Freitag, 1. Juni 2018, 19.30 Uhr
Berlin, Wackerplatz
Der Juni hat begonnen und damit wird’s
spielplanmäßig immer dünner. Auf das dicke B oben an der Spree ist
aber wie üblich Verlass, so dass es gleich mal an zwei Wochenenden
in Folge per Zug in die Hauptstadt geht. Insgesamt lassen sich dabei
unter anderem sechs Berlinligisten und ein Brandenburgligist machen,
was ja nun wirklich eine zufriedenstellende Ausbeute ist. Sparpreis
und Zugbindung sei Dank wird Berlin bereits am Freitagmittag
erreicht, so dass es nach langer Zeit mal wieder ne klassische
Touri-Runde mit Reichstag, Kanzleramt, Brandenburger Tor und allem Pipapo als Aperitif gibt.
Zwei Dinge bleiben dabei sehr negativ in Erinnerung: Der frühere
Standort des Führerbunkers, der ja ganz bewusst im Berliner
Stadtbild kaum wahrnehmbar ist, um keine Kultstätte zu schaffen, ist
eine jetzt doch eine Kultstätte geworden, und zwar für Amerikaner, die dort
im Sekundentakt „Selfies mit dem Bösen“ machen, um dann ihre
englischsprachige „The Führer“-Tour fortzusetzen. Hitler als
Event. Ekelhaft. Und ebenso traurig ist das Bild, das sich an der
prachtvollen, 1866 eröffneten Neuen Synagoge bietet. Dass dort im
Jahr 2018 rund um die Uhr Polizei patroullieren muss, ist ein
Armutszeugnis für Deutschland und seine Gesellschaft. Schön aufbereitet ist dagegen der
ehemalige Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße, der seit 2011
eine Gedenkstätte ist. Während der deutschen Teilung war er der
wichtigste Grenzübergangsbahnhof zwischen West- und Ostberlin. Der
für die Grenzabfertigung geschaffene Anbau wurde im Volksmund
Tränenpalast genannt, weil es dort oft dramatische und tränenreiche
Abschiedsszenen zwischen West- und Ostdeutschen gab. An jedem ersten
Freitag im Monat bietet das Haus der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland um 17 Uhr eine kostenlose Führung durch die Ausstellung
an, die heute natürlich dankbar mitgenommen wird. Anschließend geht
es schnurstracks nach Reinickendorf zum Wackerplatz, der ebenfalls
eine spannende Geschichte zu bieten hat. Wacker Berlin (eigentlich
Wacker Reinickendorf) war 1974 Gründungsmitglied der 2. Bundesliga
und schnuppert zuvor sogar mal kurz am Aufstieg in die Bundesliga.
Seine Zweitligaspiele trug Wacker zwar im Poststadion aus, war
ansonsten aber hier auf dem Wackerplatz zu Hause. Die typischen
70er-Jahre-Zäune erzählen noch aus dieser Zeit, den Rest muss man
unter dem Gestrüpp selber aufspüren. Die nach wie vor vorhandenen
Sitzbänke auf der Längsseite hat die Natur bereits gänzlich
erobert, der Ausbau auf den anderen drei Seiten ist aber in
vergleichsweise gutem Zustand. Es ist ein Stadion, das einen wirklich
um mindestens drei Jahrzehnte zurückkatapultiert. Herrlich! Und
schön, dass es mit den Füchsen inzwischen wieder einen regelmäßigen
Nutzer gibt, schließlich musste sich Wacker bereits 1994 aufgrund
finanzieller Probleme auflösen. Die Fußball-Abteilung der
Reinickendorfer Füchse will sich mit dem Wechsel auf den Wackerplatz
ein bisschen einen Kiez-Anstrich geben und geht damit den genau
umgekehrten Weg der erfolgreichen Handball-Abteilung
(Europapokalsieger von 2015), die aufgrund besserer
Vermarktungsmöglichkeiten sogar den ganzen Verein umbenannt hat, der
sich jetzt offiziell Füchse Berlin nennt. Sehr gut zum historischen
Ambiente passt auch der heute Gegner, nämlich Blau-Weiß Berlin. In
der Saison 1986/87 spielten die Gäste in der Bundesliga, hinzu kommen
weitere sieben Jahre in der 2. Bundesliga. In der kommenden Saison
werden die Blau-Weißen zumindest wieder in der Oberliga vertreten sein, denn
der Meistertitel in der Berlin-Liga ist bereits unter Dach und Fach.
Das Spiel um die goldene Ananas in Reinickendorf wollen trotzdem noch
30 Gästefans mit einer überraschend hohen Anzahl an Zaunfahnen
sehen. Den 2:0-Sieg feiern die Blau-Weißen am Ende sogar mit ein
paar Bengalos, was die Vereinsordner der Füchse dazu animiert, den
Pyro-Übeltäter am Schlafittchen zu packen und vor die Tür zu
setzen. Hat irgendwie auch noch etwas von früheren Zeiten, als man
weit davon entfernt war, wegen so etwas die Polizei zu rufen oder gar
bundesweite Stadionverbote zu verteilen. Stattdessen: Rausschmiss und
gut ist.