Al Wasl SC – Hatta Club 2:0

Vereinigte Arabische Emirate, Arabian Gulf League (1. Liga)
Freitag, 20. April 2018, 18 Uhr
Dubai, Zabeel Stadium

Fast fünf Monate ist es jetzt schon her, dass ein neuer Länderpunkt eingefahren wurde – es wird also höchste Zeit. Damals war es der Länderpunkt Gabun (Link) und auch dieses Mal ist klar, dass das weitgehend abgegraste Europa wieder verlassen werden muss. Nur die Frage aller Fragen: Wohin? Denn wenn man schon mal die freie Auswahl hat, dann ist natürlich nichts dabei, das einen sofort anspringt. Also machen wir das jetzt mal ein bisschen anders, gehen die Sache aus einer anderen Perspektive an und fahren einfach dorthin, wo es schön ist und wohin man ganz unabhängig vom Fußball schon immer mal vorbeischauen wollte. Dubai macht somit das Rennen und da die jährlich um mehrere Zehntausend Einwohner wachsende Mega-City mit einem Ausländeranteil von 85 Prozent extrem multikulturell ist und als sehr offen gilt, wird die Freundin mit eingepackt, wodurch der Trip auch zu einem guten Stück Urlaub wird. Das ist aber in dem Fall nicht schlimm, sondern sogar sehr schön. Und trotzdem: Der Ball läuft und das gleich ein paar Stunden nach den Ankunft am drittgrößten Flughafen der Welt. Viel Zeit bleibt nicht, um sich mit der Stadt vertraut zu machen, aber das ist auch gar nicht nötig, denn im Vergleich zu Dubai ist selbst Deutschland ein Dritte-Welt-Land. Wer sich hier nicht zurecht findet, der verläuft sich auch im Linienbus. Auch innerhalb der Vereinigten Arabischen Emirate nimmt Dubai die Spitzenposition ein, zumal es doch ein paar Unterschiede zwischen den sieben Emiraten gibt. Kurzer Blick in die Geschichte: Bevor in den 1960er-Jahren das Erdöl gefunden wurden, bestand das Gebiet der heutigen VAE zumeist aus kargen Wüstensiedlungen und verarmten Fischerdörfern am Persischen Golf. Kurze Blütezeiten bescherte zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert immer mal wieder die Perlenfischerei, zudem proftierte man aufgrund der geografischen Lage als Handelsplatz zwischen Europa und Indien. Aus diesem Grund florierte zu dieser Zeit auch die Piraterie, weshalb man dem Gebiet der heutigen VAE den Namen „Piratenküste“ gab und es auch so auf Landkarten verzeichnete. Ab 1806 geriet die Piratenküste immer mehr unter britische Kontrolle und wurde 50 Jahre später zu einer britischen Kolonie. Die Briten hatten vor allem Interesse daran, die Piraterie auszurotten, damit der Handel mit seiner Kolonie Indien nicht gefährdert wird, weshalb das Gebiet zunächst „Befriedetes Oman“ genannt wurde, dann aufgrund der abgeschlossenen Verträge, die die Briten offiziell zur Kolonialmacht machten, „Vertragsoman“ und schließlich „Vertragsküste“ (auf Englisch: Trucial States), womit das Gebiet zum ersten Mal ein politisches Gebilde wurde. Kurioserweise wurde die Vertragsküste nicht von London aus verwaltet, sondern von Indien, weshalb hier beispielsweise die indische Rupie lange Zeit offizielles Zahlungsmittel war. Die lange Bindung an Indien ist bis heute sichtbar, so stellen die Einwanderer aus Indien (und Pakistan, das sich 1947 von Indien abgespaltet hat) die Bevölkerungsmehrheit in den VAE. Und auch britische Spuren sind noch immer sehr sichtbar. Zwar herrscht in den VAE Rechtsverkehr, aber viele Ortsbezeichnungen tragen englische Namen – zum Beispiel der einzige Fluss, der durch Dubai fließt: der Creek. Ein Relikt der britischen Kolonialzeit sind auch die kuriosen Grenzziehungen, denn kein Emirat besteht aus einem zusammenhängenden Gebiet, sondern es reiht sich Exklave an Exklave. Die Briten wollten damit verhindern, dass die einzelnen Teilstaaten der Trucial States ihre Unabhängigkeit forcieren konnten und sich stattdessen mit internen Streitigkeiten über die Grenzziehungen beschäftigen. In den 1950er-Jahren passierte dann das, was die Briten unbedingt verhindern wollten: Die Oberhäupter der Trucial States, die sich bis dahin meist spinnefeind waren, fingen an, sich zu verbrüdern und mit einer Stimme zu sprechen. Ziel war jetzt nicht mehr die Unabhängigkeit eines jeden einzelnen Teilstaates, sondern zusammen einen gemeinsamen Staat zu gründen: die Vereinigten Arabischen Emirate. Nach emiratischer Deutung lag das vor allem am charismatischen Scheich Zayed, der sich als Emir von Abu Dhabi an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung setzte und von der Staatsgründung 1971 bis zu seinem Tod 2004 Präsident auf Lebenszeit der VAE war. Sein Konterfei ist in den VAE omnipräsent und an wirklich jeder Straßenecke zu sehen. Mindestens genauso ausschlaggabend dürfte für die plötzliche Verbrüderung der Emire aber die Tatsache gewesen sein, dass