Belgien, 3.Prov. Brabant Wallon/Bruxelles – groupe B (8.Liga)
Samstag, 18. Februar 2023, 19.45 Uhr
Anderlecht, Stade Jean Rousseau
Beim ersten Brüssel-Besuch meines Lebens vor zwei Monaten war die belgische Hauptstadt eigentlich nur Beiwerk, doch an diesem Wochenende steht sie deutlich mehr in meinem Fokus. Und darum geht es auch stilecht mit dem Thalys zum Bahnhof Bruxelles-Midi bzw. Brussel-Zuid. Thalys ist ein gemeinsames Bahnunternehmen der französischen SNCF, die mit rund 55 Prozent die Mehrheitsanteile besitzt, der belgischen SNCB, der britischen Patina Rail und der kanadischen Rentenkasse CDPQ (aus dem französischsprachigen Teil Quebec), der es natürlich rein um Rendite geht. Kerngeschäft von Thalys ist es, im Halbstundentakt eine Verbindung zwischen Brüssel und Paris anzubieten, womit dies die am dichtesten getaktete und zugleich schnellste Schienenverbindung zwischen zwei europäischen Hauptstädten ist – sogar noch besser als bei Wien–Bratislava, obwohl die Entfernung von Brüssel nach Paris mehr als viermal so groß ist. Ursprünglich saß auch die Deutsche Bahn bei Thalys mit im Boot, weshalb es auch Thalys-Verbindungen zwischen Brüssel und Köln bzw. dem Ruhrgebiet gibt. Seitdem teilen sich Thalys und der deutsche ICE im stündlichen Wechsel die Verbindungen zwischen Deutschland und Brüssel. Knackpunkt: Thalys-Tickets gelten nicht bei der DB, DB-Tickets nicht im Thalys. Verpasst man also seinen Zug, kann man nicht einfach eine Stunde später in den nächsten Zug nach Brüssel einsteigen, sondern muss satte zwei Stunden warten, bis der nächste ICE respektive Thalys kommt. Da wird auch bei Verspätungen und Zugausfällen keine Kulanz gewährt. Damit ist klar, weshalb ich mich an der Dürener Westkampfbahn von einem Taxi abholen lassen muss, um mit der Regionalbahn rechtzeitig in Aachen zu sein, denn wenn ich dort den Thalys verpassen würde, müsste ich zwei Stunden auf den nächsten Warten und damit vom Spiel von Olympic Anderlecht keine einzige Sekunde sehen. Optisch wirkt der Thalys eleganter als der ICE, allerdings sind Gänge und Toiletten viel enger und kleiner, weshalb mir der ICE deutlich sympathischer ist. Aber war mal nett, mit dem Thalys gefahren zu sein. Entscheidend ist, dass er pünktlich am Brüsseler Südbahnhof ankommt, dem größten und modernsten der drei Hauptbahnhöfe. Und erfreulicherweise hält sich die Verspätung so sehr im Rahmen, dass ich nur die ersten drei Minuten im Stade Jean Rousseau verpasse. Über die Besonderheiten Brüssels hatte ich mich ja schon vor zwei Monaten ausführlich ausgelassen, aber noch einmal in Kürze: Das, was wir in Deutschland als Brüssel bezeichnen, ist die sogenannte zweisprachige Hauptstadtregion Brüssel, die aus dem vergleichsweise kleinen Brüssel (200.000 Einwohner) und 18 weiteren Gemeinden besteht. Zusammen haben sie 1,2 Millionen Einwohner und bilden die Hauptstadtregion Brüssel, zu neben Flandern und Wallonien eine der drei Landesteile Belgiens ist. Die Hauptstadtregion war bis ins 19. Jahrhundert hinein überwiegend flämischsprachig, ist aber heute überwiegend französischsprachig. Offiziell ist sie zweisprachig und diese Zweisprachigkeit wird auf wirklich jedem Verkehrsschild, jedem Fahrplan und jeder Hausordnung gebetsmühlenartig durchgezogen. Als Bindeglied zwischen Flandern und Wallonien achtet die Hauptstadtregion mit fast schon religiösem Eifer darauf, unter keinen Umständen eine der beiden Sprachgruppen zu bevorzugen, was in der Praxis oft sehr überzogen wirkt. Eine der 19 Hauptstadt-Gemeinden ist auch Anderlecht (125.000 Einwohner), das am Brüsseler Südbahnhof beginnt und quasi den gesamten zentralen Westen der Hauptstadtregion bildet. Anderlecht ist eine der wenigen Hauptstadt-Gemeinden, die in beiden Sprachen den gleichen Namen hat und für die es somit nicht diese typische Doppel-Schreibweise gibt. Vom Klang her ist Anderlecht ganz klar flämisch, aber das gilt für viele Orte und Bezeichnungen in der Hauptstadtregion, schließlich war die ja wie gesagt ursprünglich überwiegend flämischsprachig. Mich wundert hingegen, dass Olympic Anderlecht nicht die französischsprachige Bezeichnung Olympique trägt und sie nicht einmal zusätzlich mit im Namen führt, sondern sich einen rein flämischen Namen gibt, obwohl ich hier heute Abend nicht einziges Mal Flämisch gehört habe. Das ist wirklich ein rein französischsprachiger Verein – wie fast alle in der Hauptstadtregion. Zu bieten hat man ein nettes Tribünchen mit Windmühle im Hintergrund und natürlich ein typisch belgisches Vereinsheim, das Dreh- und Angelpunkt für die Zuschauer ist und dank großer Fensterfronten eine gute Sicht aufs Spielfeld bietet. Alles ein bisschen heruntergekommen, genau wie man es erwartet in Belgien, dem Tschechien des Westens. Trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit ist nach dem Spiel im Brüsseler Stadtzentrum noch ein Friterie-Besuch drin, ehe ich mich in mein Hotel mit dem eigenwilligen Namen Stalingrad zur Nachtruhe begebe.