Deutschland, 2. Frauen-Bundesliga – Staffel Nord (Frauen, 2. Liga)
Sonntag, 2. Mai 2021, 11 Uhr
Jena, Ernst-Abbe-Sportfeld – Platz 3
Eine neue Stufe des Wahnsinns wird gezündet: Jetzt nimmt man sich schon einen Mietwagen, um zum Frauenfußball zu fahren. Aber da bereits um 11 Uhr in Jena angepfiffen wird und das zu früh für eine Anreise mit der Bahn ist, während das eigene Auto das vorläufige Kilometer-Limit schon erreicht hat, geht das in diesem Fall nicht anders – so wahnsinnig das auch klingt. Immerhin: Im Lockdown sind Mietwagen zum Spottpreis erhältlich. Mit dem heutigen Spiel verstoße ich gegen meinen Grundsatz dieses Lockdowns, lediglich Grounds zu machen, die nur mit Frauenfußball machbar sind, denn auf Platz 3 des Ernst-Abbe-Sportfelds spielen auch die Oberliga-Herren des FC Carl Zeiss Jena II. Der Verstoß hat aber einen Grund, denn wenn Borussia Bocholt vor drei Wochen wie geplant im eigenen Ground gespielt hätte, würde ich hier und heute die Nord-Staffel der 2. Bundesliga der Frauen komplettieren. Da macht man dann doch mal eine Ausnahme. Und weil man in diesen Zeiten nicht einfach so wie früher zu einem Spiel fahren kann, sondern man das teilweise schon mehrere Wochen im Voraus regeln muss, bleibt halt auch die Spontaneität auf der Strecke und es muss so oder so nach Jena gehen. Schmackhaft gemacht wird mir die Fahrt nach Thüringen aber auch durch den Gegner, denn es ist das mittlerweile dritte Spiel der Arminia-Frauen innerhalb von vier Wochen, das ich sehe. Da erwischt man sich doch selbst dabei, wie man rätselt, warum die und die Spielerin heute auf einer anderen Position eingesetzt wird. Auf den Rängen ist wie üblich nichts los, es gibt kein Catering, wobei es doch auffallend viele Hopper ins Stadioninnere geschafft haben. Mag damit zusammenhängen, dass es sich bei den Frauen des FC Carl Zeiss Jena eigentlich um den USV Jena handelt und der da nicht ganz so streng ist. Zwar kooperierten beide Vereine schon seit 2014 im Jugendbereich miteinander, aber erst vergangenes Jahr kam der Universitätsverein unter das Dach von Carl Zeiss und tritt seitdem unter neuem Namen an. Die Verantwortlichen im Frauenfußball sind aber immer noch die vom USV (es steht auch noch ein Auto mit USV-Lackierung neben den Umkleidekabinen) und da wird in puncto Spieltagsorganisation doch noch etwas anders gearbeitet als beim Profiverein Carl Zeiss. Das könnte sich vermutlich bald ändern, denn da Tabellenführer FSV Gütersloh wie hier schon erwähnt sein Aufstiegsrecht nicht wahrnehmen will, ist Jena als Tabellenzweiter auf dem besten Weg in die Bundesliga – und das als Aufsteiger aus der Thüringenliga. Der heutige 2:1-Sieg gegen die Arminia ist ein weiterer Schritt in Richtung Durchmarsch. Auch wenn die Ränge größtenteils leer sind, lohnt sich es sich, den Blick mal vom Spielfeld zu nehmen, denn an der Seitenlinie hat sich ein Kamerateam vom MDR platziert, das sich – gelinde gesagt – ziemlich daneben benimmt. Dass der MDR den Ruf hat, der tendenziöste aller Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland zu sein, kann ich an der Stelle nur zu gut nachvollziehen. Zunächst wird das Kamerateam von der Arminia-Abwehr aufgefordert, doch bitte etwas mehr Abstand zum Tor zu halten, worauf zunächst mit Gelächter und abfälligen Sprüchen reagiert wird. Als das Kamerateam dann vom Schiedsrichter an die Seitenlinie verbannt wird, fängt es an, Bielefelder Spielerinnen gezielt zu provozieren und dabei mit der Kamera auf sie zu halten, wohl in der Hoffnung auf spektakuläre Bilder. Echt unfassbar. Deutlich angenehmer geht es dann nach Abpfiff in der Jenaer Innenstadt zu, in der man – trotz Lockdown – doch ein paar schöne Stunden verbringen kann. Ein Glück, dass der Jentower weiterhin geöffnet ist. Das markante Gebäude, das man auch vom Ernst-Abbe-Sportfeld aus gut sehen kann, war einst das höchste Bürogebäude der DDR und gilt (je nach Messweise) auch heute noch als das höchste der neuen Bundesländer. Nebenbuhler ist das Cityhochhaus in Leipzig, das aber nur höher ist, wenn man die Antenne mitrechnet. Auch wenn der Jentower wie ein Gebäude des 21. Jahrhunderts wirkt, wurde er bereits zwischen 1970 und 1972 gebaut – vor allem aus sozialistischen Zwecken. Denn die DDR wollte ihre Innenstädte umgestalten und Gebäude errichten, die höher als Kirchtürme sind, um den Einfluss der Kirche auch optisch zu beschränken. Dass der Bau des Jentowers eigentlich sinnlos war, merkt man daran, dass mit dem Carl-Zeiss-Kombinat der vorgesehene Nutzer des Gebäudes gar nicht einzog. Notgedrungen sprang die Jenaer Universität in die Bresche und zog in den Turm ein, der im Volksmund unter anderem Penis Jenensis genannt wird. Nach der Wende verließ die Uni den Jentower, der seitdem von einer Vielzahl an Mietern genutzt wird – vom Steuerberater bis zum Hotel. Für 4,50 Euro darf man den Aufzug zur Aussichtsplattform im obersten Stockwerk nutzen, von der aus man einen wirklich fantastischen Blick hat. Erst hier oben realisiert man so richtig die Tallage von Jena. Zweites großes Highlight der Stadt ist das 1926 eröffnete Zeiss-Planetarium, das das dienstälteste Planetarium der Welt ist. Leider im Lockdown geschlossen, aber auch von außen mit seiner typischen Architektur der Weimarer Republik einen Blick wert. Neben den schönen Altstadtgassen und der derzeit ebenfalls völlig toten, aber dennoch urgemütlich wirkenden Kneipenmeile (Wagnergasse) gehört natürlich auch ein Abstecher nach Neulobeda dazu. Das Plattenbauviertel von Jena sorgte in der Nachwendezeit kräftig für Schlagzeilen, wirkt aber auch noch im Jahr 2021 wie aus der Zeit gefallen. Sozialistische Straßennamen, eintönige Bebauung, dazwischen kitschige Skulpturen. Man hat stellenweise den Eindruck, die Mauer sei erst gestern gefallen – oder noch gar nicht. Da auch in NRW inzwischen eine nächtliche Ausgangssperre inkraft getreten ist, müssen die Pferde leider früher als gewollt gesattelt und Jena bereits am frühen Abend wieder verlassen werden. Schade, denn die Stadt hat einen guten Eindruck hinterlassen und ist ohne Lockdown sicherlich noch mal einen Besuch wert.