wie gesagt in den 1960er-Jahren Erdöl in den Trucial States gefunden wurde, was die Profitgier der Scheichs weckte. Zugleich verloren die Briten ihre Vormachtsstellung auf dem Öl-Weltmarkt an die USA, so dass sich die Briten – auch bedingt durch die Suezkrise 1956/57 – immer mehr aus der Region zurückzogen und sie die Trucial States schließlich in die Unabhängigkeit entließen. Schmackhaft machte Scheich Zayed den anderen Emiren die Vereinigung, indem ein Kerngedanke von Beginn an war, dass die einzelnen Emirate ihren durch das Öl entstandenen Reichtum teilen und durchaus vorhandene Ungleichheiten durch Ausgleichszahlungen weitgehend egalisiert werden. So ist Ajman das einzige der sieben Emirate ohne eigene Öl- und Gasvorkommen und wäre ein armer Wüstenstaat, wenn es nicht Teil der VAE wäre. Wenig überraschend gehörte Ajman daher auch im Dezember 1971 zusammen mit Abu Dhabi, Dubai, Fujaira, Sharjah und Umm al-Qaiwain zu den Gründer-Emiraten der VAE. Nur Ras al-Chaima ließ sich noch etwas Zeit, trat dann im Februar 1972 aber doch bei. Ursprünglich sollte auch Katar dabei sein, entschied sich jedoch für einen eigenen Weg. Verhindern wollte Scheich Zayed durch die Gründung der VAE, dass der Öl-Boom in der Region Begehrlichkeiten auslösen könnte, die zum Chaos führen. Er sagte sich also: Lieber nehme ich die Nachbarn mit ins Boot und teile mit ihnen, als alles durch einen Krieg zu verlieren. Das galt auch für den übermächtigen Nachbarn Saudi-Arabien, der seinerseits ebenfalls die Fühler nach den ölreichen Emiraten ausstreckte. Um nicht von den Saudis überrollt zu werden, trat Scheich Zayd 1974 einen ölreichen Wüstenstreifen von seinem Abu Dhabi an das Nachbarland ab und verschenkte dazu den Hafen von Khor al Udaid an die Saudis. Katar und die VAE grenzen seitdem nicht mehr direkt aneinander. Scheich Zayed soll damals ganz selbstlos gesagt haben, dass die VAE so reich seien, dass sie diesen ölreichen Wüstenstreifen gar nicht brauchen, und ihn gerne an Saudi-Arabien verschenken, wenn das Frieden bringe. Das ist wieder die emiratische Lesart. Anderswo liest man, dass im Tausch für die Wüste gigantische Geldsummen an Scheich Zayed geflossen sein sollen. In den VAE sieht die Strategie nun so aus: Man weiß, dass die Ölvorkommen irgendwann erschöpft sind, und investiert daher die eingenommene Kohle wie blöde in gewinnbringende Projekte, die den Wohlstand auch in der Zeit nach dem Öl sichern sollen. Vor allem in Imobilien wird angelegt, vor allem in den beiden superreichen Emiraten Abu-Dhabi und Dubai, die sich seit der Unabhängigkeit eine Art Wettstreit um die krassesten Bauprojekte liefern und ein unfassbares Ding nach dem anderen aus dem Wüstensand stampfen. In Dubai stehen aktuell 36 Wolkenkratzer mit einer Höhe von mindestens 250 Metern. Zum Vergleich: In New York sind es 19. Mit dem 828 Meter hohen Burj Khalifa steht in Dubai auch das derzeit höchste Gebäude der Welt. Interessant: Der Burj Khalifa hieß eigentlich Burj Dubai, vor zehn Jahren platzte jedoch die Immobilien-Blase aufgrund dieser zu übertriebenen Investitionspolitik, die zu sehr auf Pump ausgelegt war. „Auf Sand und Schulden aufgebaut“, sagte man damals über Dubai, das seitdem einen Gang zurückgeschaltet hat. Den Arsch gerettet bekam Dubai damals von Abu Dhabi, womit knapp verhindert wurde, dass auch die kleineren Emirate mit in die Krise gezogen werden und die VAE kollabieren. Eine Bedingung war, dass Dubai den Burj Dubai zu Ehren von Abu Dhabis Emir Khalifa in Burj Khalifa umbenennt. Eine unglaubliche Demütigung für Dubai, die aber zeigt, dass sich die Emirate untereinander doch nicht immer so grün sind wie das nach außen gerne dargestellt wird. Die Nase vorne hat Dubai dafür beim Thema Verkehrsmittel, denn es besitzt die einzige Metro der VAE. Und wie es sich für Dubai gehört, handelt es sich da nicht um irgendeine klapprige U-Bahn, sondern nur um modernste Ware. Knapp 75 km Schiene misst das Netz, über die die fahrerlosen Züge im Fünf-Minuten-Takt automatisch geleitet werden. 44 vollklimatisierte Stationen wurden aus dem Boden gestampft, die teilweise mit Rollbändern ausgerüstet sind, damit man ja keine fünf Schritte selber gehen muss. Das ist teilweise schon ein richtig irrer Prunk, natürlich ohne auch nur einen Krümel auf dem Boden. Denn auch das ist eine wichtige Spielregel in Dubai: Jeder ist willkommen, jeder bekommt hier eine Chance, aber wer sich in diesem Land, in dem jeder Winkel kameraüberwacht ist, nicht an die Regeln hält, der wird kräftig zur Kasse gebeten oder fliegt gleich ganz raus. Alleine schon ein Kaugummi in der Metro zu kauen, kostet eine Strafe von umgerechnet etwa 25 Euro.
