CD Tenerife – Real Oviedo CF 0:1

Spanien, Segunda División (2.Liga)
Mittwoch, 30. November 2022, 20 Uhr
Santa Cruz de Tenerife, Estadio Heliodoro Rodríguez Lopéz

Während mein Reisepartner Mäddes wie gesagt von Süddeutschland nach Teneriffa fliegt, starte ich am Flughafen Köln/Bonn und lande damit schon einige Stunden vor ihm auf der größten Kanaren-Insel. Die Zeit schlage ich natürlich nicht am dortigen Flughafen tot, zumal wir für die erste Nacht ein feines Hotel mit Pool im Party-Ort Playa de las Américas gebucht haben. Ausschlaggebend ist dafür ausnahmsweise die Fußball-WM in Katar. Playa de las Américas ist der Ballermann der Briten und in den vergangenen Tagen gab es immer wieder Berichte von englischen und walisischen Fans, die dort aneinandergeraten sind (siehe u.a. hier; mit Video). Und heute Abend trifft bei der WM England auf Wales. Alarmstufe Rot in Playa de las Américas. Da an diesem Tag ohnehin kein Fußballspiel auf der Insel stattfindet und wir ihn damit zur vollkommen freien Verfügung haben, wollen wir uns das Spektakel am britischen Ballermann etwas genauer anschauen. Während Mäddes am Nachmittag nach seiner Landung den Mietwagen am Flughafen abholt und mit selbigem nach Playa de las Américas kommt, fahre ich am Morgen schon mal mit dem Bus dorthin. Das ist auf Teneriffa wenig überraschend gut organisiert und insbesondere in den touristischen Süden der Insel kommt man problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Das Hotel stellt sich ebenfalls als gute Wahl heraus und da auch das Wetter hervorragend mitspielt, lasse ich mich für ein paar Stunden im Hotelpool nieder. Die herrliche Ruhe wird unterbrochen, als der für seine raue Art bekannte Reisepartner von der Schwäbischen Alb einmarschiert und quer durch den Innenhof des Hotels im tiefsten Schwäbisch brüllt: „Das ist ja jetzt wohl nicht wahr! Ich muss da draußen einen Parkplatz suchen und Du liegst hier faul im Pool oder was?“ Das ganze Hotel schaut irritiert, aber ist bei ihm ja immer gar nicht so gemeint… Auch Mäddes hüpft kurz in den Pool, dann geht’s ab ins Epizentrum von Playa de las Américas. Der Ort hat außer Hotelbunkern, Fressbuden und reihenweise Bars wie erwartet nichts zu bieten, aber genau das wollen wir ja auch an diesem ersten Abend. Fast jeder Schuppen, in dem ein Fernseher läuft, platzt aus allen Nähten und überall hängen die typischen Fahnen der Engländer. Dazu ist auffallend viel Polizei unterwegs, die den Eindruck macht, eine Null-Toleranz-Linie zu fahren. Helm und Schlagstock werden deutlich sichtbar am Mann getragen. Spanien halt. Allerdings haben die Ausschreitungen der vergangenen Tage in Playa de las Américas zwischen Engländern und Walisern die Polizei hier wohl wirklich unter Zugzwang gesetzt, weil man die Situation absolut nicht im Griff gehabt haben soll. Heute Abend bleibt es allerdings friedlich, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass die Engländer klar mit 3:0 gewinnen. Der zahlenmäßig fast ebenbürtige Wales-Mob ist dazu in reiner Feierlaune und macht die Nacht zum Tag. Und wir mittendrin.

