CB Scuol – USV Eschen/Mauren II 0:2

Schweiz, 4. Liga des Ostschweizer Fußballverbands – Staffel 1 (8. Liga)
Samstag, 5. Mai 2018, 16 Uhr
Scuol, Center da Sport Gurlaina

Ein letztes Mal geht es in dieser Saison nach Merano, denn der Abschlussspieltag der Eccellenza Trentino Alto Adige ist an Spannung kaum zu überbieten. Auf dem Weg dorthin wird protokollgemäß noch etwas Fußball konsumiert, wobei das an diesem Samstag gar nicht so leicht ist. Nichts passt so wirklich ins Konzept und da so oder so nicht gedoppelt werden kann, wird der Joker gezogen: Graubünden. Der flächenmäßig größte Kanton der Schweiz bietet zwar keinen hochklassigen Fußball (erfolgreichster Verein ist mit Chur 97 ein Fünftligist) und ist aufgrund seiner alpinen Lage verkehrsmäßig gänzlich ungeeignet, mehrere Spiele an einem Tag anzuschauen, dafür hat Graubünden aber andere Stärken, die man am besten dann genießen kann, wenn man es einmal nicht so eilig hat. Neben der bombastischen Landschaft zählt dazu die Sprachvielfalt. Graubünden ist der einzige dreisprachige Kanton der Schweiz (was ihm den Beinamen „Schweiz in der Schweiz“ eingebracht hat) und dazu der einzige Kanton, in dem Rätoromanisch gesprochen wird. Zu verdanken ist das der alpinen Lage, denn so konnte sich die vom Aussterben bedrohte Sprache, die immer mehr zugunsten von Deutsch verdrängt wird, in einigen abgelegenen Ecken halten. Kurz nach 1800 sprach die Hälfte der Einwohner Graubündens Rätoromanisch als Muttersprache, heute sind es immerhin noch 15 Prozent. Der Anteil des Deutschen ist im gleichen Zeitraum von 36 auf 75 Prozent gestiegen. Nahezu unverändert blieb in den letzten 200 Jahren mit 12 bis 15 Prozent der Anteil von Italienisch, das – ebenfalls von der geografischen Lage geschützt – in den drei südlichen Tälern Mesolcina, Bregaglia und Poschiavo gesprochen wird. Rätoromanisch hingegen wurde aus Zentral-Graubünden fast vollständig verdrängt, bildet im Westen des Kantons in der Surselva und der Großgemeinde Lumnezia (wo 2015 schon einmal vorbeigeschaut wurde: LINK) sowie im Osten im Münstertal und im Unterengadin aber nach wie vor die Sprachmehrheit. Letzteres ist mit Scuol Ziel des heutigen Ausflugs und auch da können wieder drei Superlative genannt werden: Scuol ist mit knapp 440 Quadratkilometern die flächenmäßig größte Gemeinde der Schweiz (damit halb so groß wie Berlin), mit 4700 Einwohnern der bevölkerungsreichste rätoromanischsprachige Ort der Schweiz und obendrauf ist der Bahnhof Scuol-Tarasp der östlichste der Schweiz. Hier endet damit auch das Schweizer Schienennetz – die Weiterfahrt muss beinahe schon abenteurlich mit dem Postbus über den Reschenpass nach Malles organisiert werden, wo dann das italienische Bahnnetz beginnt. Da wie gesagt ausnahmsweise massiv Zeit zur Verfügung steht, geht’s somit mit dem Zug nach Scuol und das bedeutet: eine Fahrt mit der Rhätischen Bahn. Die ist besonders für den Glacier-Express bekannt (der aber nur in Graubünden zum RhB-Netz gehört), bedingt durch die unendlich geile Landschaft ist aber wirklich jede Strecke ein Genuss. Zwei von ihnen – die Berninalinie von Sankt Moritz ins italienische Tirano und die Albulalinie von Sankt Moritz nach Thusis – sind sogar seit 2008 UNESCO-Weltkulturerbe. Für mich darf's hingegen die Vereinalinie von Landquart nach Scuol-Tarasp sein, auf der man aber ebenso die gesamten 85 Minuten Fahrt an den Fensterscheiben der Schmalspur-Waggons klebt. Neben dem Alpen-Panorama sorgen dabei auch der Beginn der rätoromanischen Sprache auf den Schildern entlang der Strecke und die urgemütlichen, oft aus Holz gebauten Bahnhöflis für Augenfreuden. Selbige setzen sich nach der Ankunft am kleinen, im Engadiner Stil gebauten Kopfbahnhof von Scuol-Tarasp nahtlos fort, denn aufgrund der eingeschlossenen, regengeschützten Lage in den Alpen ergeben sich in Scuol einige meteorologische und dadurch geologische Besonderheiten, durch die sich wiederum zahlreiche Mineralquellen gebildet haben. Scuol besitzt deshalb eine lange Tradition als Kurort, weshalb hier einige prächtige Bauten stehen, die teilweise noch aus dem 19. Jahrhundert stammen. Dazu kommen alte Engadiner Häuser im Unterdorf (Scuol Sot) und die Sankt-Georg-Kirche von 1516, die imposant auf einem Felsen über dem Inn steht, der beim etwa 75 Kilometer entfernten Malojapass entspringt. Faszinierend ist aber natürlich auch die Präsenz des Rätoromanischen: Straßenschilder, Wahlplakate, Schaufenster – alles auf Rätoromanisch, während Deutsch nur eine angenehm untergeordnete Rolle spielt. Da wird schon das Schlendern durch den örtlichen Supermarkt zum Genuss, wenn man die Ohren spitzt und den Leuten zuhört, die sich wirklich ausnahmslos auf Rätoromanisch unterhalten. Es gibt ja leider nicht mehr viele Orte in der Schweiz, in denen man die Sprache noch hören kann. Rätoromanisch wird natürlich auch auf dem örtlichen Sportplatz gesprochen, der sich auf der anderen Seite des Inns im Waldstück Gurlaina befindet. Die beiden Inn-Seiten sind seit 1905 durch der Gurlainabrücke verbunden, die nichts für Leute mit Höhenangst ist. Die früher mit einer Fußgänger-Maut von 20 Rappen belegte Brücke ist ein Relikt der Hochphase des Kur-Tourismus in Scuol und sollte den Gästen die Spaziergänge im Gurlaina-Wald erleichtern. Noch immer ist sie mit knarzenden Holzbrettern gedeckt, durch die man immer wieder tief hinunter auf den Inn blickt. Man denkt eigentlich bei jedem Schritt, dass man jetzt den Abflug macht. Vorteil ist, dass sich gleich am Ende der Brücke der Sportplatz des CB Scuol befindet. CB ist die Abkürzung für Club Ballapé und bedeutet auf Rätoromanisch nichts anderes als Fußballclub – so wie bei fast jedem Verein in der Schweiz, wo es kaum etwas anderes als einen FC im Vereinsnamen gibt. Der Ausbau des Sportplatzes ist genau wie das Spielniveau für den Allerwertesten, auch wenn die Gäste aus Liechtenstein vom Namen her etwas Glanz in die Sache bringen. Man sieht eben in der 8. Schweizer Liga nicht allzu oft eine Reserve, deren erste Mannschaft vor fünf Jahren im Europapokal gespielt hat. Punkten kann der Sportplatz umso mehr bei der Aussicht. Dass ausgerechnet heute nebenan ein Viehmarkt stattfindet und nur wenige Meter von der Eckefahne entfernt Kühe stehen, sorgt für zusätzliche Würze. Nach Abpfiff geht es trotz elf Minuten Nachspielzeit gemütlichen Schrittes über die Gurlainabrücke zurück ins Oberdorf, um dort mit dem Postbus (Rätoromanisch: Auto da Posta) die kuriose, aber landschaftlich ebenso wunderschöne Weiterfahrt nach Südtirol in Angriff zu nehmen. Zunächst geht in den schweizerisch-österreichischen Grenzort Martina, dann wird auf den italienischen Bus umgesattelt, noch ein paar Kilometer durch Österreich getuckert und schließlich über den Reschenpass bis nach Malles gefahren, wo wie gesagt – wenig überraschend ebenfalls mit einem Kopfbahnhof – das italienische Schienennetz beginnt. Warum diese Postbus-Linie angeboten wird, erschließt sich mir nicht so ganz, schließlich bin ich die meiste Zeit der einzige Fahrgast, aber den Blicken des Busfahrers zufolge ist es schon eine Überraschung, dass überhaupt jemand mitfährt.