Wenig überraschend ist die Metro für uns das Erste, womit wir in Dubai in Kontakt kommen, denn sie bringt uns zum ersten Spiel der Tour. Metro-Tageskarten gibt es für umgerechnet 5 Euro. Aufpassen muss man als Mann, nicht in die pink gekennzeichneten Abteile einzusteigen, denn die sind Frauen und Kindern vorbehalten. Bei Nichtbeachtung drohen 25 Euro Strafe – und lauter kreischende Frauen, wie uns ein völlig verballerter japanischer Tourist eindrucksvoll vorführt, an dem die Info scheinbar vorbeigegangen ist. Von der Metro-Endstation Creek geht es anschließend per Linienbus zum Zabeel Stadium. Auch das Busnetz ist in Dubai vorbildlich. 800 (!) Haltestellen sind sogar klimatisiert; in den per Schiebetür verschließbaren Häuschen läuft rund um die Uhr die Klimaanlage, was zwar Unsummen an Geld frisst, aber das spielt hier ja nicht ganz so die Rolle. Selbstverständlich besitzt das Vereinsgelände des siebenfachen VAE-Meisters Al Wasl, auf dem neben dem Zabeel Stadium auch eine Sporthalle und eine vereinseigene Moschee steht, eine separate Bushaltestelle, so dass die Anreise noch unkomplizierter ist als in München oder Berlin. Eintrittskarten werden direkt am Stadion in zwei Preiskategorien verkauft, wir schlagen mit 5 Euro pro Stück natürlich in der Holzklasse zu. Sehr unentspannt ist man in den VAE allerdings an den Stadioneingängen, an denen Ordner und Polizei stehen und pingelig kontrollieren. So darf die vor dem Eingang gekaufte kleine Wasserflasche aus Plastik nicht mit rein, obwohl im Stadion keine Getränke verkauft werden. Von den Temperaturen her bewegen wir uns hier an der 40-Grad-Grenze, für einen Europäer können da 90 Minuten ohne Wasser wirklich zur Tortur werden. Für noch größere Probleme sorgt meine kleine Digitalkamera, die auch die bis dato eher gelangweilt beobachtende Polizei auf den Plan ruft, die die Kamera ernsthaft einkassieren will. Man fragt sich, was der ganze Terz soll, denn hier sind gerade einmal 500 Zuschauer am Start, die wirklich komplett entspannt das Spiel anschauen. Vom Aggressivitätsfaktor her ist das mit Liechtenstein oder Andorra zu vergleichen. Und das, obwohl es an diesem vorletzten Spieltag für beide Mannschaften noch um viel geht. Die Gäste aus der 130 km entfernten dubaischen Exklave Hatta sind bei einer Niederlage abgestiegen, Al Wasl braucht hingegen einen Sieg, um noch auf den letzten Drücker als Tabellendritter in die asiatische Champions League einzuziehen. Da auf dem Vereinsgelände ein paar Ultras-Graffiti zu sehen sind und sich bei Al Wasl ein kleiner Mob hinter einer Fahne mit arabischen Schriftzeichen versammelt, bestehen zumindest zu Beginn Hoffnungen, dass hier ein bisschen Support geboten werden könnte, aber es ist wie gesagt in Andorra mehr los. Lediglich nach den beiden Toren stimmt der Al-Wasl-Mob mal ganz kurz Lieder an, die einen richtig geilen, ungewohnten Sound haben, aber das ist auch schon wieder vorbei, bevor es richtig anfängt. Damit ist bereits klar: Fußballmäßig werden das zähe Tage in den VAE, ansonsten aber höchst spannende.