Hakoah Ramat Gan – Maccabi Zvi Yavne 0:0

Israel, Liga Alef – South (3. Liga) 
Freitag, 27. Dezember 2019, 12.30 Uhr 
Ramat Gan, Ramat Gan Stadium

Nach dem morgendlichen Rundgang durch das ultra-orthodoxe Viertel Mea Shearim heißt es Abschied nehmen von Jerusalem – und zwar so früh wie möglich. Denn der Shabbat naht und damit stehen die kommenden zwei Tage dieser Tour unter ganz besonderen Voraussetzungen. Der Shabbat beginnt am Freitagnachmittag mit Sonnenuntergang und endet am Samstagnachmittag mit Sonnenuntergang. Für den Reisenden bedeutet das: Keine Züge, keine Fernbusse, keine Linienbusse in den Städten, denn während des Shabbats wird der ÖPNV außer Kraft gesetzt. Taxis fahren, verlangen aber einen sehr teuren Shabbat-Tarif. In der Regel weigern sie sich am Shabbat aber ohnehin, nach Taxameter zu fahren, und verlangen absurde Festpreise. Bei Fern- und Linienbussen setzt die Shabbat-Ruhe am Freitag erst ab Sonnenuntergang ein, Züge fahren hingegen den gesamten Freitag nicht. Somit geht dieses Mal per Bus zurück nach Tel Aviv und damit muss ich mich zum ersten Mal mit der Rav Kav Card beschäftigen. Ihrem System sind inzwischen sämtliche Bus-Unternehmen sowie die Israel Railways beigetreten, so dass man das Ding als die ultimative ÖPNV-Karte bezeichnen kann. Das einfache Prinzip: Man bucht an einem Schalter oder Automaten auf die grüne Karte einen bestimmten Betrag, von dem bei jeder Fahrt der entsprechende Fahrpreis automatisch abgezogen wird. In Fernbussen nennt man dem Fahrer sein Ziel und hält die Rav Kav Card dann an eine Box. Im Linienbus (die in Israel vielerorts kein Bargeld mehr akzeptieren und die man somit nur mit der Rav Kav Card nutzen kann) kosten alle Fahrten gleich, dort muss man die Karte nur an die Box halten. Ein bisschen komplizierter ist es beim Zug, bei dem man die Karte sowohl vor als auch nach der Fahrt an die Drehkreuze in den Bahnhöfen halten muss. Da auch der Fahrkartenkauf mit der Rav Kav Card an den Bahnhöfen etwas umständlicher ist, habe ich mir bislang immer eine Fahrtkarte ohne Rav Kav Card ausstellen lassen. Geht einfach schneller, zumal die Technik ihre lieben Problemchen hat und man an den Bahnhöfen regelmäßig die Security herbeirufen muss, weil sich das Drehkreuz mit der Rav Kav Card nicht öffnet. Heute muss ich mir die Karte aber zwangsläufig zulegen, womit ich dann wenigstens in Genuss des Bonus komme, denn zu dem jedem Betrag, den man auflädt, bekommt man 20 Prozent obendrauf. Wer also auf die Karte 50 Schekel lädt, erhält ein Guthaben von 60 Schekeln. Dass ich am Shabbat das lebhaftere Tel Aviv dem frommen Jerusalem vorziehe, hat nicht nur Lifestyle-Gründe. Vor allem spricht die höhere Dichte an Fußballvereinen im Gusch Dan eine Rolle, denn die Auswahl an Spielen sollte möglichst groß sein, damit man nach Spielende auch noch vom Stadion wegkommt. Logischerweise sollte das Spiel auch möglichst früh angepfiffen werden. Ideal ins Konzept passt damit das Heimspiel von Hakoah Ramat Gan, das bereits um 12.30 Uhr angepfiffen wird. Hinzu kommt, dass im kleinen Winter Stadium (4.000 Plätze), in dem Hakoah normalerweise spielt, derzeit der Rasen erneuert wird, weshalb der Verein für ein paar Wochen ins Nationalstation zieht. Warum das ausgerechnet hier in Ramat Gan steht und nicht zum Beispiel in Jerusalem, verrät viel über die Geschichte des Gusch Dan. Der bestand ursprünglich nur aus der Hafenstadt Jaffa, die bereits seit der Antike existiert und nach der eines der Jerusalemer Altstadttore benannt ist, was ihren Stellenwert