Ungarn, Baranya I. osztály U16
Sonntag, 13. November 2022, 11.30 Uhr
Bóly, Bólyi Sporttelep
Der Sonntag beginnt wie der Samstag – beschissen. Heute ist es aber keine Zugverspätung, die mir einen Strich durch die Rechnung macht, sondern der Spielplan. Ursprüngliches Vorhaben: 13 Uhr Anpfiff bei Drittligist PTE-PEAC im endgeilen Stadion mit der alten Holztribüne hinterm Hauptbahnhof von Pécs, dann um 17 Uhr Anpfiff beim Zweitligisten im Vorort Kozármisleny, der den vierfachen Meister Győri ETO empfängt. Völlig easy kombinierbar. Kurz vor Antritt der Reise dann die erste Hiobsbotschaft: Anpfiff in Kozármisleny von 17 auf 15 Uhr vorgezogen. Mit Taxi und viel Stress trotzdem noch kombinierbar. Erst im Zug erfahre ich dann, dass PTE-PEAC gegen die zweite Mannschaft von Ferencváros im großen Stadion des PMFC spielt. Überhaupt scheint man in dieser Saison überwiegend dort zu spielen. Europlan liegt da mal wieder falsch. Was also machen? Im Vorfeld war mir schon die Bólyi SE aufgefallen, beheimatet im gut 30 Kilometer von Pécs entfernten Bóly. Denn: Die lässt heute Vormittag sowohl ihre A- als auch B-Jugend antreten. Der Anstoß um 9.30 Uhr bei der U19 war zwar fernab jeder Vorstellung, weil zu der frühen Uhrzeit ab Budapest überhaupt nicht zu erreichen. Aber das Heimspiel der U16 (in Ungarn gibt es auf Komitat-Ebene keine U17) mit Anstoß um 11.30 Uhr passt gut und lässt sich sogar per Überlandbus mit dem Zweitligaspiel in Kozármisleny kombinieren. Aber wie von Pécs nach Bóly kommen? Es gibt zwar eine Busverbindung, allerdings würde ich mit der erst zur Halbzeit im Park utcai Stadion von Bóly aufschlagen. Das geht ja allein deshalb schon nicht, weil die B-Jugend in Ungarn nur 2x40 Minuten spielt. Also in den sauren Apfel beißen und direkt nach Ankunft in Pécs (fünftgrößte Stadt Ungarns) die Taximafia konsultieren. Immerhin spielt da der schwache Forint-Kurs in die Karten. Der erste Opa in der Taxi-Schlange macht mit 12.500 Forint (ca. 31 Euro) gleich das beste Angebot, aber leider setzt sich während der Verhandlung einfach eine Frau ins Taxi und der Typ braust ab. Den meisten Fahrern ist die Strecke zu lang, der BMW-Protzer ruft 20.000 Forint auf, andere wollen nur Euro, aber mit einem alten Oppa komme ich für 14.000 Forint (35 Euro) ins Geschäft. Fast viermal so teuer wie der Zug für die 200-Kilometer-Strecke von Budapest nach Pécs. Mangels Fremdsprachenkenntnis wird die Verhandlung mit der Enkelin via Handy geführt. Dann aber los. Der Opa spart sich natürlich die Autobahnmaut und fährt Landstraße. Ortskenntnisse sind auch keine vorhanden, so dass ich ihn mit Google Maps und meinen paar Brocken Ungarisch zum Ground lotsen muss, wo wir pünktlich zum Anstoß ankommen. Ich bin definitiv der einzige Zuschauer, der mit dem Taxi anrückt – und genau so schauen die Leute auch bei meiner Ankunft. Egal, wichtig ist nur, dass der Ball rollt. Und wie! Die Gästemannschaft wird wirklich krass mit einem 13:0 vermöbelt. Stadion ist auch ein Traum und entschädigt für den ganzen Stress. Ein Glück, dass ich nach Abpfiff noch eine Stunde Zeit habe, bis der Bus nach Kozármisleny fährt, denn so habe ich noch etwas Zeit für das 4.000-Einwohner-Städtchen. Bóly (eigentlich Németbóly; zu Deutsch: Deutsch-Bohl) war bis zum Zweiten Weltkrieg mehrheitlich von Deutschen bewohnt. Präziser: von Österreichern. So liegt hier auch der letzte Obersthofmeister von Kaiser Franz-Josef begraben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die deutschstämmigen Einwohner vertrieben, doch es gibt noch immer (oder wieder) eine deutsche Minderheit in Bóly. Das merkt man unter anderem an den zweisprachigen Straßenschildern. Am überraschend modernen Busbahnhof hängen zudem Plakate von der deutschen Minderheit mit der Aufforderung, sich bei der diesjährigen Volkszählung als Deutschungar zu bekennen. Überhaupt ist das nahe dem Dreiländereck mit Serbien und Kroatien gelegene Bóly überraschend gut in Schuss. Definitiv kein armes Städtchen! Der kleine Supermarkt am Busbahnhof hat auch sonntags geöffnet, so dass für die anschließende Busfahrt nach Kozármisleny sogar noch ein Bierchen herausspringt.