Puskás Akadémia FC - Debreceni Vasutas SC 2:1

Ungarn, Nemzeti Bajnokság I (1.Liga)
Samstag, 12. November 2022, 14.15 Uhr
Felcsút, Pancho Aréna

Ungarns Ministerpräsident Vikotor Orbán (seit 2010 im Amt) und dieser ganze Rechtsruck in Ungarn sind ein Grund, warum ich viele Jahre einen weiten Bogen um mein Steckenpferd-Land gemacht habe. Und das ist auch der Grund, warum mir die Pancho Arena in Felcsút noch fehlt. Denn der Aufstieg des Vereins aus dem kleinen Dorf (1.700 Einwohner) im Komitat Fejér nicht weit entfernt von Budapest ist unmittelbar mit der Person Viktor Orbán verbunden. Er ist nämlich in Felcsút aufgewachsen. Und auf recht wundersame Weise ist Felcsút nun Heimat eines ungarischen Erstligisten. Der ganze Wahnsinn, der in diesem Dorf abgeht, ist beispielhaft, der in Ungarn unter Orbán und seiner Fidesz-Partei (bezogen auf Deutschland ein Mix aus CDU und AfD) abgeht. Aber fangen wir vorne an: Die nach dem größten ungarischen Fußball-Helden Ferenc Puskàs benannte Akademie war ursprünglich die Jugendabteilung des Videoton FC aus dem nicht weit entfernten Székesfehérvár, wo auch Orbán geboren wurde. Er kaperte sie, machte sie zur neuen Fußballakademie für ganz Ungarn und transferierte sie nach Felcsút. Dort gelang dem innerhalb der Akademie angesiedelten Fußballverein daraufhin ganz „überraschend“ der Weg in die 1.Liga bis hin zum Europapokalteinehmer. Wichtiger Wegbereiter war Lőrinc Mészáros, dessen Biografie nun wirklich einen besonderen Blick wert ist. Mészáros besuchte einst mit Orbàn die gleiche Schule in Felcsút, brachte es danach aber nur zum mäßig erfolgreichen Gasinstallateur, der sich selbstständig machte und 2007 im Prinzip bankrott war. Seinen Laden völlig an die Wand gefahren. Als Orbán 2010 Ministerpräsident wurde und er große Pläne mit Felcsút vorhatte, brauchte er natürlich einen Mann vor Ort in seinem Heimatort – und wurde mit Mészáros fündig. Felcsút wählte ihn 2011 zum Bürgermeister und dann konnte der ganze Spaß beginnen. Mitten im Ort wurde die 2014 eingeweihte Pancho Aréna (Pancho war der spanische Spitznamen von Puskás während seiner Zeit bei Real Madrid) hochgezogen, zufälligerweise direkt neben Orbáns Landsitz. Hier mussten übrigens vor der Wahl 2010 alle Parteispitzen des Fidesz antreten und sich bei einem Casting Orbáns Prüfung unterziehen. Der völlig abgebrannte Gasinstallateur Mészáros gründete daraufhin mehrere Firmen, die in Ungarn 20 Prozent aller staatlichen Aufträge ausführen. 20 Prozent! Eine Art Staatsfirma. Mit einem laut Forbes geschätzten Vermögen von 1,3 Millarden Dollar ist Pleite-Gasinstallateur Mészáros (dem seit 2016 der NK Osijek in Kroatien gehört) heute der reichste Mann Ungarns. Was für ein unglaublicher Wandel seit Orbáns Machtübernahme. Die Spitze des Eisbergs ist der Bahnanschluss an die Pancho Arena. Dafür wurde ein Teil der stillgelegten Strecke von Bicske nach Székesfehérvár reaktiviert – und zwar ein lediglich 5,7 Kilometer langes Teilstück. Sozusagen eine Straßenbahn von Felcsút. Zur Erinnerung: 1.700 Einwohner. Der findige Orbán hat die Reaktivierung natürlich nicht selbst bezahlt, sondern ließ das millionenschwer von der von ihm so kritisierten EU subventionieren. Die machte den Spaß nur mit, weil Orbán ein Gutachten vorlegte, das 2500 Fahrgäste pro Tag prognostizierte. Zur Erinnerung: 1.700 Einwohner. Jetzt nach Inbetriebnahme kennt man die tatsächlichen Zahlen. Es sind im Schnitt 2,5 Fahrgäste pro