zur damaligen Zeit unterstreicht. Als im 19. Jahrhundert in Europa die Gründung von Nationalstaaten in Mode kam, wobei ja unter anderem auch Deutschland entstand, und der Ton immer nationaler wurde, was schließlich in den Ersten Weltkrieg mündete, wuchs auch bei den europäischen Juden der Wunsch, einen eigenen Staat zu haben – und zwar in Palästina, schließlich betrachtet das Judentum die Stelle des alten Jerusalemer Tempels als den Mittelpunkt der Welt. Die erste Auswanderungswelle setzte ein, der Zionismus war geboren. Benannt ist er nach dem Berg Zion, wie die Juden den Jerusalemer Tempelberg nennen, um den herum ein neuer Staat Israel entstehen sollte. Doch auch die in Europa verbliebenen Juden besannen sich stärker auf ihre jüdische Identität und organisierten unter anderem Zionistenkongresse. Da ein eigener Staat auch einen eigenen Sportverband benötigt, wurde beim Zionistenkongress 1921 im tschechischen Karlovy Vary der Maccabi-Verband gegründet (benannt nach dem jüdischen Freiheitskämpfer Judas Makkabäus, der im 2. Jahrhundert vor Christus gegen die Griechen kämpfte). Nach den Zwischenstationen Brünn und Wien wurde sein Sitz 1929 ausgerechnet nach Berlin verlegt, wo er aber unter den Nazis keine Zukunft hatte und schließlich 1946 – zusammen mit unzähligen jüdischen Auswanderern und Holocaust-Überlebenden – in Palästina ankam. Viele siedelten sich in der Gegend um Jaffa an, die den Namen Gusch Dan erhielt (Gusch ist das hebräische Wort für Block, Dan einer der Enkel Abrahams), da die Lebensbedingungen dort die günstigsten waren: eine Ebene mit fruchtbarem Boden im ansonsten recht kargen Palästina. Noch heute ist der Gusch Dan das Zentrum des Landes, hier leben ein Drittel der Einwohner Israels. Palästina war 1946 noch eine britische Kolonie, doch jüdische paramilitärische Einheiten – allen voran die Hagana – bekämpften schon seit Jahren die Briten und ebneten so den Weg für Gründung des Staates Israel im Jahre 1948. Gleichzeitig vertrieb die Hagana die Palästinenser in den Gazastreifen und ins Westjordanland. Jaffa blieb mehrheitlich von Arabern bewohnt und sollte eine palästinensische Enklave in Israel werden, doch 1948 besetzte die Hagana auch Jaffa. Heute ist Jaffa vollumfänglicher Teil Israels und nur noch ein Stadtteil von Tel Aviv. Auch Maccabi unterstützte die Gründung des Staates Israels und hielt bereits am 31. März 1932 – also noch vor Hitlers Machtergreifung – ihre erste Makkabiade in Palästina ab, eine Art Olympische Spiele nur für jüdische Sportler. Das Datum war nicht zufällig gewählt, es war nämlich der 1800. Jahrestag des Bar-Kochba-Aufstandes gegen die Römer. Schon allein wegen der Makkabiade, die noch heute ausgetragen wird (aber nicht mehr nur in Israel), brauchte der Maccabi-Verband ein eigenes Stadion und da auch er sich genau wie viele jüdische Auswanderer 1946 im Gusch Dan niedergelassen hatte, baute er an seinem Sitz in Ramat Gan sein Stadion. Da das einfach nur Ramat Gan Stadium genannte Stadion zum damaligen Zeitpunkt das größte und modernste Stadion Israels war und auch jahrzehntelang blieb, wurde es kurzerhand zu Israels Nationalstadion. Auch der israelische Fußballverband siedelte sich dadurch in Ramat Gan an, das damit sozusagen zur Sporthauptstadt wurde. Von 1956 bis 2014 fanden nicht nur alle Länderspiele im Ramat Gan Stadium statt, sondern auch die Europapokal-Heimspiele aller israelischen Mannschaften, da es als einziges Stadion die Auflagen der UEFA erfüllte. Zudem wurde dort die Asienmeisterschaft 1964 ausgetragen (Israel