Deutschland, 2. Bundesliga (2. Liga)
Montag, 24. April 2017, 20.15 Uhr
Stuttgart, Neckarstadion
Seit 1925 – also bereits 13 Jahre
nach der Vereinsgründung – trägt der VfB Stuttgart einen
Brustring auf seinem Trikot. Nur ein einziges Mal wich man von
dieser Tradition ab und lief in der Saison 1975/76 ohne sein
Markenzeichen auf. Prompt erlebte der VfB die schlechteste Saison
seiner Vereinsgeschichte, die man lediglich auf dem elften Platz in
der erst ein Jahr zuvor eingeführten 2. Bundesliga abschloss.
Teilweise kamen nur knapp über 1.000 Zuschauer zu den Heimspielen
ins Neckarstadion. Man sollte meinen, dass seitdem das Herumdoktern
am Brustring ein absolutes Tabu beim VfB ist, doch mit Beginn der
Saison 2015/16 wurden die tapferen Schneiderlein von Puma wieder
aktiv: Der Brustring umschließt nun wie zuletzt zu Beginn der
70er-Jahre das gesamte Trikot einschließlich der Rückennummer und
nicht mehr nur den vorderen Bereich der Spielkleidung. Bilanz am Ende der Saison: Abstieg in die 2. Bundesliga. Natürlich schwingt da ein Stück Aberglaube
mit, letztendlich ist die Schuld für den erst dritten
Zweitligabstieg seit Vereinsgründung im Jahr 1912 aber ganz klar bei der
Clubführung zu suchen, die den Verein nach einer überaus
erfolgreichen Ära (deutscher Meister 1992 und 2007, Vizemeister
2003, DFB-Pokalsieger 1997, Europapokalfinale 1998) mit dubiosen
Entscheidungen innerhalb nur weniger Jahre zum
Dauerabstiegskandidaten gemacht hat. Allein 13 Trainerwechsel seit
dem Titelgewinn 2007 sprechen für sich. Die Saison in der 2.
Bundesliga sollte aus Sicht vieler VfB-Fans somit sportlich und
vereinspolitisch eine reinigende Funktion haben. Für Nicht-VfB-Fans bietet sie zudem die Gelegenheit, mal wieder mit etwas
höheren Erwartungen in puncto Stimmung ins Neckarstadion gehen zu
können, wirken sich doch Zweitligaabstiege aufgrund sinkender Zuschauerzahlen häufig positiv auf die
Entwicklung einer Kurve aus. Dem VfB tat der Abstieg aus der Sicht
somit sehr gut, war doch der Prozentsatz an Eventfans im
Neckarstadion in den vergangenen Jahren vergleichsweise hoch. Das
liegt vor allem an der Besonderheit, dass der VfB die Saison 2006/07
– also die erste Saison nach der Fußball-WM in Deutschland, die
bundesweit einen enormen Umbruch bei der Zusammensetzung des
Stadionpublikums nach sich zog – als deutscher Meister beendete. Das „Sommermärchen“
ging in Stuttgart also zwölf Monate länger, von
schwarz-rot-gold wurde auf weiß-rot gewechselt. Das zeigt sich auch beim
Zuschauerschnitt im Neckarstadion: Vor der Saison 2006/07 lag der lediglich
ein einziges Mal knapp über 40.000, ansonsten stets darunter.
Selbst in der Vizemeister-Saison 2002/03 lag der Schnitt bei gerade einmal 31.251 Zuschauern, seit 2007 wiederum lag er nur zweimal unter 50.000,
obwohl der VfB meist gegen den Abstieg spielte. Das wirkt sich
natürlich auf die Stimmung aus: Zwar ist die Cannstatter Kurve
seither gut gefüllt, was sie optisch – nicht zuletzt bei den
starken Choreographien und Fahnenmeeren – wesentlich besser
dastehen ließ als sie akustisch ist. Nun also die Zweitligasaison,
die aber aufgrund der konstant hoch bleibenden Zuschauerzahl das
Problem nicht wirklich entschärft. So ist das Neckarstadion auch im
Spitzenspiel gegen Union Berlin mit offiziell 60.000 Zuschauern
ausverkauft – auch wenn es im und um den Gästeblock noch einige
freien Lücken gibt. Die Überraschung ist nicht allzu groß, dass
aufgrund dieser Parameter kein wirklicher Unterschied zu den jüngsten
Erstligazeiten erkennbar ist. Heißt: Optisch sieht das phasenweise ganz gut aus,
richtig laut wird’s aber nur, wenn das gesamte Stadion mit in die
Gesänge einsteigt, wobei die restlichen Stadionbereiche aber durch das begleitende monotone
Klatschen die Gesänge wieder ein Stück kaputt machen. Auch die 3.000
Ostberliner – darunter aber zahlreiche Umland-Ossis – bleiben
während dem Spiel meist hinter den Erwartungen zurück, sorgen dann
aber zehn Minuten vor dem Abpfiff für echte Gänsehaut-Atmosphäre:
In einer Dauerschleife wird mit Blick auf den durch die Niederlage
verspielten Aufstieg bis weit nach Abpfiff „Always look on the
bright side of life“ gesungen. Und zwar mit einem Enthusiasmus, als
habe man gerade den Europapokal gewonnen. Zu wünschen bleibt dem
VfB, dass die drohende Ausgliederung der Fußballabteilung in eine
AG, über die die Mitglieder am 1. Juni abstimmen, verhindert werden
kann. Es erinnert an diktatorisch geführte Staaten, mit welch
hinterlistig geprägter Propaganda die Vereinsführung die Mitglieder
für die erforderliche Dreimittelmehrheit gewinnen will. Geld spielt
dabei keine Rolle, schließlich steht mit dem Daimler bereits ein
potentieller Investor für den Fall der Ausgliederung bereit, der mit
mehr als 40 Millionen Euro einsteigen will. Unter anderem werden
ehemalige Spieler wie Sami Khedira mobilisiert, die für die
Ausgliederung werben, und jedes Mitglied, das zur Abstimmung kommt,
bekommt ein Trikot geschenkt. Folgerichtig hagelt es in letzter Zeit
Spruchbänder der Cannstatter Kurve zu diesem Thema, auch heute wird
Stellung bezogen mit den beiden Spruchbändern „Die Mitglieder
sollten die Meinung des Vereins bilden und nicht umgekehrt“ und
„Eure Propaganda kotzt uns an“