AE Konstantinoupoleos – Panathinaikos AO 1:0

Griechenland, Super League (1.Liga)
Sonntag, 8. Januar 2023, 19.30 Uhr
Nea Filadelfia-Nea Chalkidona, Stadio Agia Sofia

Was habe ich mich auf dieses Spiel gefreut! Das erste Derby im neuen Hagia-Sophia-Stadion! Und auch auf das Stadion ist die Vorfreude riesig. Was AEK da geschaffen hat, ist absolut einmalig. Um zu verstehen, was hinter diesem Stadion steckt, muss man in die Geschichte schauen. Ich werde jetzt nicht wieder ganz bei Adam und Eva anfangen, aber Hintergrund ist mal wieder der Türkisch-Griechische Krieg direkt nach dem Ersten Weltkrieg. Bis dahin gab es eine bedeutende griechische Minderheit in Istanbul (oder wie es die Griechen nach wie vor nennen: Konstantinopel), deren Symbol die Hagia Sophia war und die mit Hermes einen eigenen griechischen Fußballverein hatten. Als nach dem Türkisch-Griechischen Krieg die Griechen aus der Türkei vertrieben wurden, verschwand mit ihnen auch Hermes aus Istanbul, wurde aber zweimal von Flüchtlingen in Griechenland wiedergegründet – 1924 als AEK im Großraum Athen und 1926 als PAOK in Saloniki. Das K steht jeweils für Konstantinopel und beide Vereine betrachten sich auch weiterhin als Istanbuler Vereine, wobei das AEK nach meinem Empfinden ein bisschen mehr macht als PAOK. Die griechischen Flüchtlinge aus der Türkei ließen sich in den 1920ern in eigenen Siedlungen nieder, aus denen insbesondere im Großraum Athen im Laufe der Zeit eigene Städte wurden und die mit ihren Nachbarorten zu eben diesem Großraum Athen zusammenwuchsen, in dem der Ortsunkundige die Grenzen zwischen den alten Städten nicht erkennt, weil sie zu einer großen Einheit zusammengewachsen sind. Doch beim Fußball erkennt man die Grenzen noch sehr wohl, denn in den alten Flüchtlingssiedlungen, die meist mit der Silbe Nea oder Neos (Neu-) beginnen, ist in der Regel nach wie vor AEK der tonangebende Verein, während in den „alteingesessenen“ Orten Panathinaikos oder (je näher man in Richtung Meer kommt) Olympiakos Piräus vorherrschen. Und in Griechenland erkennt man aufgrund der unzähligen Schmierereien, aber auch wirklich schönen Graffiti ja ganz genau, in wessen Gebiet man sich gerade befindet. Man könnte einen alten Stadtplan von vor 1920 über einen aktuellen Stadtplan legen und anhand dessen wohl sehr genau definieren, wo AEK, Panathinaikos und Olympiakos Piräus dominieren. Seinen Sitz hat AEK in Nea Filadelfia, das sich durch die Verwaltungsreform von 2010 mit der Nachbarstadt Nea Chalkidona zusammengeschlossen hat – und schon an den beiden Namen merkt man, dass es sich um alte Flüchtlingssiedlungen handelt. In diesem Fall ist es somit doppelt falsch, von „AEK Athen“ zu sprechen. Zum einen ist Nea Filadelfia nicht Athen, zum anderen betrachtet sich AEK wie gesagt nach wie vor als Verein aus Istanbul bzw. Konstantinopel. Richtig ist also: AE Konstantinopel oder (auf Griechisch) AE Konstantinoupoleos. Bereits 1930 (sechs Jahre nach der Wiedergründung) baute AEK sein Stadion in Nea Filadelfia, das 1999 bei einem Erdbeben zerstört und 2003 abgerissen wurde. Glück im Unglück war für AEK, dass 2004 die Olympischen Spiele in Athen stattfanden und man damit zunächst im neuen Olympiastadion unterkam. Was nur als Provisorium gedacht war, wurde zu einer mehr als 20 Jahre andauernden Dauerlösung. Die AEK-Szene hat die viel zu lange Zeit im viel zu großen Olympiastadion meiner Meinung nach ziemlich zurückgeworfen. Aber es ist nun mal der griechischen Bürokratie geschuldet, dass sich der Neubau in Nea Filadelfia so lange hinauszögerte, obwohl dieser sogar Chefsache war und das griechische Parlament mitmischte. Das, was jetzt dabei herausgekommen ist, ist dafür ein absolutes Meisterwerk, denn das Stadion ist quasi ein Nachbau