Sonntag, 26. August 2018, 17 Uhr
Wien, Weststadion
Im Juli 2014 verließ Rapid Wien das
Gerhard-Hanappi-Stadion im Stadtteil Hütteldorf, wich für zwei Jahre ins große
Praterstadion aus und bezog im Juli 2016 das neue Weststadion, das an
gleicher Stelle des abgerissenen Gerhard-Hanappi-Stadions errichtet
wurde. Da bei dem Neubau das Spielfeld um 90 Grad gedreht wurde,
entbrennt sich in Groundhopper-Kreisen wieder einmal die süffisante
Diskussion, ob es sich hier um einen neuen Ground handelt oder nicht. Meine
persönliche Meinung: Natürlich handelt es sich um keinen neuen
Ground, denn die Spielfläche ist ja – trotz Drehung – immer noch
teilweise die gleiche. Bei jedem Kreisliga-Sportplatz, auf dem die
Linien sonntagmorgens von Hand gezogen werden, sind die Maße jedes
Mal um ein paar Zentimeter anders als in der Vorwoche und das
Spielfeld damit nicht mehr identisch. Und egal ob nur ein paar
Zentimeter oder 90-Grad-Spielfelddrehung – das Reglement muss
allgemein anwendbar sein und daher ist das neue Weststadion für mich
kein neuer Ground, weil sich eben das alte mit dem neuen Spielfeld
überschneidet. Schön zu sehen ist das übrigens an dem alten
Flutlichtmasten des Gerhard-Hanappi-Stadions, den man der Nostalgie
wegen stehengelassen hat. Ganz unabhängig davon kann man bei einem
Verein wie Rapid Wien aber auch ruhigen Gewissens mehrmals
vorbeischauen (in dem Fall: zum vierten Mal), womit sich diese ganze
Diskussion von selbst erledigt. Das Spiel gegen Aufsteiger Wacker
Innsbruck steht dabei unter einem ganz besonderen Stern, denn die
1988 gegründeten Ultras Rapid feiern heute ihr 30-jähriges
Bestehen. Das wird wie erwartet mit einer üppigen, mehrteiligen
Choreo eingeläutet, die bereits 15 Minuten vor Spielbeginn startet.
Der Block West wird zunächst mit einer überdimensionalen, vom Dach
herunterhängenden Blockfahne in Vorhangform verdeckt. Anschließend
wird über die Stadionlautsprecher Opernmusik eingespielt und eine
weitere Blockfahne gezeigt. Motiv: das Innere einer Oper. Als
dritter Teil folgt beim Einlaufen der Mannschaften eine Zettelchoreo,
die den Indianer-Kopf zeigt – eines der Symbole der Ultras Rapid.
Insgesamt also typisch Ultras Rapid: Umsetzung bis ins Detail
perfekt, alles sehr prächtig, aber dann doch irgendwie too much.
