Istanbul Başakşehir FK – Galatasaray SK 1:1

Türkei, Süper Lig (1. Liga)
Samstag, 15. Dezember 2018, 19 Uhr
İstanbul, Başakşehir Fatih Terim Stadı

Klimabedingt wird Deutschland über den Jahreswechsel auch diesmal wieder für ein paar Wochen verlassen und zusammen mit der Freundin die Flucht in Richtung Süden angetreten. Frost und Schnee sind einfach nicht mein Fall. Nach reifer Überlegung fällt die Wahl schließlich auf die Türkei. T-Shirt-Wetter herrscht dort im Dezember und Januar zwar auch nicht, aber dafür rollt der Ball. Die Regentschaft von Recep Tayyip Erdoğan hat unlängst aber auch im türkischen Fußball deutliche Spuren hinterlassen, womit bei Weitem nicht nur das an sich sympathische Verbot des Wortes „Arena“ in Stadionnamen gemeint ist. Richtig mies ist dagegen die Einführung der Passolig, ohne die man seit der Saison 2013/14 in kein Erst- und Zweitligastadion mehr kommt. Ohne Pardon. Die Passolig ist eine Kreditkarte mit aufgedruckten Passfoto und Logo des Lieblingsvereins des Inhabers. Auf sie werden sämtliche Eintrittskarten geladen, die man kauft. An Lesegeräten an den Stadioneingängen wird die Passolig dann gescannt und die Drehkreuze öffnen sich. Betrieben wird das Passolig-System von der türkischen Aktif Bank, die damit quasi das Monopol auf den Kartenverkauf hat. Reiner Zufall natürlich, dass Berat Albayrak zum Zeitpunkt der Passolig-Einführung der Chef der Aktif Bank war. Er ist der Schwiergersohn von Erdoğan und inzwischen Energieminister der Türkei. Genauso zufällig war die Aktif Bank übrigens auch in den großen Korruptionsskandal von 2013 verwickelt, bei dem höchste türkische Kreise (darunter auch Minister) krumme Öl- und Gold-Geschäfte mit dem Iran gemacht haben. Erdoğan strickte daraus eine angeblich riesige Verschwörung gegen ihn, hinter der der türkische Islam-Gelehrte Fethullah Gülen steckt, der seit 1999 in den USA im Exil lebt. So wie bei Erdoğan halt immer entweder Gülen oder aber die Kurden an allem Schuld sind. Brauchen wir hier an der Stelle aber nicht weiter drüber sprechen, denn in Deutschland kann ja und wird auch über dieses Thema offen diskutiert. Spannender ist da schon die Frage, wie das eigentlich genau mit der Passolig funktioniert und wie die einzelnen Schritte von der Bestellung bis hin zum Stadionbesuch ablaufen. Es ist mitunter richtig kompliziert und da ich der türkischen Sprache nicht mächtig bin, bei einigen Schritten aber auf eine englische Version verzichtet wurde, bin ich fast verzweifelt. Mein Glück war, dass die Reisegruppe Wolfsburg vor drei Wochen ebenfalls in der Türkei unterwegs war und mir dadurch sehr unter die Arme gegriffen wurde. Man beantragt also über die Passolig-Homepage (https://www.passolig.com.tr/; in englischsprachiger Version verfügbar) seine eigene Karte, lädt ein Passfoto hoch und gibt seine Kreditkarten-Daten an, damit die fällig Gebühr von 15 Lira (2,50 Euro) bezahlt werden kann. Die Aktif Bank muss schließlich auch irgendwie leben, habibi. An dieser Stelle muss ebenso der Lieblingsverein angegeben werden, wobei es auch die Möglichkeit gibt, sich als neutraler Fan auszugeben. Das kann bei gewissen Spielen Nachteile haben, aber dazu später mehr. Die Bearbeitungszeit wird mit 15 Tagen angegeben. Nach dieser Zeit kann man seine Passolig an einem Stadion seiner Wahl abholen. Auch dieses Stadion muss man bereits bei der Beantragung benennen. In einem zweiten Schritt sollte man sich die Passolig-App herunterladen. Nachteil: Es gibt sie nur auf Türkisch. In der App sind alle Erstliga-, Zweitliga- und Pokalspiele der kommenden Tage aufgelistet. Sobald Tickets für ein Spiel erhältlich sind, erscheint ein „Satin al“-Button, über den man die Tickets ordern kann. Die App prüft automatisch, ob man die Berechtigung hat, für dieses Spiel