der Hagia Sophia. Jenes Gebäude also, das Symbol für die Griechen in Istanbul war. Richtigerweise muss man sagen: immer noch ist! Denn mit dem Patriarchen von Konstantinopel sitzt das Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche nach wie vor in Istanbul. Symbol der griechisch-orthodoxen Kirche ist der doppelköpfige Adler, der nach West und Ost schaut und den sowohl AEK als auch PAOK als Vereinswappen übernommen haben. Als Krönung steht vor dem neuen Stadion ein Denkmal, das die Hagia Sophia zeigt und auf deren goldener Kuppel ein doppelköpfiger Adler sitzt. Da bekomme ich mit Blick auf die Vereinsgeschichte von AEK totale Gänsehaut! Wie kann man ein Stadion denn bittschön so geil bauen? Einfach mal die eigene Identität in Beton gegossen. Den völligen Herzinfarkt würde ich wohl bekommen, wenn ich in natura jene Bereiche im Stadioninneren sehe, die dem normalen Stadionbesucher verschlossen bleiben. Auf Fotos im Internet habe ich aber gesehen, dass die Katakomben und die VIP-Räume in einem Stil gebaut wurden, der an ein türkisches Badehaus bzw. Bereiche der Hagia Sophia erinnert. Gleiches gilt für das im Stadion integrierte Museum, in dem auch die Geschichte der griechischen Türkei-Flüchtlinge dargestellt sein soll, doch das ist heute leider nicht zugänglich. Ich bin aber auch so völlig baff. Das ist definitiv das krasseste Stadion, in dem ich je war! Die Tribünen selbst sind hingegen nicht sonderlich spektakulär und halt Sitzschalen-Einheitsbrei. Was anderes ist ja auch gar nicht möglich. Oder soll man die Zuschauer hier auch noch auf kleine Hagia-Sophia-Modelle setzen? Nein, die Architekten haben wirklich schon genug abgeliefert. Der Tisch ist also angerichtet und bereit für 90 Minuten Derby. Das Schiedsrichtergespann kommt wieder aus dem Ausland und Gästefans sind natürlich keine erlaubt, daran wird sich in Griechenland auch nichts ändern. Im ausverkauften Stadion sind damit durchweg AEK-Fans, die reichlich Zaunfahnen mitgebracht haben. Unter anderem hängen die Fahnen von den Original-21-Ablegern aus Zürich und dem gestern gesehenen Lamia, aber direkt unter der wichtigen Fahne von Neos Kosmos (Neue Welt) auch eine Fahne der Pontosgriechen. Pontos ist das griechische Wort für Meer, wobei in diesem Fall konkret das Schwarze Meer gemeint ist. Als Pontosgriechen wird die frühere griechische Minderheit an der heute türkischen Schwarzmeerküste bezeichnet, wobei die noch über die Grenzen der Türkei hinaus vertreten war. Ihr Siedlungsgebiet reichte von Istanbul über Georgien bis zur Krim. Nicht zu den Pontosgriechen gehört jedoch die frühere griechische Minderheit an der heute türkischen Westküste, die ihre Vereine ebenfalls in Griechenland wiedergründet hat (u.a. das ursprünglich in Izmir gegründete Panionios). An der Stelle sei erwähnt: Mit Ivan Savvidis (der, der mit der Knarre aufs Spielfeld gerannt ist) hat PAOK einen aus Georgien stammenden Pontosgriechen als Präsidenten. Und ebenfalls sei an dieser Stelle erwähnt: Etwa ein Drittel der in Deutschland lebenden Griechen sind Nachfahren von Pontosgriechen, also ein recht hoher Anteil. Aber zurück ins Hagia-Sophia-Stadion, in dem ein Derby geboten wird, das eigentlich keine Wünsche offen lässt. Richtig gute Lautstärke, viel Pyrotechnik. Ich bin ein richtig großer Freund dieses ganzen AEK-Stils, der sich schon ein bisschen von dem der anderen großen griechischen Vereine abhebt und am ehesten mit dem Bruderverein PAOK vergleichbar ist, wobei erwähnt sei, dass sich AEK und PAOK trotz der gemeinsamen Geschichte abgrundtief hassen. Obwohl wir erst den 7. Januar haben, ist für mich schon klar, dass das hier das beste Spiel des Jahres war, wobei natürlich auch meine Liebe für dieses Stadion dafür sehr ausschlaggebend ist.