Am nächsten Morgen erfolgt unser Umzug in die Insel-Hauptstadt Santa Cruz. Wir haben uns für die restlichen Nächte ein Apartment direkt am Stadion des CD Tenerife gemietet. In der Nachbarschaft gibt es derzeit reichlich Stunk, weil die Stadt die Straße am Stadion kürzlich von Avenida San Sebastian in Avenida Club Deportivo Tenerife umbenannt hat – und das schmeckt den Anwohnern gar nicht. Ich weiß nicht, ob man den daraus resultierenden bürokratischen Aufwand kritisiert, man etwas gegen den Fußballverein hat oder so sehr am Namen der alten Straße hängt, aber jedenfalls sind überall Protestschilder zu sehen, auf denen die Rückbenennung in Avenida San Sebastian gefordert wird. Auch unser Vermieter hatte uns bereits im Vorfeld darauf hingewiesen, dass der neue Straßenname noch nicht bei Google Maps aufgenommen wurde und es zu Problemen bei der Navigation kommen könnte. Und er ließ durchblicken, dass auch ihm die Umbenennung nicht passt. Da das Heimspiel des CD Tenerife gegen Real Oviedo erst am Abend stattfindet, nutzen wir den Tag für ausgiebiges Sightseeing. Mit Mäddes ist das sowieso immer sehr ausgiebig, weil er bei einer Stadtbesichtigung immer mindestens ein Bier in einer örtlichen Kneipe trinken muss, weil „der Ort sonst nicht zählt“. Das kann bei unserer im Frühjahr stattfindenden Saudi-Arabien-Tour dank des dortigen Alkohol-Verbots ja heiter werden. Wir schlendern zunächst durch die Insel-Hauptstadt Santa Cruz (200.000 Einwohner), die wie erwartet vergleichsweise nüchtern wirkt. Der typische Kanaren-Urlauber wird sicherlich mal einen Tagesausflug nach Santa Cruz machen, ansonsten ist touristisch nicht viel los. Dass wir uns ausgerechnet hier eine Unterkunft genommen haben, ist daher aus rein touristischer Sicht unverständlich, aber als Ausgangspunkt ist die Hauptstadt aufgrund der perfekten Anbindung an das Straßennetz der Insel ideal für uns, zumal wir in den kommenden Tagen in praktisch allen Ecken von Teneriffa unterwegs sein werden. Santa Cruz besitzt zudem eine eigene Straßenbahn, die bis in die Nachbarstadt San Cristóbal de La Laguna (150.000 Einwohner) führt. Von einem Kanaren-Experten in meinem Freundeskreis haben wir den Tipp bekommen, uns die unbedingt anzuschauen, da sie mit die schönste Stadt auf der Insel sei. Bei den Häusern in der Altstadt fallen die vielen Holzelemente an Türen, Fenstern und Erkern auf – ein wirklich ganz eigener architektonischer Stil. Und wie auf Teneriffa üblich ist viel dunkler Stein verbaut. Hintergrund: Die Insel ist vulkanischen Ursprungs, weshalb es hier auch einige Strände mit schwarzem Sand gibt. Am Abend geht es frühzeitig zum die ganze Insel repräsentierenden CD Tenerife. Es ist für Spanien besonders wichtig, dass die zu Afrika gehörenden Kanaren auch im Sport voll und ganz in Spanien integriert sind. Dass die entlegenste spanische Region gleich zwei Profivereine (CD Tenerife und UD Las Palmas) besitzt, ist ganz klar politisch gewollt. Das hat aber auch sehr positive Seiten, denn der CD Tenerife ist der Traum einer jeden Europapokal-Auslosung und wird ja sogar im berühmten deutschen Europapokal-Lied maßgeblich erwähnt. Einziger deutscher Verein, der sich diesen Traum schon erfüllen konnte, war der FC Schalke 04 im Halbfinale des UEFA-Cups in der Saison 1996/97. Trainer des CD Tenerife war damals übrigens Jupp Heynckes mit Co-Trainer Ewald Lienen. Und man muss ehrlich sagen: Das Estadio Heliodoro Rodríguez Lopéz sieht auch aus wie ein absoluter Europapokal-Traum! Mitten in der Stadt gelegenen, sehr offen (was gut zum hier herrschenden Klima passt) und so eine richtig typisch spanische Cancha. Typisch spanisch bedeutet aber leider auch, dass stimmungsmäßig tote Hose herrscht. Die Heim-Ultras (Frente Blancoazul) gehen mit ihren paar Leuten völlig unter und können sich eigentlich nie so richtig in Szene setzen. Auf der Gegengerade stehen zwei weitere kleine Gruppen, die praktisch überhaupt nicht auffallen. Und gar nichts sehen wir von der 1992 gegründeten Armada Sur, deren Räumlichkeiten sich direkt unter unserem Apartment befinden. Die dort aufgehängten T-Shirts lassen von den Motiven her darauf schließen, dass es sich um Ultras handelt, aber wie wir später erfahren ist das ein Fanclub von britischen Auswanderern aus Playa de las Américas und anderen Urlauber-Orten aus dem Süden der Insel, was schließlich auch den Namen Armada Sur erklärt – also genau das Gegenteil von Ultras. Gästefans aus Oviedo sind keine da und überhaupt ist das Stadion nur sehr spärlich gefüllt. Die Reihe, in der wir sitzen, ist ansonsten komplett frei, was auch für die Reihen vor und hinter uns gilt. Trotzdem kommen zwei einheimische Dauerkarten-Besitzer an und vertreiben uns, weil wir auf ihren Plätzen sitzen. Dann lachen wir halt und setzen uns zwei Plätze weiter. Ja, die spießigen Spanier sind leider überhaupt nicht mein Volk. Vermutlich ein Erbe des nie aufgearbeiteten Faschismus unter Franco. Landschaftlich ist dieses Land so traumhaft, es hat mit seinen drei in Afrika liegenden Regionen (Kanaren, Ceuta und Melilla) spannende Kuriositäten zu bieten, aber die Leute sind einfach so oft unsympathisch. Da sind andere Völker in Südeuropa (insbesondere in Ex-Jugoslawien und Griechenland) wirklich ganz anders drauf. Ich will aber nicht nur meckern, zumal es auf den Kanaren einen ganz großen Vorteil gibt, nämlich eine Stunde Zeitverschiebung im Vergleich zum spanischen Festland. Das Spiel wird damit schon um 20 Uhr Ortszeit angepfiffen, so dass wir nach dem Spiel noch schön essen gehen können. Auffallend viele lateinamerikanische Läden und Restaurants gibt es in Santa Cruz, das nun mal eine ganz normale spanische  Großstadt ist, so dass wir in einem absolut vorzüglichen peruanischen Restaurant in Stadionnähe landen.