapoel Be'er Sheva gehört aktuell zu den Topclubs Israels und holte 2016 und 2017 zwei seiner insgesamt vier Meistertitel. Die Ultras sollen ebenfalls zur israelischen Spitze gehören, nur leider ergibt sich hier das gleiche Problem wie heute Nachmittag in Tel Aviv: Aufgrund von vorausgegangenen Ausschreitungen gegen Beitar Jerusalem wurde die Heimkurve vom Verband mit einem kompletten Materialverbot belegt. Dennoch stehen drei Vorsänger auf dem Podest, die die Kurve anheizen. Dabei merkt man, dass Potential klar vorhanden ist. Stellenweise gehen die Leute teilweise richtig gut mit, aber die ganz große Show bleibt aus. Und optisch ist es natürlich der totale Reinfall. Der heutige Gegner Ashdod ist der nächstgelegene Erstligist für Hapoel Be'er Sheva. Sozusagen ein Süd-Derby, doch obwohl auch Ashdod rund 220.000 Einwohner hat, sitzen keine 30 Leute im Gästeblock – keine Ultras, keine Stimmung. Zusammen mit zwei Kölner Hoppern geht es nach Abpfiff schnell zum Bahnhof von Be'er Sheva, denn inzwischen fahren auch wieder die Züge. Es geht zurück nach Tel Aviv, wo wir ab Mitternacht in einem der afrikanischen Kioske rund um den Busbahnhof versumpfen.