Tickets zu kaufen. Hat man sich als neutraler Fan registrieren lassen, kann man für die Ligaspiele der großen Vereine oft erst am Spieltag selbst ein Ticket kaufen – sollte es noch Restkarten geben. Bis dahin haben die Passolig-Inhaber des jeweiligen Vereins ein Vorkaufsrecht. In der App ist ein Plan aller Stadien hinterlegt, so dass man auch ohne Türkisch-Kenntnisse gut erkennen kann, für welchen Block man Tickets kauft. Wer nicht alleine unterwegs ist, kann über die App auch mehrere Tickets gleichzeitig buchen, damit man nebeneinander oder zumindest im gleichen Block sitzt. Dafür muss die Passnummer der Mitfahrer in der App angegeben werden, wodurch die App auch in diesem Fall feststellen kann, ob die Mitfahrer eine Kaufberechtigung haben. Über die App kann man ebenso Geld von seiner eigenen Kreditkarte auf die Passolig transferieren und die Tickets bezahlen. Am Stadion hält man dann die Passolig in das Lesegerät und das Drehkreuz öffnet sich. Alternativ kann man auch die App in das Lesegerät halten, muss dafür aber online sein. Problem: In der Türkei gibt es praktisch nirgendwo ein offenes W-Lan. Es ist internetmäßig ein Vierte-Welt-Land. Und das ist auch nicht das einzige Problem mit der Passolig, denn in der Praxis klappt manches nicht, was in der Theorie klappen sollte. Ich habe gleich zwei Passoligs auf einmal beantragt – eine für mich und eine für meine Freundin. Da ich ja sowieso den ganzen organisatorischen Kram für uns mache, habe ich bei beiden Passoligs die gleiche Handynummer und die gleiche E-Mail-Adresse angegeben. Das wurde zwar bei der Beantragung anstandslos akzeptiert, jedoch nicht mehr in der App. Der Versuch, die Daten meiner Freundin zu ändern, führte ins Chaos. Über die Facebook-Seite der Passolig wurde ich an eine Hotline in der Türkei verwiesen, die theoretisch zweisprachig ist. Nach dem „press 2 for English“ und meiner Frage „Do you speak English?“ wurde aber nur pampig mit „No“ geantwortet und aufgelegt – und zwar bei allen drei Versuchen an drei verschiedenen Tagen. Sympathisch, diese Aktif Bank. Nachdem also schon die Planungsphase mit diesem ganzen Passolig-Klimbim extrem nervig war, sollte es vor Ort noch doller kommen. Wenige Stunden nach der Landung in Istanbul steht mit Başakşehir gegen Galatasaray gleich das erste Spiel auf dem Programm und damit auch die Abholung der Passolig am Fatih Terim Stadı. Vorab war es nicht möglich, über die App Karten für dieses Spiel zu kaufen, da mir mit meiner neutralen Passolig die Berechtigung fehlte. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht so ganz mit dem System vertraut bin und ich ja sowieso zum Stadion muss, um unsere Passoligs abzuholen, fahren wir also mal auf gut Glück raus nach Başakşehir, wo am äußersten Ende Istanbuls im Juli 2014 das Fatih Terim Stadı eingeweiht wurde. Was sich dort allerdings am Kassenhäuschen abspielt, habe ich in der Form noch nie erlebt. Stolze 45 Minuten lang diskutiere ich mit dem halben Personal vom Kassenhäuschen und am Ende werde ich beinahe von der Polizei abgeführt, weil es zu hitzig wird. Zunächst heißt es lapidar und mit völliger Gleichgültigkeit, dass unsere bereits vor 6 Wochen bestellten Passoligs nicht da seien und wir halt nächste Woche noch einmal wiederkommen sollen. Mein Einwand, dass wir nächste Woche gar nicht mehr in Istanbul sein könnten und wir in den nächsten Tagen weitere Spiele besuchen wollen, für die wir die Passolig brauchen, wird ebenfalls mit völliger Gleichgültigkeit kommentiert. Ein Faustschlag gegen das Sicherheitsglas bringt dann wenigstens etwas Unruhe ins Kassenhäuschen und führt zu mehr Aufmerksamkeit, so dass man sich wenigstens erbarmt, mal in den Computer zu schauen. Ja, tatsächlich, die Passoligs sollten hier am Stadion hinterlegt sein – sind sie aber