Samstag, 22. Februar 2020, 14.30 Uhr
Essen, Stadion am Uhlenkrug
Nach dem Aperitif bei der A-Jugend vom VfL Bochum wird nun zum Hauptgang ein echter Leckerbissen des deutschen Fußballs serviert: Schwarz-Weiß Essen, DFB-Pokal-Sieger von 1959. Der ETB, wie er eigentlich nur genannt wird, ist quasi das Gegenstück zu Rot-Weiß Essen. Auf der einen Seite der rote Arbeiterverein, der die Massen mobilisiert, auf der anderen der etwas erlesenere Club, der sich mithilfe von Gönnern über Wasser hält – auch wenn das ein bisschen vereinfacht ist. Ende der 1950er-Jahre erlebte der Verein seine Blütezeit, stieg in die 1. Liga auf und gewann wie gesagt 1959 den DFB-Pokal. Auf dem Weg ins Finale, das übrigens in Kassel ausgetragen wurde, eliminierte der Essener Turnerbund unter anderem den Hamburger SV mit Uwe Seeler. Dumm nur, dass in der gleichen Phase auch Rot-Weiß Essen seine Blütezeit erlebte. 1955 wurde der Stadtrivale deutscher Meister und war somit erster deutscher Teilnehmer des im gleichen Jahr eingeführten Europapokals der Landesmeister. Ausgeschlossen, dass sich in einer Stadt wie Essen gleich zwei Vereine über einen längeren Zeitraum auf diesem Niveau halten können. Schwarz-Weiß blieb in den 60ern und 70ern zumindest noch zweitklassig, finanziell geriet der Verein aber immer mehr in Schieflage. 1973 musste mit dem bis dato vereinseigenen Stadion am Uhlenkrug zunächst das Tafelsilber an die Stadt Essen verkauft werden, 1978 verzichtete der ETB freiwillig auf seine Lizenz und stieg aus der 2. Bundesliga ab – was aber sportlich ohnehin der Fall gewesen wäre. Der leicht bizarre Grund für den Konkurs: Präsident und Gönner Wolfgang Schmitz ließ sich von seiner Frau scheiden, so dass kein Geld mehr für den Verein übrig blieb. Rot-Weiß rettete Schwarz-Weiß finanziell den Arsch, dafür musste aber Schwarz-Weiß eine Verpflichtung unterschreiben, in den kommenden Jahren auf die 2. Bundesliga zu verzichten und obendrauf die besten Spieler an Rot-Weiß abgeben. Auch nicht schlecht: In den 80ern kündigte Schwarz-Weiß rotzfrech die Verpflichtung und stand in der Saison 1984/98 kurz vor der Rückkehr in die 2. Bundesliga. Das Kopf-an-Kopf-Rennen um den Aufstieg in der damals drittklassigen Oberliga Niederrhein lieferte sich der ETB ausgerechnet – und das kann man sich eigentlich gar nicht ausdenken – mit Rot-Weiß Essen, das inzwischen auch in die 3. Liga abgestiegen war. Meister Rot-Weiß hatte am Ende vier Punkte Vorsprung vor Vizemeister Schwarz-Weiß. Damit war die Machtfrage in Essen allerdings endgültig geklärt, der Turnerbund kam nie wieder nach oben. Fast noch interessanter: Seit dem Abstieg aus der 2. Bundesliga in der Saison 1977/78 ist Schwarz-Weiß noch nie auf- oder abgestiegen. Das dürfte in Deutschland einmalig sein. Zwar wurde aus der Oberliga Niederrhein durch verschiedene Liga-Reformen von der damals 3. Liga zur heute 5. Liga und dann gab es da auch mal vier Jahre lang die sogenannte NRW-Liga, aber stets konnte der ETB die Klasse halten. Finanziell düster schien es allerdings in der Winterpause 2012/13 zu werden: Schwarz-Weiß gab im Dezember 2012 seine Zahlungsunfähigkeit bekannt und wollte einen Insolvenzantrag stellen, doch innerhalb weniger Tage fanden sich genügend Gönner zusammen, so dass der Antrag bereits im Januar 2013 wieder zurückgezogen wurde. Seinen Ruf als Verein der Essener Oberschicht hat sich der ETB also auch im 21. Jahrhundert bewahrt. Die Eindrücke, die wir beim heutigen Heimspiel gegen Union Nettetal gewinnen, passen da ganz gut ins Bild. Offiziell 220 Zuschauer werden vermeldet – und damit ist es schon eines der besserbesuchten Heimspiele in dieser Saison. So richtige Malocher-Typen, wie sie einem bei Rot-Weiß Essen in ganz heftiger Konzentration über den Weg laufen, findet man beim ETB nicht, Lackschuhträger mit Zylinder auf dem Kopf und Monokel im Auge aber natürlich auch nicht. Es herrscht eine überaus sympathische Atmosphäre, was schon beim freundlichen Plausch mit dem Kartenverkäufer anfängt. Kult: Der hält offenbar inhaltlich nicht viel vom Stadionheft, preist es aber als gute Unterlage an, wenn man sich hinsetzen möchte. Typen, wie man sie wohl nur im Ruhrpott findet. Das 1922 gebaute Stadion, das einst 45.000 Zuschauer gefasst hat, ist wie erwartet eine ziemliche Wucht. Wie könnte das bei einem fast 100 Jahre alten Stadion auch anders sein? Überall gibt es etwas zu entdecken, der Zustand ist nicht mehr der beste, was die Sache umso interessanter macht. Leider sieht das die Stadt Essen nicht so, die dem Stadion wohl wenig Zukunftschancen einräumt und derzeit laut über einen Neubau an einem anderen Standort nachdenkt. Eine aktive Fanszene gibt es beim ETB nicht mehr, auch wenn an der Haupttribüne noch ein Schwarzes Brett des früheren Fanclubs hängt. Passend zum Ruf des Vereins ist das Vereinsheim piekfein und da wir im Anschluss sowieso nichts mehr vor haben, nutzen wir die Gunst der Stunde, versumpfen hier bis in den Abend hinein und tauchen ein wenig ein in den schwarz-weißen Kosmos, der sich irgendwo zwischen rauem Amateurfußball, altem Glanz und ein bisschen Essener Schickeria abspielt.