wechselte erst später von der AFC in die UEFA). Inzwischen ist die Hütte ganz schön am Arsch, weshalb über einen kostspieligen Neubau mit 70.000 Plätzen nachgedacht wurde. Da aber in Israel in den vergangenen zehn Jahren mit dem Bau des Sammy Ofer Stadiums in Haifa sowie dem Umbau des Bloomfield Stadiums in Tel Aviv und des Teddy Stadiums in Jerusalem gleich drei hochmoderne Stadien entstanden sind, verzichtet Israel seit 2014 auf ein zentrales Nationalstadion. Die Tage des alten Ramat Gan Stadiums scheinen damit gezählt, das zunächst ohne Nutzung blieb, aber immerhin zog 2015 Drittligist Hapoel Ramat Gan in die Bruchbude ein. Historisch betrachtet natürlich ein Hammer, dass ein Verein des konkurrierenden Hapoel-Sportverbandes die Zentrale von Maccabi am Leben hält. Mit Hakoah ist zumindest für ein paar Wochen lang ein zweiter Nutzer hinzugekommen und auch der hat es historisch echt in sich: Hakoah war schon einmal Meister – und zwar in Österreich. Der Verein wurde 1909 als SC Hakoah Wien gegründet und sollte dem Klischee entgegenwirken, dass Juden nur intellektuell und körperlich unterlegen sind. Als klare Aussage ist daher schon der Vereinsname zu verstehen, denn Hakoah ist das hebräische Wort für Kraft. Sportlich betätigt hatten sich bei Hakoah neben Fußballern auch Boxer und Kraftsportler, die ebenso als Bodyguards bei
 Auswärtsspielen der Fußballmannschaft eingesetzt wurden. Der Ton gegenüber Juden war in Wien wohl auch schon vor Österreichs Anschluss an Deutschland rau. Dennoch: Die Hakoah-Fußballer gehörten zu dem Besten, was Österreich damals zu bieten hatte. 1923 schlugen sie sogar West Ham United bei einem Testspiel in London. Es war das erste Mal, dass eine englische Mannschaft gegen eine kontinentaleuropäische Mannschaft auf heimischem Boden eine Niederlage kassierte. Im selben Jahr wurde Hakoah österreichischer Vizemeister und holte schließlich 1925 den Meistertitel. In den 1930er-Jahren stürzte Hakoah jedoch in ein kleines Tief und mit dem Anschluss an Deutschland kam das Vereinsleben 1938 vollständig zum Erliegen. Doch Hakoah wurde wiedergegründet – und zwar gleich zweimal: 1945 in Wien und 1943 in Tel Aviv. Die Wiener Hakoah wechselte ihre Vereinsfarben zum israelischen Blau-Weiß, während der israelische Zweig weiter in Violett spielte. Spätestens da werden die österreichischen Wurzeln sichtbar, denn während Violett in der österreichischen Vereinslandschaft häufig vorkommt, ist das in Israel ansonsten gar nicht der Fall. Dafür verwendet das israelische Hakoah im Vereinswappen mittlerweile das hebräische H, während Hakoah Wien weiterhin mit dem lateinischen H auf der Brust spielt. Um es dann jetzt endgültig kompliziert zu machen: Tatsächlich steckt im israelischen Hakoah-Zweig nicht nur die Wiener Hakoah, sondern ebenso die Berliner. Denn auch in der deutschen Hauptstadt gab es eine Hakoah, die das Land aber schon unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung verließ und bereits 1934 den Verein Hakoah Tel Aviv gründete. Noch 1943 schlossen sich Berliner und Wiener Hakoah zum gemeinsamen Verein Hakoah Tel Aviv zusammen. 