Spätestens beim Einspielen der Opernmusik und dem Einblenden des
UR-Wappens auf der Anzeigentafel des Stadions bin ich raus. Man kann
sich nicht einerseits geradezu aufdringlich als dauerrebellische
Ultras darstellen und sich dann andererseits vom Verein so derart
multimedial unterstützen lassen. Man muss sich entscheiden:
Lackschuh' oder Gosse – beides geht nicht. Das setzt sich auch im
Lauf des Spiels so fort, denn natürlich bleibt es nicht bei der
Choreo. Zur 30. Spielminute wirft der gesamte Block West
Papierschnipsel in die Luft, die eine große „30“ ergeben, zu
Beginn der zweiten Halbzeit werden Hunderte „30“-Doppelhalter in
die Luft gehalten und auch der Beginn der berühmten Rapid-Viertelstunde, bei dem die Fans bereits seit 1919
die letzten 15 Spielminuten frenetisch einläuten, fällt heute sehr überschwänglich aus. 30. Geburtstag hin
oder her – man kommt sich stellenweise vor wie bei einer
Butterfahrt. Ein bisschen weniger kann manchmal auch ein bisschen
mehr sein. Pfiffig ist hingegen, dass alle anderen Gruppen im Block
West in der ersten Halbzeit auf ihre Zaunfahnen verzichten und den Platz den Ultras Rapid überlassen, die dort alle UR-Zaunfahnen
der vergangenen 30 Jahre aufhängen. Nichts los ist hingegen im
Gästeblock. Die Tivoli Nord machte sich mit 300 Leuten (darunter
auch eine kleine Abordnung aus Merano vom befreundeten FC Obermais)
auf die 500-Kilometer-Reise und kam bereits mehr als zwei Stunden vor
Anpfiff in Wien an. Der Marsch zum Weststadion wurde wie erwartet von
einem großen Polizeiaufgebot begleitet, das permanent durch
Beleidigungen und Provokationen in Richtung der Innsbrucker auffiel. Das Verhalten der Polizei
steht wohl in Verbindung mit dem Europapokalspiel zwischen Rapid Wien
und Slovan Bratislava, das vor zehn Tagen stattfand und bei dem die
Wiener Polizei komplett versagte, weshalb sie nun unter Druck steht.
Ohnehin wird gesagt, dass bei der österreichischen Polizei ein anderer
Wind bläst, nachdem im Dezember 2017 die rechtspopulistische FPÖ
das Innenministerium übernahm. Am Weststadion erreichten die Reibungen zwischen Polizei und Innsbruckern dann ihren negativen Höhepunkt. In der Stellungnahme
der Faninitiative Innsbruck (LINK) heißt es unter anderem: „Komplett unbedenkliche Zaunfahnen, die seit Jahren bei jedem Spiel
dabei sind, mussten erst von vier verschiedenen Personen abgesegnet
werden, ehe man sich damit wieder ganz hinten in der Reihe anstellen
durfte. Dieses schikanöse Vorgehen schien mit der anwesenden Polizei
abgestimmt, so geschah nichts ohne die prüfenden Augen mehrerer
Beamter. Den Höhepunkt bildete ein Spruchband, das trotz mehrmaliger
Intervention auch von szenekundigen Beamten vom Verein ohne Angabe
von Gründen verboten wurde. All dies führte dazu, dass die letzten
Auswärtsfans erst über 30 Minuten nach Spielbeginn die Kontrollen
bis auf die Unterwäsche hinter sich gebracht hatten.“ Die
Innsbrucker entscheiden sich daher für einen radikalen Schritt: In
der 35. Minuten stürmt der gesamte Mob in den Gästeblock, donnert
einen Polen-Böller in den Strafraum, lässt schwarzen Rauch
aufsteigen, pöbelt gegen Polizei und Rapid und verlässt nur drei
Minuten später wieder geschlossen das Stadion, um vorzeitig die Heimreise
anzutreten. Spätestens an dieser Stelle müssten auch die Ultras
Rapid aus Solidarität den Support abbrechen, zumal sie genau
mitbekommen haben, was los ist – schließlich zeigen sie in der
zweiten Halbzeit ein eilig gepinseltes Spruchband mit der Aufschrift
„Scheiß Kibarei“ (Kiberer ist ein österreichisches Schimpfwort
für die Polizei). Diesen ganzen Geburtstags-Firlefanz aber über die
Solidarität zu stellen und damit seinen Egoismus zu unterstreichen,
zeigt auf ziemlich erschreckende Weise, was für ein bedenklicher
Geist in dieser Kurve herrscht. Da hilft es auch nicht, dass optisch
alles wie geleckt wirkt und so ziemlich jeder im Block West
Szene-Kleidung trägt, was unglaublich imposant aussieht. Aber wenn
dann doch und vor allem in den entscheidenden Momenten das Business
im Vordergrund steht, dann ist man genau das, wogegen man vorgibt
anzukämpfen.