FC Eisenhüttenstadt – FSV Glückauf Brieske/Senftenberg 0:1

Deutschland, Landesliga Brandenburg – Staffel Süd (7.Liga)
Samstag, 17. Juni 2023, 15 Uhr
Eisenhüttenstadt, Stadion der Hüttenwerker – Platz 2

Mit dem E-Bike geht es nach dem Abpfiff beim FSV Dynamo wieder zurück zum Stadion der Hüttenwerker, wo ich wie befürchtet kein Glück habe: Das Landesliga-Heimspiel gegen den FSV Glückauf Brieske/Senftenberg findet entgegen der Ankündigung nur auf dem Nebenplatz statt. Aber ehrlicherweise schießt mir relativ schnell der Gedanke durch den Kopf: Eigentlich cool, denn dann muss ich noch einmal nach Eisenhüttenstadt kommen – denn diese Stadt hat es mir irgendwie angetan. Kurzer Blick in die Vereinsgeschichte: Eisenhüttenstadt gibt es wie erwähnt erst seit dem SED-Beschluss von 1950. In der Nähe der Planstadt befand sich das Städtchen Fürstenberg, das es bereits seit dem Mittelalter gibt und mit dem sich 1961 die zuvor Stalinstadt genannte Planstadt zu Eisenhüttenstadt vereinigte. Der ebenfalls 1950 gegründete Fußballverein nannte sich daher zunächst Stahl Fürstenberg, da die Planstadt zu dem Zeitpunkt noch keinen Namen hatte. 1953 folgte die Umbenennung in Stahl Stalinstadt und 1961 schließlich in Stahl Eisenhüttenstadt. Obwohl Eisenhüttenstadt ein solch wichtiger Industriestandort der DDR war und man das Hüttenwerk (größtes Metallurgiekombinat der DDR) als Trägerbetrieb hatte, spielte Stahl Eisenhüttenstadt fast nur in der 2. oder gar 3.Liga. Lediglich 1968 gelang der Aufstieg in die DDR-Oberliga (1.Liga), aus der man aber sofort wieder abstieg. 1970 folgte ein Fußball-Skandal in der DDR, denn Stahl Eisenhüttenstadt wurde überführt, zu hohe Gehälter an Spieler und Trainer zu zahlen – ein Unding im sozialistischen Fußball. Man wurde daraufhin in die 3.Liga strafversetzt. Seine Sternstunde erlebte Stahl Eisenhüttenstadt in der Wendezeit: Zwar fiel im November 1989 die Berliner Mauer und am 3. Oktober 1990 folgte die Wiedervereinigung, doch da im Sommer 1990 die DDR noch offiziell existierte, startete sie eine letzte eigene Saison unter dem Wappen mit Hammer und Zirkel (und dann übergehend in den NOFV). Diese Saison zog sich natürlich bis in das Jahr 1991 hinein und am 2. Juni 1991 fand das letzte Finale des FDGB-Pokals statt, also dem Pokalwettbewerb der DDR, der nach dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund benannt war. Und in eben dieses Pokalfinale zog überraschenderweise Stahl Eisenhüttenstadt ein, was man wohl nur mit den Wendewirren erklären kann. Die großen Ost-Vereine hatten ja längst ihre besten Spieler an die zahlungskräftigen West-Vereine verloren. Finalgegner vor lediglich 4.800 Zuschauern im Berliner Jahn-Sportpark (kein Mensch interessierte sich mehr für diesen Wettbewerb) war Hansa Rostock. Zwar unterlag Stahl Eisenhüttenstadt mit 0:1, aber da Hansa Rostock auch letzter DDR-Meister wurde, qualifizierte sich Stahl Eisenhüttenstadt damit für den Europapokal. In der DDR immer ein graues Mäuschen gewesen, in der ganzen Geschichte nur ein Jahr lang in der 1.Liga gespielt – und dann plötzlich im Europapokal. Mit Hansa Rostock und Stahl Eisenhüttenstadt gab es damit in der Saison 1991/92 zwei Vereine, die fast zwei Jahre nach dem Mauerfall die DDR noch international vertraten. Verrückt, aber organisatorisch ging es ja gar nicht anders. Hansa Rostock traf im Europapokal der Landesmeister auf den FC Barcelona und schied nach einer 0:3-Auswärtsniederlage und einem 1:0-Heimsieg aus. Stahl Eisenhüttenstadt bekam es im Europapokal der Pokalsieger mit Galatasaray zu tun und schied nach zwei Niederlagen ebenfalls in der ersten Runde aus. Ebenfalls interessant: Da es mit dem Ende der Saison 1990/91 nun jeweils zwei Meister und zwei Pokalsieger auf dem Gebiet des DFB gab, ließ dieser einen Supercup mit vier statt nur zwei Teilnehmern austragen: Deutscher Meister, DDR-Meister, DFB-Pokal-Sieger und FDGB-Pokal-Sieger. Aufgrund des Double-Gewinns von Hansa Rostock war Stahl Eisenhüttenstadt auch für diesen qualifiziert und traf im Halbfinale in Osnabrück auf Werder Bremen. Das Spiel wurde nach einem späten Tor von Wynton Rufer (89.) mit 1:0 von Werder Bremen gewonnen. Unter dem Dach des DFB konnte Stahl Eisenhüttenstadt (weiterhin unter dem alten Namen) keinen Fuß fassen und wurde für die Saison 1991/92 nur in die damals drittklassige Regionalliga eingruppiert – und das als Europapokal-Teilnehmer. 1999 musste Stahl Eisenhüttenstadt sogar den Gang in die Oberliga antreten und 2004 folgte der finanzielle Kollaps. Nach der Insolvenz ging es zunächst hinunter in die Verbands- und schließlich in die Landesliga. 2016 verschwand der Name Stahl Eisenhüttenstadt, denn nach einer Fusion mit dem 1.FC Fürstenwald tritt man nur noch unter dem Namen FC Eisenhüttenstadt an. Ein ganz besonderes Kapitel deutscher Fußballgeschichte und auch deutscher Industriegeschichte ist damit geschlossen. Dass heute nur auf dem Nebenplatz des Stadions der Hüttenwerker gespielt wird, macht mich umso trauriger, denn in dem alten Ding, das ja sogar schon Europapokal gesehen hat, hätte das alles einen viel historischeren Touch. Immerhin hat auch der Nebenplatz auf gleich drei Seiten einen kleinen Ausbau in Form von ein paar teilweise schon auseinanderbrechenden Stufen. Dass die Werbebanner mit Seilen zwischen den Bäumen festgebunden werden und direkt neben dem kleinen Verpflegungsstand ein himmelblauer Trabi parkt, macht die Sache immerhin ein bisschen charmant. Gar nicht charmant: Die Rentner-Ordner führen am Eingang Taschenkontrollen durch. In der 7.Liga! Nicht den Weg auf den Nebenplatz findet somit meine Wasserflasche, die ich mir schon mal vorsorglich für die Nacht gekauft habe. Total lächerlich. Nach dem Spiel gebe ich das E-Bike bei der Touristeninformation ab. Ebenfalls außerhalb der Öffnungszeiten und damit ein zweites Mal ein großes Dankeschön! Ich kann es nur wiederholen: Absolut herzerfrischend, wie man sich hier um Touristen bemüht! Nun zu Fuß geht es weiter zum Hotel, wobei ich am Busbahnhof von Eisenhüttenstadt vorbeikomme. Der steht gleich neben dem großen Hüttenwerk-Gelände und ist ebenfalls einen Blick wert, weil auch er total osteuropäisch wirkt und aus heutiger Sicht vollkommen überdimensioniert ist. Wie gesagt: In Eisenhüttenstadt fahren nur von Montag bis Freitag (ein paar wenige) Busse, weshalb ich mir hier ja ein Fahrrad leihen musste. Geister-Busbahnhof. Leider besteht auch in Eisenhüttenstadt das Problem, dass vielerorts in Ostdeutschland bzw. generell in Osteuropa herrscht: Die Gehwege werden frühzeitig hochgeklappt. Ein ausuferndes Nachtleben hat Eisenhüttenstadt also nicht und es ist generell schwierig, nach 22 Uhr noch etwas zu finden. Also schiebe ich eine ruhige Kugel. Ohnehin keine schlechte Idee, da es morgen zu früher Stunde mit dem Zug weiter nach Cottbus geht. Glücklicherweise befindet sich in der Nähe meines Hotels ein vietnamesisches Restaurant und da ich in Ostdeutschland ohnehin furchtbar gerne vietnamesisch essen gehe, weil Ostdeutschland durch seine vietnamesischen Gastarbeiter aus der DDR da einen ganz anderen Background hat, passt das optimal.