1959 kam es zur Fusion mit Maccabi Ramat Gan, denn natürlich gab es am Sitz in Ramat Gan auch einen Maccabi-Verein. Sportlich spielte der aber keine große Rolle und so verschwand das Wort Maccabi mit der Zeit aus dem neuen Vereinsnamen. Aus Hakoah Maccabi Ramat Gan wurde somit Hakoah Ramat Gan. Der temporäre Umzug von Hakoah vom Winter Stadium ins Ramat Gan Stadium ist aus historischer Sicht somit ebenfalls nicht uninteressant, kehrt doch somit sozusagen Maccabi zurück, das lockt aber trotzdem kaum jemanden hinter dem Ofen hervor. Selbst für Hapoel Ramat Gan ist das Nationalstadion völlig überdimensioniert, für Hakoah erst recht: Die Zuschauerzahl bleibt heute im zweistelligen Bereich. Dennoch wird in Israel auch bei so einer Pipifax-Veranstaltung das Thema Sicherheit in Buchstaben so groß wie die Hollywood-Letter geschrieben. Für mich in diesem Moment ziemlich spannend, denn aufgrund der frühen Anstoßzeit musste ich direkt zum Stadion fahren und habe notgedrungen mein Gepäck in Form eines größeren Trekkingrucksacks dabei. Gleich mehrere Sicherheitsleute stehen am Eingang, die rein optisch voll an eine texanische Bürgerwehr erinnern, die an der mexikanischen Grenze Jagd auf illegale Einwanderer macht. Tatsächlich sprechen die Jungs mit ihren tiefschwarzen Sonnenbrillen auch ein Englisch mit einem extrem amerikanischen Akzent. Das ist in Israel zwar recht häufig der Fall und man merkt schnell, dass viele Israelis schon viel Zeit in den USA verbracht oder dort sogar gelebt haben, macht für mich die Sache aber nicht unbedingt einfacher. In den USA versteht man beim Thema Sicherheit schließlich genauso wenig Spaß wie in Israel. Mister Security wähnt sich dann auch wie erwartet im falschen Film und kapiert zunächst überhaupt nicht, was die Aktion soll, aber nach etwas Diskussion und dem kompletten Auspacken meines Gepäcks darf der Rucksack tatsächlich mit ins Stadion. Drinnen erwartet mich ein geiles Stadion in einem richtig schön elenden Zustand sowie die kleine Fanszene von Hakoah mit ihren rund zehn Leuten, die gelegentlich ein Liedchen anstimmen. Dieses besondere Stadion und diesen besonderen Verein in Kombination erleben zu können, erweist sich wirklich als Volltreffer. Als solcher wirkt auf den ersten Blick auch die Shopping Mall neben dem Nationalstadion, in deren Supermarkt ich noch ein paar Sachen einkaufen will, die mich über den Shabbat bringen. In Israel kann man auch Shopping Malls nur nach einer Sicherheitskontrolle betreten und da wird ein weiteres Mal mein großer Rucksack zum Problem. Der Opa in Uniform will nach einem prüfenden Blick auf mein Gepäck meinen Pass sehen – und darauf reagiere ich wirklich allergisch. Zum einen wedel ich hier in Israel nur sehr ungern mit meinem deutschen Pass umher; das muss ich mit Blick auf die Geschichte ja nicht weiter begründen. Zum anderen hat nur die Polizei das Recht, meinen Pass zu sehen. Was soll das dem Kerl auch bringen? Er sitzt auf dem Klappstuhl vor einer Shopping Mall ohne Zugriff auf irgendeine Datenbank. Kann er mit bloßem Blick auf meinen Pass feststellen, ob ich ein Terrorist bin? Da der Israeli beim Thema Sicherheit aber wie gesagt nicht mal ansatzweise Spaß versteht, dauert es nicht lange bis zur Explosion. Als der Opa sagt, dass er bei der Hagana gewesen sei, und ich entgegne, dass auch die Hagana keine Polizei gewesen sei, ist der Ofen aus und mir wird der Zutritt endgültig verwehrt. Aber ist ja glücklicherweise nicht der einzige Supermarkt in Israel. Mit einem der letzten Linienbusse vor der Shabbat-Ruhe geht es dann nach Jaffa, wo sich meine Unterkunft für die kommenden zwei Nächte befindet. Jaffa ist heute im Prinzip ein reiner Touristenort, so dass man hier vom Shabbat nur wenig mitbekommt. Noch ein nächtlicher Spaziergang durch die wunderschönen Gassen der Altstadt von Jaffa, kurz über die Touri-Meile schlendern und dann ist mal frühzeitig Nachtruhe angesagt.







































Jaffa: