Polizei-SV Braunschweig – Süderneulander SV 1:3

Deutschland, Testspiel
Samstag, 12. September 2020, 15.30 Uhr
Hage, Motodrom Halbemond 

In der ostfriesischen Provinz, keine 10 Kilometer von der Nordseeküste entfernt, steht mitten im Nichts das zwölftgrößte Fußballstadion Deutschlands. Größer als Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern, größer als das Max-Morlock-Stadion in Nürnberg, größer als das Weserstadion in Bremen. Und das, obwohl das dazugehörige Dörfchen Halbemond, das knapp drei Kilometer entfernt steht und Teil der Samtgemeinde Hage im Landkreis Aurich ist, gerade einmal 1.000 Einwohner hat. Was ist da passiert? In den 1970er- und 1980er-Jahren war Speedway – eine Variante des Motorrad-Rennsports – in Norddeutschland sehr beliebt, was vor allem an dem in Kiel geborenen Rennfahrer Egon Müller lag, der 7x das Finale der Speedway-WM erreichte und zudem 3x Langbahn-Weltmeister wurde. Logische Konsequenz: Auch Deutschland musste Austragungsort einer Speedway-WM werden und bekam den Zuschlag für 1983. Es fehlte jedoch ein entsprechendes Stadion, weshalb das 1972 bei Halbemond erbaute Waldstadion des Motorsport-Clubs aus der nahegelegenen Hafenstadt Norden massiv aufgemotzt wurde. Die Zuschauerkapazität des nun als Motodrom Halbemond bezeichneten Stadions wurde von 10.000 auf 50.000 erhöht. Bei der Speedway-WM 1983 geschah dann das Unfassbare: Lokalmatador Egon Müller wurde Weltmeister – als erster, aber bisher auch einziger Deutscher. Es blieb ein One-Hit-Wonder und nach der WM 1983 büßte Speedway in Norddeutschland wieder an Popularität ein. Trotzdem steht da seitdem nun das riesige Motodrom, das für alles, was danach kam, völlig überdimensioniert ist. Warum aber taucht es in der Liste des größten Fußballstadien Deutschland auf? Im sieben Kilometer entfernten Berumerfehn kam es 1995 zu einem Streit beim lokalen Fußballverein SuS Berumerfehn, woraufhin einige abtrünnige Mitglieder einen neuen Verein unter dem Namen Fehntjer Fußball-Freund gründeten (in der Regel abgekürzt als FFF Berumerfehn). Aufgrund des Streits durften sie den Sportplatz in Berumerfehn natürlich nicht nutzen und suchten händeringend eine eine Spielstätte, die sie mit der Innenfläche des Motodroms Halbemond fanden. Mit Beginn der Saison 1996/97 wurde die Betonschüssel damit auch zum Fußballstadion – in der untersten Liga. Hochklassiger Fußball wurde im Motodrom Halbemond dennoch geboten, denn die FFF Berumerfehn holten 1996 mehrere namhafte Mannschaften wie den SC Freiburg in die Schüssel, die dort Testspiele bestritten. Lange dauerte das Gastspiel der FFF Berumfehn jedoch nicht, denn sie verließen schon 1999 das Motodrom wieder. Kurios: 2017 schlossen sie sich ausgerechnet mit dem einst verhassten SuS Berumerfehn zusammen und treten nun mit ihm gemeinsam als SG Berumerfehn an. Am 13. Juni 1999 fand das letzte Fußballspiel im Motodrom Halbemond statt, seitdem träumen vor allem norddeutsche Hopper davon, den Ground endlich mal wieder machen zu können. Die Sache in die Hand nahm der Polizeisportverein Braunschweig, bei dem mehrere Hopper aktiv sind. Die eigentlich simple Idee: Als Verein die Schüssel im Rahmen eines Trainingslagers für ein Wochenende mieten und dort einfach selbst ein Testspiel gegen einen lokalen Verein ansetzen. Gesagt, getan. Ursprünglich wollte der Polizeisportverein niemandem davon etwas erzählen und das Testspiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen. Um die Mietkosten zu decken, werden schließlich doch mehrere Dutzend Hopper ausgesucht und zu dem Testspiel eingeladen. Damit das coronabedingte Zuschauerlimit von 300 nicht überschritten wird,  müssen sich alle Eingeladenen zum Stillschweigen verpflichten, weil man befürchtet, dass das Motordrom bei dieser einmaligen Gelegenheit sonst von Hoppern überrannt wird. Das mit dem Stillschweigen klappt weitgehend, auch wenn sich das Vorhaben in Ostfriesland durchspricht und einen Tag vor dem Spiel ein entsprechender Artikel in einer Lokalzeitung erscheint. Auch ich erhalte eine solche Einladung und mache mich somit in aller Herrgottsfrühe zusammen mit meiner Freundin im Auto auf den Weg an die Nordsee. Ehrlicherweise ist es weniger das Stadion, das mich anlockt. Diese Faszination für das Motodrom Halbemond ist eher so ein norddeutsches Ding und ich glaube, dass es vor diesem Spiel nur wenige Hopper in Süddeutschland gibt, die von der Schüssel schon mal etwas gehört haben. Klar, ist in den Top 20 der größten Fußballstadien Deutschlands, weil da drin mal drei Jahre lang Bumsfußball gespielt wurde, aber das ist ja doch eher ein Unfall gewesen. Interessanter finde ich da schon das zu erwartende Happening, das wohl zwangsläufig zu erleben sein wird, wenn Groundhopper aus ganz Deutschland  die ostfriesische Pampa ansteuern. „Klassentreffen“ ist so ein Begriff, den man im Vorfeld sehr oft gehört hat. Ich würde fast sagen: Wacken der Groundhopper. Und so kommt es dann auch: Ab der letzten Kreuzung vor der Motodrom tauchen am Wegesrand immer wieder Leute mit Rucksack auf dem Rücken und Bier in der Hand auf, die auf das Stadion zusteuern. Es liegt wie gesagt mitten im Nichts, selbst fernab jeder Bushaltestelle, so dass doch ein kleiner Fußmarsch eingelegt werden muss, wenn man mit Bus und Bahn unterwegs ist. Dann noch einmal links abbiegen und man steht vor dem Eingangsportal des Motodroms Halbemond. Autofahrer werden vom Polizeisportverein noch im Fahrzeug sitzend abkassiert, mindestens 10 Euro pro Person müssen abgedrückt werden, dann darf man zwischen Kennzeichen aus aller Herren Bundesländern einparken. Inklusive meiner eigenen Karre werden es am Ende vier Autos mit baden-württembergischen Kennzeichen sein. Zur Zuschauerzahlen gibt es verschiedene Angaben, es werden wohl so um die 180 sein. Schon krass, ein Spiel zu sehen, bei dem wirklich nur Groundhopper anwesend sind (plus eine Delegation der FFF Berumerfehn). Schon lustig, am anderen Ende der Bundesrepublik gerade erst einen Fuß ins Stadion gesetzt zu haben und schon namentlich begrüßt zu werden. Hier ein Gespräch, dort ein Gespräch – man kommt kaum zum Fußball schauen. Das Spiel spielt in diesem Fall ja aber eigentlich eh keine Rolle. Trotzdem will ich an dieser Stelle nicht verbergen, dass ich es nicht ganz schlüssig finde, wer hier alles eingeladen wurde oder besser gesagt: wer hier nicht eingeladen wurde. Logisch, dass das für viel böses Blut in der Groundhopper-Szene sorgt, wahrscheinlich noch für Jahre. Mehr will ich zu dem Punkt gar nicht schreiben. Wenn man sich den teilweise wirklich desolaten Zustand des Motodroms anschaut, dann weiß man jedenfalls nicht, wie lange das Ding in dieser Form noch stehen und ob hier jemals wieder ein Fußballspiel stattfinden wird. Organisatorisch leistet der Polizeisportverein, der an diesem Wochenende im Stadion zeltet, gute Arbeit, entwirft Eintrittskarten und Programmheft, stellt einen Wurst- und Bierstand auf und verpflichtet mit Michael „Captain“ Seiß aus Wattenscheid einen bekannten Stadionsprecher aus der Groundhopping-Szene.