GS Apollon Smyrnis – AE Konstantinoupoleos Athína 0:2

Griechenland, Super League (1. Liga)
Samstag, 20. Oktober 2018, 19 Uhr

Athen, Stadio Georgios Kamaras

Nur wenige Haltestellen trennen Pallini und die Metro-Station Perissos im Stadtteil Rizoupoli, an der das Stadion von Apollon Smyrnis liegt. Der Knackpunkt: Dazwischen liegt das Olympiastadion, in dem kurz zuvor erst das Heimspiel von Panathinaikos abgepfiffen wurde – und das könnte mit Blick auf anreisende AEK-Fans durchaus für Konfliktpotenzial sorgen. Das riesige, fast schon kriegsähnliche Polizeiaufgebot an der Perissos-Station ist damit schnell erklärt. Die wenigen PAO-Fans, die am Olmypiastadion eingestiegen sind und in Richtung Stadtzentrum fahren, haben ihren Schal aber sowieso vorsorglich in der Tasche verschwinden lassen. Das dürfte hier öfters so laufen, denn Rizoupoli ist ein Stadtteil von Kleinasien-Flüchtlingen und damit traditionell absolutes AEK-Gebiet. Kaum eine Wand ohne AEK-Graffiti. Hintergrund: Direkt nach dem Ersten Weltkrieg führten Griechenland und das sich im Zerfall befindende Osmanischen Reich Krieg miteinander. In beiden Ländern lebten große Minderheiten des jeweils anderen Landes, schließlich gehörte Griechenland lange Zeit zum Osmanischen Reich, das ein Vielvölkerstaat war. So wurde etwa Türkei-Gründer Atatürk in Saloniki geboren, während mit dem Patriarchen von Konstantinopel das Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche noch heute seinen Sitz in Istanbul hat. Griechenland sah 1919 die Chance gekommen, die Megali Idea („große Idee“) umzusetzen und sich all jene Gebiete in Kleinasien (die heutige Türkei) unter den Nagel zu reißen, in denen es griechische Minderheiten gab. Die Megali Idea fand erst 1913 auf Kreta Anwendung, das bis dahin nicht zu Griechenland gehörte, sondern (genau wie lange Zeit aus Griechenland selbst) noch osmanisch war. Das Osmanische Reich, das gerade erst den Ersten Weltkrieg verloren hatte, schien ein einfacher Gegner zu sein, doch unterstützt von Großbritannien gewann Atatürk den Griechisch-Türkischen Krieg und gründete die Türkei. Konsequenz: 1,25 Millionen Griechen wurden aus der Türkei vertrieben, ebenso 500.000 Türken aus Griechenland. Lediglich die britische Kolonie Zypern blieb davon unberührt, dort entlud sich der Konflikt dafür in den 70er-Jahren samt der bis heute andauernden Spaltung der Insel. Zusammen mit den Griechen wurden auch ihre Fußballvereine aus Kleinasien vertrieben, die jedoch meist in Griechenland wieder gegründet wurden. Die beiden berühmtesten Vertreter sind PAOK und AEK, die jeweils auf den gleichen Verein zurückgehen: Hermes Pera aus dem heutigen Stadtteil Beyoglu von Istanbul. AEK ist der Athener Ableger von Hermes Pera, PAOK der aus Saloniki. Das „K“ in beiden Vereinsnamen steht dabei für Konstantinopel, der griechische Name von Istanbul. Dass AEK in Rizoupoli das Sagen hat, wundert also nicht, denn hier leben hauptsächlich Familien, die aus Kleinasien stammen. Tatsächlich ist das heutige Athen ein Flickenteppich, der aus alten Stadtteilen besteht, zwischen denen neue Stadtteile angelegt wurden, in denen die vielen aus Kleinasien vertriebenen Griechen angesiedelt wurden. Während in letzteren AEK schwer in Mode ist, drückt man in den alten Stadtteilen eher Panathinaikos oder auch Olympiakos die Daumen, die beide vor 1922 gegründet wurden. Ein weiterer Erstligist, der in Griechenland wieder gegründet wurde, ist Apollon Smyrnis. Smyrnis ist der griechische Name von Izmir. Allerdings kommt mit Panionios ein weiterer Erstligist ursprünglich aus Izmir, der in der Gunst jener Athener, die aus Izmir vertrieben wurden, deutlich höher liegt als Apollon – auch wenn Apollon offensiv den griechischen Namen der Stadt benutzt. Zu Spielen wie diesen sind in Griechenland Gästefans erlaubt und da wundert es bei der Geschichte des Viertels nicht, dass der Gästeblock gut gefüllt ist. Tatsächlich befinden sich mehr Leute im Gästeblock als im übrigen Stadion. Die kleine organisierte Szene von Apollon (Basso Rango) zeigt zu Spielbeginn eine kleine Choreo, lässt eine ordentliche Rauchwolke über den Rasen segeln und ist auch während des Spiels kontinuierlich am Singen und Hüpfen, kann sich akustisch aber nicht einmal ansatzweise gegen den Gästemob durchsetzen, der in puncto Lautstärke Bäume ausreißt. Richtig schöne Melodien sind ebenfalls dabei, so dass ich einige Male eine Gänsehaut bekomme. In solchen Momenten fragt man sich beinahe minütlich, warum man eigentlich nicht öfter nach Griechenland fährt. Aber klar: Das Chaos verdirbt leider zu oft den Spaß. Chaos ist allerdings auch im Georgios-Kamaras-Stadion angesagt, allerdings im positiven Sinne. So lässt man mich trotz Hunderten Polizisten und mehreren aufgefahrenen Wasserwerfern ohne Ticket und ohne Kontrolle ins Stadion, bloß weil ich mich bei einem Ordner als Deutscher zu erkennen gebe. Die Taschenkontrolle kann man sich bei Apollon aber sowieso sparen, denn in der Volleyballhalle, die hinter dem Tor steht, befindet sich ein Kiosk, der auch bei solch einem Spiel ganz normal Bier und Getränke in Glasflaschen verkauft. Mit diesen kommt unkontrolliert bis an den Zaun zum Gästeblock. Allerdings liegen dort ohnehin aufgrund des maroden Zustands des Stadions mehrere Nägel und handtellergroße Betonstücke herum, so dass man sich gar nicht die Mühe machen müsste, Glasflaschen im Kiosk zu kaufen. Ohnehin ist es beeindruckend, dass dieses Stadion, in das Olympiakos von 2002 bis 2004 wegen des Umbaus am eigenen Stadion auswich, erstligatauglich sein soll. Ich sag‘s ja: Dieses Land ist viel zu chaotisch. Manchmal ist das nervig, meistens aber herrlich sympathisch.