FC Stahl Brandenburg – SV Grün-Weiß Lübben 1:1

Deutschland, Brandenburg-Liga (6. Liga)
Samstag, 2. Juni 2018, 15 Uhr

Brandenburg an der Havel, Stadion am Quenz

Berlin enttäuscht heute ausnahmsweise. Mehr als nur ein Spiel anzuschauen ist fast nicht drin, schon gar nicht, wenn man dabei auf zweite oder gar dritte Mannschaften verzichten will. Da kann man also mit etwas Zeit im Gepäck auch mal aufs Berliner Umland ausweichen, wo mit Stahl Brandenburg ein längst überfälliger Knaller wartet. Nur 40 Minuten braucht der Zug vom Bahnhof Zoo bis in die 70.000-Einwohner-Stadt, ein echter Katzensprung also. Die vorhandene Zeit wird genutzt, um das neben dem Stadion gelegene Stahlwerk unter die Lupe zu nehmen. Zu DDR-Zeiten war es Trägerbetrieb der Fußballmannschaft sowie größter Rohstahlproduzent der Deutschen Demokratischen Republik. Schon die Straßenbahnfahrt dorthin ist eine kleine ostalgische Zeitreise, denn im Stadtbild ist noch erstaunlich viel DDR vorhanden. Dazu zählt insbesondere der Schriftzug des VEB Papierwarenverarbeitung, der auch 29 Jahre nach dem Mauerfall noch zu lesen ist. Auch die Straßenbahn-Waggons stammen noch aus DDR-Zeiten, wobei es doch immer wieder erstaunlich ist, wie sich diese mittelgroßen Städte im Osten – trotz gähnend leerer Waggons und nur Halbstundentakt – überhaupt noch einen Straßenbahn-Betrieb leisten können. Wenigstens wurde die Anzahl der Linien im Vergleich zu DDR-Zeiten von neun auf heute vier reduziert. Kurz vor der Endstation Quenzbrücke stehen dann Stadion und Stahlwerk, letzteres ist inzwischen ein Industriemuseum. Das Stahlwerk wurde bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg gebaut und recycelte quasi den in Berlin anfallenden Stahlschrott zu Rohstahl. 1914 ging dafür der erste Siemens-Martin-Ofen in Betrieb, der zu dem Zeitpunkt noch das Neueste vom Neuen war, im Westen aber bereits seit den 1960er-Jahren als veraltet galt. Mangels Alternativen setzte die DDR in Brandenburg aber weiter auf die Siemens-Martin-Öfen. Oder anders gesagt: Wie im Osten damals oft üblich wurde der Betrieb mit bescheidenen Mitteln, aber viel Kreativität am Leben gehalten. Das ging bis zur Wende gut, dann aber galt das Werk mit seinen veralteten Öfen als nicht mehr konkurrenzfähig und wurde an einen italienischen Investor verscherbelt. Massenentlassungen waren die Folge, die Einwohnerzahl Brandenburgs sank von damals knapp 100.000 auf heute 70.000. Kernelement des Industriemuseums sind die Siemens-Martin-Öfen, wer sich aber (so wie ich) nicht ganz so detailreich für diese technischen Aspekte interessiert, der findet im Museum ein paar spannende Relikte aus dem Alltag der Arbeiter: Parteipropaganda an den Wänden, die Werkszeitung „Roter Stahl“ auf dem Tisch (mit Sportteil, in dem die BSG Stahl Brandenburg natürlich prominent platziert wurde), Mannschaftsfoto von Stahl Brandenburg an der Wand. In den Innenseiten der Spinde aber kleben vornehmlich Aufkleber westdeutscher Bundesligisten. Überproportional vertreten ist dabei der 1.FC Kaiserslautern. Zu Gesicht bekam der Arbeiter die Roten Teufel im Normalfall zwar nicht, dafür musste er nur über die Straße gehen und schon stand er im Stahl-Stadion, das heute Stadion am Quenz heißt. Und auch dort liegt noch jede Menge DDR in der Luft. Die BSG Stahl Brandenburg spielte von 1970 bis 1984 in der zweitklassigen DDR-Liga, ehe ihr der Aufstieg in die Oberliga gelang. Der Wiedervereinigung ist es zu verdanken, dass es nur sechs Jahre in der 1. Liga waren, in denen sich die Brandenburger nach dem fünften Platz in der Saison 1985/86 sogar einmal für den UEFA-Cup qualifizieren konnten. In der ersten Runde sorgten die Nordiren vom Coleraine FC mit 18.000 Zuschauern für ein ausverkauftes Haus, in der zweiten Runde war dann aber gegen den IFK Göteborg (vor nur noch 15.500 Zuschauern) bereits Endstation. Nach der Wende konnte Stahl Brandenburg nicht mehr Fuß fassen, aktuell kämpft man gegen den Abstieg in die 7. Liga. Dass die so wichtige Partie gegen Grün-Weiß Lübben gerade einmal 85 Zuschauern sehen wollen, zeigt deutlich, welchen Stellenwert der Verein in der Stadt genießt. Auch im Stadtbild kommt Stahl Brandenburg im Gegensatz zum Stadtrivalen BSC Süd kaum vor. Immerhin bietet das genügend Raum, das Stadion mit all seinen netten Details einmal etwas genauer in Augenschein zu nehmen, was sich in diesem Fall wirklich lohnt. Man hat die 1980er-Jahre wirklich direkt vor Augen. Gut dazu passt der blaue Stahl-Brandenburg-Schnaps, der am Verpflegungsstand für 1 Euro verkauft wird.