nicht. Es dauert dann aber immer noch fast eine halbe Stunde, in der reichlich Schimpfwörter ausgetauscht werden, bis man uns freundlicherweise vorläufige Passoligs ausstellt. Die sind neun Tage gültig, also bis Heiligabend. Reicht vollkommen, weil ab dem 25. Dezember ist eh Winterpause. Bleibt nur noch die Frage, wie wir hier heute Abend ins Stadion kommen, aber dann werden – zumal das Spiel bereits begonnen hat – nach weiteren 15 Minuten Diskussion einfach die Jalousien vom Kassenhäuschen heruntergelassen. Es bleiben nur noch die unzähligen Schwarzmarkthändler, die uns ebenfalls schon seit 45 Minuten penetrant umlagern. 200 Lira (ca. 33 Euro) wollen sie für die billigste Karte. Karte ist jedoch der falsche Begriff, denn in Zeiten der Passolig funktioniert das Spielchen so: Man gibt dem Kerl die Kohle, der tippt auf seinem Handy herum und transferiert die Tickets auf Deine Passolig, die Du dann am Stadioneingang unter den Scanner hälst. Ob der Transfer geklappt hat oder man da nicht einfach tierisch übers Ohr gehauen wurde, erfährt man wohl erst dort. 66 Euro für zwei Tickets in ein System zu investieren, das ich noch nicht kenne und das völlig undurchsichtig wirkt? Am Arsch geleckt! Schnauze voll, es ist eh gleich Halbzeit. Das ganze Hick-Hack um den Eintritt hat allerdings politische Gründe, denn Başakşehir ist der Erdoğan-Verein. Gegründet wurde er 1990 vom damaligen Istanbuler Bürgermeister Nurettin Sözen unter den Namen Büyükşehir Belediyespor. Er war quasi der Werksverein der Stadtverwaltung und spielte daher in der Vereinsfarbe Orange, die auch in der Türkei die Müllmänner tragen. Schon damals war er nicht sonderlich populär in der Stadt. Umso kurioser war es, dass Büyükşehir Belediyespor im großen, mehr als 80.000 Zuschauer fassenden Olympiastadion spielte. Ich selbst hatte im Januar 2007 die Ehre, dort ein Heimspiel vor 300 Zuschauern zu sehen. Es war gespenstisch. Dass der Verein in die 1. Liga aufstieg, spielte Erdoğan sehr in die Karten. 2013 kam es zu den berühmten Protesten im Istanbuler Gezi-Park, der von den Ultras der drei großen Istanbuler Vereine (Beşiktaş, Galatasaray und Fenerbahçe) angeführt wurde. Erdoğan erkannte, dass diese Vereine und vor allem ihre Kurven eine ernsthafte Gefahr für seine Regentschaft darstellen könnten. Sein Ziel daher: Weitere Istanbuler Erstligisten erschaffen, die politisch auf seiner Seite stehen und einen Gegenpol zu den drei Großen bilden. Büyükşehir Belediyespor wurde also in den Stadtteil Başakşehir verpflanzt, bekam einen neuen Namen und ein super-modernes Stadion. Geblieben ist zwar die Vereinsfarbe Orange, ansonsten ist aber alles auf Erdoğan zugeschnitten. Sogar die Rückennummer 12 wird nicht mehr vergeben, weil der umstrittene Staatspräsident ein solches Trikot bei der Stadioneinweihung trug. Ganz schön schrullig. Das Problem: Keiner will den Verein sehen. Obwohl man die Süper Lig mittlerweile dominiert und aktuell Tabellenführer ist, bleibt das Stadion leer. Heute gegen Galatasaray würde es voll werden, allerdings mit Galatasaray-Fans – und das kann man sich nicht erlauben. Dieses Prestige-Objekt darf kein Auswärtsspiel im eigenen Stadion haben. Da lässt man das Stadion lieber leer. Es kommen also nur die Leute ins Stadion, die eine Başakşehir-Passolig besitzen. Nicht einmal mit einer neutralen Passolig kommt man ins Stadion. Feines System, das sich die Aktif Bank da ausgedacht hat. Ein Hinweis noch an die Leute, die sich jetzt sagen, dass man sich dann halt eine zweite Passolig kaufen soll: Das geht nicht. Man muss bei der Beantragung die Passnummer angeben. Bei der Abholung der Passolig muss der Reisepass vorgezeigt werden und die Daten werden abgeglichen. Eine zweite Passolig ist nur dann möglich, wenn man einen zweiten Reisepass besitzt.