Tag. Ein Tausendstel der Prognose. Kleiner Rechenfehler. Leider gar nicht gut angeschlossen sind Felcsút und die Pancho Aréna an das übrige ungarische Bahnnetz. Nur alle 60 Minuten steuert ein Bus von Bicske das Nest an. Am dortigen Bahnhof übrigens alles voller Anti-EU-Plakate, mit denen die Regierung gerade ganz Ungarn zupflastert. Anstoßpunkt sind aktuell die Brüsseler Sanktionen gegen Orbáns Kumpel Putin. Leider funktioniert's ansonsten mit der Bahn in Ungarn nicht so gut, weshalb ich mit Verspätung in Bicske einrolle und wegen einer Minute (!) den Bus nach Felcsút verpasse. Der nachfolgende, eigentlich eine Stunde später anrückende Bus hat natürlich derart Verspätung, dass ich bei keinem der ab 11 Uhr rund um die Pancho Aréna ausgetragenen Jugendspiele noch auf mindestens 45 Minuten komme. Bitter. Gerade auch deshalb, weil sämtliche Nebenplätze der Pancho Aréna mit einer Tribüne ausgestattet sind. Geld spielt hier ja keine Rolle, Pleite-Gasinstallateur Mészáros sei Dank! So bleibt immerhin reichlich Zeit, diesen ganzen Wahnsinn im Orbán-Wunderland Felcsút genauer anzuschauen. Besonders gefallen mir die überall rund ums Stadion aufgestellten übergroßen Touchscreens, an denen man seine Eintrittskarten kaufen kann. In einem ungarischen Dorf mit 1.700 Einwohnern. Die teuerste Karte kostet übrigens nur 1000 Forint und da der Forint gerade im freien Fall ist, sind das nur noch 2,50 Euro. Was allerdings im positiven Sinne der absolute Wahnsinn ist, ist die Architektur der Pancho Aréna. Sie nennt sich selbst das schönste Stadion Ungarns – und liegt damit völlig richtig! Besonders gelungen ist die Dachkonstruktion mit ihren Holzbalken, die kelchförmig aus Betonträgern herausgewachsen. Typisch ungarisch eben, denn das alles soll an die Ursprünge des magyarischen Volkes in der Mongolei und die Zelte der Hunnen erinnern. Gebaut wurde die Pancho Aréna nach den Plänen des 2011 verstorbenen Architekten Imre Makovecz, der als stramm nationalistisch galt, was die Architektur hier klar widerspiegelt. Seine Schüler vollendeten seine Pläne. Meine Hoffnung ist, dass mich der Gästeblock heute gedanklich aus diesem Orbán-Wunderland herausholt, aber dem ist nicht so. Anhand der nur spärlich aufgehängten Zaunfahnen sieht es eh so aus, als boykottiere ein Großteil der Szene dieses spezielle Auswärtsspiel. Am Anfang wird lediglich etwas gepöbelt, unter anderem wird „buzi Felcsút“ („schwules Felcsút“) skandiert, was vom Stadionsprecher umgehend hoffenheim-like mit Durchsagen unterbunden wird. Support ansonsten Fehlanzeige. Ist natürlich eine dumme Situation für die ungarischen Ultras. Einerseits sind sie fast durchweg stramm rechts und auf Orbáns Seite, andererseits gefällt natürlich keinem diese Puskás Akadémia und die ganzen Veränderungen im ungarischen Fußball, die auch die Dorfvereine aus Kisvárda und Mezőkövesd in die 1.Liga gespült hat. Denn Orbán hat ein neues Sport-Programm aufgelegt, mit dem nach dem Motto „Brot und Spiele“ Unsummen an Steuergeldern in den Fußball gesteckt werden. Geld, das anderswo dringend fehlt. Da sitzen die Ultras zwischen den Stühlen. Für mich als neutralen Beobachter ist das einfach nur ein Wahnsinn. Mühsam zu erwähnen, dass es auf Heimseite keine Szene gibt, so dass das hier heute bei insgesamt nur 500 Zuschauern (in der 1. Liga!) eine sehr zähe Veranstaltung ist. Wenigstens ist da die ungewöhnliche Architektur – und damit ist die 1.Liga endlich wieder komplett.